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Der Iran ruft: Wir alle sind Mahsa!

Während die Menschen im IRan gegen das Regime protestieren macht Präsident Raisi sich auf den Weg zur UN-Generalversammlung
Während im Iran gegen das Regime protestiert wird, macht Präsident Raisi sich auf den Weg zur UN-Generalversammlung (© Imago Images / ZUMA Wire)

Vor einer Woche nahm die iranische Moralpolizei eine junge Frau fest, weil ihr Haar nicht korrekt bedeckt war. Das Verhör und die Schläge brachten ihr den Tod – und den Mullahs Proteste im ganzen Land.

Im Iran rumort es. Die Bevölkerung leidet unter der hohen Arbeitslosigkeit, den geringen Löhnen, den viel zu niedrigen Rentenbezügen, der ständigen Verteuerung der Lebensmittelpreise, dem Fehlen von Handelsgütern und Ersatzteilen aller Art und ganz besonders unter dem Mangel an Medikamenten und medizinischen Geräten, um nur einige der vielen Widrigkeiten zu nennen, die im Iran das Leben der Menschen bestimmen. All dies betrifft Männer wie Frauen gleichermaßen, doch den Mädchen und Frauen wird das Leben um ein Vielfaches schwieriger gemacht, da sie sich zusätzlich den restriktiven Kleiderverordnungen des Regimes der Islamischen Republik unterwerfen müssen.

Zuständig für die Kontrolle der Einhaltung der »angemessenen Kleidung« im öffentlichen Raum sind die Irshad-Patrouillen der Gashte Ershad, der Moralpolizei, die berechtigt sind, jede Frau, der auch nur eine Haarlocke unter dem Kopftuch hervorsteht, sofort zu verhaften und zu inhaftieren. Viele von ihnen werden vor Gericht gestellt, alle von ihnen einem unbarmherzigen Verhör unterzogen.

Kontrolle mit Todesfolge

Genau dies ist der 22-jährigen Mahsa Amini vor einer Woche in Teheran passiert. Die aus Saqqez in der iranischen Provinz Kurdestan stammende Kurdin war gemeinsam mit ihrem Bruder bei Verwandten in der iranischen Hauptstadt zu Besuch, als sie während einer U-Bahn-Fahrt von einer Irshad-Patrouille verhaftet, in ein Auto gezerrt und in eine Polizeistation gebracht wurde, weil ihr Kopftuch nicht ihr ganzes Haar bedeckte. Ein im Netz veröffentlichtes Video zeigt die grausame Szene, als die junge Frau auf dem Boden gewaltsam zum Auto geschleift wird, und, schlimmer noch, gibt ihre verzweifelten Schreie wieder.

Während des Verhörs durch die für ihre Gewalttätigkeit und Unbarmherzigkeit bekannte Moralpolizei wurde sie so heftig geschlagen, dass sie das Bewusstsein verlor. Ein später vom iranischen Staatsfernsehen ausgestrahltes Überwachungsvideo des Polizeireviers zeigt, wie Mahsa Amini zusammenbricht. Die junge Kurdin wurde in bewusstlosem Zustand in ein Krankenhaus gebracht, wo sie nach drei Tagen, die sie im Koma lag, verstarb. Die Vermutung, dass der Schlag eine Hirnblutung oder einen Schädelbruch verursachte, liegt nahe.

Laut einer Stellungnahme der Polizei erlitt Amini jedoch einen Herzanfall, sie sei »plötzlich ohnmächtig« geworden. Angeblich gab es keinen »körperlichen Kontakt« seitens der Polizisten zu ihr.

Tatsächlich glaubte die Mehrheit der iranischen Bevölkerung keine Sekunde lang an den angeblichen »Herzanfall«. Wie eine Iranerin berichtet, ist ein iranischer Hacker in die Dateien des Krankenhauses eingedrungen, um die wahre Todesursache zu eruieren. Er entdeckte die Computertomografie des Kopfes, die klar und deutlich einen Schädelbruch und schwere Gehirnverletzungen abbildet. Der Hacker stellte das Bild sofort ins Netz.

