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Täglicher Gebetsruf von den Balkonen muslimischer Bürger?

Auch die DITIB-Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh beteiligt sich an der Adhan-Aktion
Auch die DITIB-Merkez-Moschee in Duisburg-Marxloh beteiligt sich an der Adhan-Aktion

Die öffentliche Übertragung des islamischen Gebetsrufs in Zeiten der Corona-Krise ist gedacht als Begleitung zum Gebet zuhause. Doch viele fühlen sich offenbar magisch davon angezogen.

Von Birgit Gärtner und Saïda Keller-Messahli

Immer mehr Moscheen übertragen derzeit öffentlich den Ruf des Muezzins, Adhan auf Arabisch, Ezan auf Türkisch. Letzte Woche Freitag kam es dabei in Berlin vor der „Neuköllner Begegnungsstätte“ (NBS) zu tumultartigen Szenen, weil die Gläubigen nicht, wie eigentlich gedacht, zuhause blieben, sondern in Scharen zur Moschee pilgerten. Die Polizei musste schließlich eingreifen und beendete den Event im Einvernehmen mit dem Imam vorzeitig.

Auch in Wuppertal kamen am vergangenen Montag rund 200 Gläubige herbeigeströmt, als vom Minarett der DITIB-Zentralmoschee an der Gathe der Ruf des Muezzins erschallte. Auch hier musste die Polizei einschreiten. Derlei um Aufmerksamkeit heischende Scherereien kennen wir ansonsten von den berühmten Hochzeits-Autokorsos auf den Autobahnen. Scheint so, dass in Ermangelung von großen Hochzeitsfeiern nun die abendlichen Gebetsrufe diese Gaudi ersetzen.

Sondergenehmigung

Seit etwa zwei Wochen ertönen in vielen Städten Deutschlands Kirchenglocken, jeden Tag zur selben Zeit, so in Duisburg-Marxloh allabendlich um 19h. Bundesweit beteiligen sich daran sowohl katholische als auch protestantische Gemeinden; für Ostern ist ein landesweites ökumenisches Glockenläuten geplant. Das soll den Gläubigen in der schweren Zeit der Corona-Krise und der damit verbundenen Ausgangsbeschränkungen Trost spenden, da es aktuell nicht möglich ist, Gottesdienste abzuhalten.

Unterdessen äußerten auch die muslimischen Verbände die Absicht, sich dem anzuschließen, und stellten an mehreren Orten, u. a. für die Merkez-Moschee (DITIB) in Duisburg-Marxloh, Anträge auf Sondergenehmigungen bei den zuständigen Behörden, den Ruf des Muezzins erschallen lassen zu dürfen. In Moscheen mit Minaretten wird der Muezzin live übertragen, in den anderen ertönt er vom Band via Lautsprecher.

Beantragt wurden entsprechende Genehmigungen bislang – soweit bekannt – in Berlin sowie in Gemeinden in Nord- und Süddeutschland, dem Rheinland und dem Ruhrgebiet und in Niedersachsen. Die Stadt Wuppertal gestattete allen Moscheen den Gebetsruf. Diese finden zum Teil täglich, zum Teil wöchentlich am Freitag statt. In Spanien soll laut Deutsch Türkisches Journal (DTJ) „jeden Freitagabend von den Balkonen der Muslime der islamische Gebetsruf ertönen, um die Arbeit aller im Kampf gegen das Virus beschäftigten Menschen zu würdigen.“ Das DTJ stellte angesichts dessen die Frage: „Gebetsruf erstmals direkt vom Minarett − demnächst auch den Balkonen?“

Was ruft der Muezzin?

Der öffentliche Gebetsruf analog zum Glockenläuten mag vor dem Grundsatz der Religionsfreiheit als nur gerecht erscheinen, allerdings gibt es einen bedeutenden Unterschied zwischen Glockengeläut und dem Ruf des Muezzins. Traditionell läuten hierzulande Kirchenglocken kurz vor Beginn den Gottesdienst ein – ursprünglich wurde damit den Gläubigen das Signal gegeben, sich allmählich in Richtung Kirche zu begeben – und später wieder aus.

