Der Völkermord an den Jesiden geht schleichend weiter

Die Jesiden im Irak müssen immer noch in Flüchtlingslagern leben
Die Jesiden im Irak müssen immer noch in Flüchtlingslagern leben (© Imago Images / Sebastian Backhaus)

Die Lage für die vom Islamischen Staat verfolgte Minderheit im Irak ist immer noch so aussichtslos, dass die Selbstmordrate unter Jesiden drastisch ansteigt.

Für hunderttausende von Jesidinnen und Jesiden im Nordirak begann am 1. Januar das siebte Jahr in Flüchtlings-Camps für Binnenvertriebene („internal displaced“). So lange ist es her, seit 2014 der Islamische Staat über das von ihnen bewohnte Sinjar Gebirge herfiel, Tausende ermordete und über sechstausend Mädchen und Frauen in die Sklaverei verschleppte.

Die Überlebenden zahlen bis heute den Preis dafür, wehrlose Opfer gewesen zu sein. Insofern hat der IS sein Ziel auch erreicht: Auf absehbare Zeit wird es kein normales Leben mehr für Jesiden im Irak geben und genau darauf zielen Völkermorde ja auch ab; nicht nur auf die physische Vernichtung möglichst vieler Menschen.

Die Erinnerungen an den Horror bleiben ein Leben lang, es gibt wohl keine einzige Familie, die nicht mindestens einen Angehörigen verloren hat und aus der jemand verschleppt wurde, um unglaubliche Torturen durchstehen zu müssen.

Gerade die jüngere Generation, die teils ihre Kindheit oder Jugend in einem der dutzenden Camps verbracht hat, hat inzwischen jede Hoffnung auf eine bessere Zukunft verloren. Europas Tore sind verschlossen und im Irak, der sich zudem in einer schweren ökonomischen Krise befindet, heißt die Zukunft bloß: Weiterleben im Lager.

Nun kommt auch die Corona-Pandemie hinzu, viele der Camps blieben wochenlang geschlossen, noch weniger Hilfe und Unterstützung als sonst erreichte die Bewohnerinnen und Bewohner.

Schon seit langem warnen Psychologen, dass Depressionen und andere psychische Krankheiten sich immer weiter ausbreiten und viele in den Camps einfach nicht mehr weiter wollen oder können. 2019 veröffentlichte die Hilfsorganisationen Ärzte ohne Grenzen eine Studie und berichtete, dass von Patientinnen und Patienten, die sie sie in einer Klinik behandelten und betreuten,

46 Prozent unter 18 Jahre alt waren. Die Jüngste, ein 13-jähriges Mädchen, das sich erhängt hatte, war bei der Ankunft in der Notaufnahme tot. Vierundfünfzig Prozent waren Frauen oder Mädchen, von denen vier durch Selbstverbrennung starben.

Andere hatten einen Selbstmordversuch unternommen, indem sie sich selbst an den Handgelenken verletzten, Gift tranken, eine Überdosis an Medikamenten nahmen oder mit Schusswaffen hantierten.

Geändert hat sich seitdem nichts, eher hat die Lage sich verschlimmert, denn auch international ist das Schicksal der Jesiden im Irak längst aus dem Fokus geraten: zunehmend geraten sie, wie so viele anderen Opfer von Krieg und Vertreibung, in Vergessenheit.

Ihnen dürfte dasselbe Schicksal wie Somalis in Kenia oder den Sahauris in Algerien blühen: Eine trostlose Existenz in Lagern, denn ob und wann sie je in den Sinjar zurückkehren können ist ungewiss. Trotz neuerer Vereinbarungen zwischen Zentralregierung und kurdischer Autonomieverwaltung ist das Gebiet weiter umkämpft und äußerst unsicher.

Entsprechend nimmt seit einiger Zeit auch die Zahl von Selbstmorden zu, besonders unter jungen Frauen. Über dreihundert wurden bis Ende letzten Jahres gezählt und nun kommen im neuen schon weiter drei dazu.

Der jüngste Fall ist der der zwanzigjährigen Asmahan Khidir, die sich am 5 Januar in ihrem Zelt erhängte. Und sicher werden ihr auch dieses Jahr viele weitere folgen, wenn sich an der Situation nichts ändert. Und was sollte sich schon ändern, wenn sich in den letzten sieben Jahren nichts geändert hat?

So geht der 2014 vom IS begonnene Völkermord an den Jesiden schleichend weiter.

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