Landesweite Proteste

Die Nachricht vom Tod der jungen Kurdin verbreitete sich dank Twitter & Co rasend schnell im ganzen Land und rief vor allem bei der jüngeren Bevölkerung heftige Reaktionen hervor. Der virtuelle Raum wurde geradezu überflutet von Kommentaren, die sich gegen die tyrannische Herrschaft des iranischen Mullah-Regimes richteten. Binnen kürzester Zeit erschienen zahllose Videos, die Mädchen, Frauen und prominente Iranerinnen dabei zeigen, wie sie sich demonstrativ ihre Haare abschneiden.

Am Montag kam es zu spontanen landesweiten Protestkundgebungen gegen die iranische Regierung. Die Demonstranten skandierten vielerorts lautstark Parolen wie »Mullahs müssen weg!«, »Nieder mit dem Diktator!« und vor allem: »Wir wollen keine Kopftücher tragen!«

In Teheran gingen zahlreiche Menschen auf die Straße und verkündeten, begleitet von bewaffneten Sicherheitskräften, ihren Unmut über die Regierung. Studenten versammelten sich auf Universitätsgeländen, skandierten »Die Mullahs müssen weg!« und bekräftigten mit dem Ruf »Wir alle sind Mahsa!« ihre Solidarität mit Mahsa Amini. Auf dem Areal der Universität Teheran kam es zu bedrohlichen Szenen, als Mitglieder der Basidsch, der paramilitärischen Miliz der Iranischen Revolutionsgarde, gegen etliche Studenten gewaltsam vorgingen.

Auch in Isfahan kam es zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. Sogar in Mashhad, einer besonders religiös geprägten Stadt – sie beherbergt den Schrein des achten Imams der Schiiten und ist Heimatstadt des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi – formierten sich Demonstrationszüge auf den Straßen.

Unruhen in Kurdestan

Die größten Protestversammlungen fanden – und finden – in der Provinz Kurdestan statt. In Saqqez, der Heimatstadt der verstorbenen Mahsa Amini, kam es zu mehreren gewaltsamen Unruhen. Vor dem Gouverneurssitz versammelte sich eine Menschenmenge, die eine Untersuchung der Todesumstände forderte. Als einige Teilnehmer Steine gegen das Gebäude warfen, setzte die Polizei Tränengas ein und vertrieb die Demonstranten.

In Divandarreh nahmen Polizeikräfte die Demonstranten unter Beschuss, wobei mindestens zehn Menschen verletzt wurden. In Rasht, der Hauptstadt der nördlichen Provinz Gilan, wurde der Hauptplatz von einer wütenden Menschenmenge besetzt, die »Schande über dich, Khamenei, lass das Land in Ruhe!« und »Wir wollen keine islamische Herrschaft!« skandierte. Die anwesende Basidsch-Miliz wurde lautstark aufgefordert, »zu verschwinden«.

Die Nachrichtenwebsite Iran International berichtete, zahlreiche Videos aus den kurdisch besiedelten Gebieten erhalten zu haben, die zeigen, wie iranische Sicherheitskräfte auf Anwohner schießen, die mutig genug waren, fliehende Demonstranten in ihre Häuser aufzunehmen.

Regierung unter Druck

Die landesweite Empörung über den Tod der Kurdin, der virtuelle Aufschrei gegen die Moralpolizei, die Schlagzeilen der Zeitungen, die durchgehend Mahsa Amini gewidmet waren, aber auch die internationale Kritik zwangen die Regierung dazu, eine Untersuchung der Todesumstände anzuordnen. Dafür wurde auf Anweisung von Präsident Raisi innerhalb der Teheraner Generalstaatsanwaltschaft und des Innenministeriums ein spezieller Untersuchungs- und Ermittlungsausschuss eingerichtet.

Mittlerweile hat sich auch der Vater von Mahsa Amini öffentlich zum Tod seiner Tochter geäußert. In einem Interview mit dem kurdischen TV-Sender Rudaw wehrte er sich vehement gegen einen Beitrag im staatlichen Iranian TV, in dem behauptet wurde, seine Tochter wäre schon lange »krank« gewesen. »Ich habe Präsident Raisi gesagt, dass der im nationalen Fernsehen gezeigte Film eine Lüge ist, Masha war nie krank«, stellte er klar. Sein Ansuchen nach einer Obduktion, erzählte er, wurde bis jetzt noch nicht beantwortet.

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