Kirchenglocken ohne Gottesdienst senden keine spezielle Botschaft, sondern docken an das vertraute Gefühl an, das Gläubige mit Gottesdienst verbinden, u. a. eben Trost. So soll in Zeiten ohne Gottesdienst vermittelt werden: Gott steht Euch bei, die Kirche lässt Euch nicht allein. Dieser Trost ist universell, davon kann profitieren wer möchte. Allerdings dürfte in einer zunehmend konfessionslosen Gesellschaft das konzertierte Glockenläuten, vielerorts täglich, auch Befremden auslösen.

Der Ruf des Muezzins sendet indes eine wertende Botschaft. Nämlich: „Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah gibt.“ Damit richtet er sich an muslimische Gläubige, die erhöht werden im Vergleich zu Juden oder Christinnen. Der Ruf des Muezzins hat eine bestimmte Abfolge, in der einzelne Sätze wiederholt werden:

„Allah ist der Allergrößte“ (4mal).
„Ich bezeuge, dass es keinen Gott außer Allah gibt“ (2mal).
„Ich bezeuge, dass Muhammad der Gesandte Allahs ist“ (2mal).
„Kommt her zum Gebet“ (2mal).
„Allah ist der Allergrößte“ (2mal).
„Es gibt keinen Gott außer Allah.“

Und mit „Allah“ ist nicht ganz allgemein Gott gemeint, sondern ganz speziell der Gott der Muslime, der somit ausdrücklich zum einzig wahren Gott erklärt wird.

Dahinter stehen problematische Islamverbände

Die an der Verankerung des Gebetsrufs beteiligten Moscheegemeinden sind häufig Mitglied in problematischen Islamverbänden. Wie auch die Merkez-Moschee in Duisburg gehören einige DITIB an, dem deutschen Ableger der türkischen Religionsbehörde DIYANET, die direkt der Regierung untersteht, also letztlich Präsident Recep Tayyip Erdoǧan als oberstem Dienstherrn. Dieser hat sich nach den letzten Parlamentswahlen seine Macht gesichert, indem er u.a. mit der faschistischen Partei MHP koalierte.

Etwa 900 der hiesigen Moschee-Gemeinden sind DITIB angeschlossen. Die Organisation stellt Imame, die in der Türkei ausgebildet wurden und Bedienstete des türkischen Staates sind, zudem die inhaltlichen Vorlagen, auch jene für das Freitagsgebet.

In der Vergangenheit machte DITIB, durch Spitzel-Tätigkeiten, Kinder-Kriegstheater und Gebete für die Feldzüge des türkischen Präsidenten von sich reden. 2018 verfügte die türkische Religionsbehörde DIYANET 2018 eine FATWA (religiöser Erlass), die erlaubt, dass Mädchen mit 9 und die Jungen mit 12 Jahren heiraten dürfen, und die auch für alle Mitglieder der DITIB in Deutschland gilt. In der Türkei führte die Fatwa zu der Protestaktion „Diyanet kapatılsın“, auf Deutsch: „Schließt DIYANET“.

Volker Beck warnt vor Einfluss aus der Türkei im Bildungswesen

Das ficht die Politik in Deutschland indes offenbar nicht an: Das Land Rheinland-Pfalz teilte am 1. April mit, eine „Zielvereinbarung“, eine Art Vorvertrag nach Vorbild des Hamburger Staatsvertrags mit der SCHURA, DITIB und VIKZ, abschließen zu wollen. Laut der Allgemeinen Zeitung

„soll Ditib seine Vorstandskandidaten unabhängig benennen, sich vom Einfluss der Türkei frei machen und den Weg ebnen, um notfalls Disziplinarverfahren gegen Imame durchzuführen, die vom türkischen Religionsamt Diyanet entsandt wurden.“

Das ist ein frommer Wunsch, da die DITIB ein Ableger von DIYANET ist und damit der Islamisierungs-Strategie Erdoǧans weit über die Grenzen der Türkei hinaus. Genauso gut könnte DITIB fordern, Rheinland-Pfalz möge sich von der Bundesrepublik lossagen.

Volker Beck, Lehrbeauftragter am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) an der Ruhr-Universität Bochum, kommentierte den „Zielvertrag“ im Internetportal Cicero folgendermaßen:

„Wer ernsthaft glaubt, dass DITIB und einige problematische Mitgliedsorganisationen der Schura in der Lage sind, über Satzungsänderungen die tatsächlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass die religiöse Selbstbestimmung und nicht ausländische Behörden oder Parteien ihre Identität bestimmen, hat die bereits bestehenden inneren Verhältnisse der Vereinbarungspartner nicht im Ansatz verstanden.“

Weiter schreibt er:

„Das Ziel der DITIB geht laut Pressemitteilung noch weiter: ‚Die Anerkennung der DITIB Rheinland-Pfalz als Religionsgemeinschaft als nächster Schritt, wie auch die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts‘. Körperschaft des öffentlichen Rechts würde bedeuten, dass am Ende eine Tochtergesellschaft einer Behörde Erdogans deutsches öffentliches Recht ausüben könnte. Das muss man sich vergegenwärtigen: Die Türkei übt dann über Mittelsmänner öffentliche Gewalt des deutschen Staates in Deutschland aus, entscheidet beispielsweise, wer islamischer Religionslehrer an unseren Schulen werden darf; die eigenen Mitarbeiter wären DITIB-Beamte.“

Öffentlichen Raum besetzen

An der Adhan-Aktion beteiligt sich auch die „Yunus Emre Moschee“ der „Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş“ (IGMG)Wuppertal. Die IGMG geht zurück auf den türkischen Politiker Necmettin Erbakan, dem politischen Ziehvater Erdoǧans und Begründer der Millî-Görüş-Bewegung (Nationale Sicht), die eine islamistische Ideologie vertritt, angelehnt an die Ideen von Hasan al-Banna, dem Begründer der Muslimbruderschaft. Erbakan und al-Banna einte die Begeisterung für Adolf Hitler. Die deutsche IGMG betont jedoch stets ihre Eigenständigkeit.

Die „Yunus Emre Moschee“ veröffentlichte auf ihrer Facebook-Seite ein Video, das ein Gläubiger, vermutlich mit dem Handy, während des Adhan gefilmt hat. Darin sind andere Männer zu sehen, die ebenfalls mit ihren Handys Filmaufnahmen machen und in gebührendem Abstand auch eine verschleierte Frau und zwei Kinder. Vor der Moschee direkt sind nur wenige männliche Personen anwesend. Der Mann sagt, er sei „froh über diesen bedeutenden Moment“ und wünscht sich, dass die Muslime den Wert der Moschee erkennen und diese besuchen.

Wenn dieser Wunsch Gehör findet, könnte die „Yunus Emre Moschee“ die nächste sein, bei der es anlässlich des Gebetsrufs zu einem Massenauflauf von Gläubigen kommt.

Das Video ist an sich nicht besonders aufsehenerregend. Interessant aber ist, dass der Trost, den der Ruf des Muezzins den Gläubigen zuhause spenden soll, auch visuell gekonnt in Szene gesetzt wird: Am Zaun neben der Moschee ist eine Türkeifahne gespannt, der Weg zur Moschee ist beidseitig mit Plakaten mit dem IGMG-Emblem gesäumt.

Abgesehen davon, dass das auf die Mitglieder der Moscheegemeinde einladend wirken dürfte, erweckt es den Eindruck, dass den Initiatoren weniger an Trost für die Daheimgebliebenen gelegen ist, als vielmehr daran, im wahrsten Sinne des Wortes‘ Flagge zu zeigen – und zwar die türkische – und öffentlichen Raum zu besetzen – akustisch und visuell.

Das legt die Vermutung nahe, dass die Gebetsrufe nicht einfach so verklingen werden, wenn das gesellschaftliche Leben wieder hochgefahren wird und auch Moscheebesuche wieder möglich sein werden. Es ist anzunehmen, dass sich andere „Ausnahmen“ finden, für die der öffentliche Adhan beantragt werden kann, Ramadan würde sich anbieten. Diese „Ausnahmen“ könnten sich häufen und schließlich die Ausnahme zum Regelfall werden – womöglich ertönt der Gebetsruf, wie das Deutsch Türkische Journal bereits hoffte, allabendlich von den Balkonen der orthodox-muslimischen Mitbürger.

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