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Ein Plan hinter Kalifat und Umma: Der Frérismus und seine Netzwerke in Europa

Florence Beregaud-Blackler forscht zum »Frérisme« der islamistischen Muslimbruderschaft
Florence Beregaud-Blackler forscht zum »Frérisme« der islamistischen Muslimbruderschaft (© Imago Images / ZUMA Press Wire)

Der Frérismus ist aus der Internationalisierung der Bewegung der Muslimbruderschaft hervorgegangen, der es um die weltweite Verbreitung des Islams geht.

Wer die Bilder der Demonstration für ein Kalifat in Hamburg am 13. Oktober 2024 schon vergessen hat, den sollte aufrütteln, was die Anthropologin und Forschungsbeauftragte des Centre National de la Recherche Scientifique, Florence Bergeaud-Blackler, in ihrem 2023 erschienenen und jetzt ins Deutsche übersetzten Buchs Kalifat nach Plan – Frérismus und seine Netzwerke in Europa ausführt. Danach war die Hamburger Demonstration kein Ausrutscher, sondern ein Austesten der Grenzen der Demokratie.

Sachlich und fundiert schildert die Autorin am Beispiel Frankreichs, wie die Bewegung des Frérismus ihren Einfluss bis ins Herz der europäischen Gesellschaften ausdehnt, indem sie sich auf deren Institutionen stützt, um westliche Werte zu untergraben und alle Bereiche zu »islamisieren«.

Der Frérismus ist aus der Internationalisierung der Bewegung der Muslimbruderschaft hervorgegangen, der es um die weltweite Verbreitung des Islams geht. Gegründet wurde die Muslimbruderschaft 1928 von Hassan al-Banna in Ägypten. Die Doktrin des anfänglichen Geheimbunds ist Ursprung des Frérismus, seiner Richtlinien für Organisation und seiner Vorgehensweise. Im Vorwort bezeichnet der französische Sozialwissenschaftler Gilles Kepel, einer der besten Kenner des Islamismus, den Frérismus als eine »Atmosphäre des Kulturbruchs«.

Kampfbegriff Islamophobie

In ihrem Kalifat nach Plan arbeitet Bergeaud-Blackler heraus, wie die Ziele der Muslimbruderschaft in Europa erreicht werden sollen und was davon bereits erreicht worden ist. Aufgeführt sind die Methoden der Rekrutierung von Anhängern und die subtile Indoktrination in Netzwerken, Vereinigungen und Thinktanks, in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft seit den 1980er Jahren in Frankreich und Europa.

Die Vision al-Bannas war es, die Regeln des Islams wie Politik, aber nicht als politische Partei einzusetzen; karitative Arbeit oder Sport zu nutzen, ohne eine Wohltätigkeitsorganisation oder eine Sportgruppe zu sein. All diese Mittel dienen dem Zweck, der Idee und dem Dogma, ein Nizam (System) zu sein, das zu Allah führt. Die Mission ist Da’wa, die Einladung zum Islam.

Ein bereits erreichtes Ziel ist es, in Europa zu propagieren, dass vom Westen eine hier herrschende strukturelle »Islamophobie« ausgehe. Dies wirke sowohl nach innen, indem es die »Lage der Muslime in der Welt« problematisiert und ein panislamisches Gefühl der Einheit hervorruft, wobei auch hier ein Schwerpunkt die »Unterstützung für Palästina« ist. Und nach außen hin soll die Islamophobie-Anklage bei jedem, der an Muslimen oder am Islam Kritik übt, Schuldgefühle auslösen und dessen Integrität infrage stellen. Damit wird seit Jahrzehnten eine kritische Auseinandersetzung mit dem Islam erschwert und zu unterbinden versucht. Wer es dennoch tut, braucht so wie die Autorin Polizeischutz.

Mitglieder der Muslimbruderschaft müssen bei ihrem Eintritt in die Organisation einen Treueeid leisten, die Ideologie im täglichen Leben zu übernehmen und einen Teil ihres Einkommens zu spenden. Sie werden rekrutiert, niemand kann einfach eintreten. Ihre vorderste Pflicht ist die Verbreitung des Islams, wobei jeder nach seinen Möglichkeiten eingesetzt wird, zum Beispiel zur Infiltration in sozialen, kulturellen oder wirtschaftlichen Bereichen oder als Aktivist und Propagandist. Die gebildete Elite macht ihren Einfluss geltend, um die Auffassung vom Islam zu »korrigieren«, Bankiers und Geschäftsleute sollen nicht nur Moscheen bauen, sondern auch Geschäftszentren errichten. Auch Frauen und Kinder werden ausgebildet, zur Gottgefälligkeit erzogen und eingesetzt.

Ziel der Muslimbruderschaft ist die Erfüllung der Prophezeiung einer globalen, islamischen Gesellschaft, der Umma, unter dem einzigen Gesetz Gottes, der Scharia. Die Vorgehensweise wird ständig verfeinert und auf die liberalen Demokratien abgestimmt, wobei die ideologischen Waffen des Westens übernommen und gegen ihn eingesetzt werden. Die Autorin belegt anhand von Texten von Yusuf al-Qaradawi, der die fréristische Doktrin um 1990 entwarf, dass es als Kriegskunst gilt, seine wahren Absichten zu verschleiern, etwa, wenn »der Schleier, dieses Gefängnis für den Körper der Frau, im Namen der Freiheit angepriesen« (Bergeaud-Blackler) wird.

Bewusste Strategie

Muslimbrüder beeinflussen heute die meisten Koranschulen auf französischem Boden und die muslimische Stimmabgabe für bestimmte Parteien. Bei von Dschihad und Judenhass hervorgerufenen Ereignissen wirkt die Empfehlung, islamistische Angriffe niemals zu verurteilen, sondern stattdessen die »Islamophobie« anzuprangern, die den gesamten Islam schlecht mache und in die Pflicht nehme. Unter anderem sind die Muslimbrüder in sozialer Mission in Gefängnissen, Krankenhäusern und der Militärseelsorge präsent.

Neben der Rekrutierung von Muslimen für ihre Ideologie besteht die Strategie der Muslimbrüder darin, nicht-muslimische Gesellschaften »schariakompatibel« zu machen. Die Gesellschaft soll sanft daran gewöhnt werden, Normen und Werte wie die Verschleierung oder den »Halal Way of Life« – die bewusste Entscheidung, das Handeln an den Prinzipien des Islams auszurichten und so Ausgeglichenheit, Reinheit und Wohlbefinden in jedem Aspekt unserer Existenz zu fördern – aufzunehmen, zu akzeptieren und letztlich sogar nachzuahmen.

Ein von den Muslimbrüdern geprägter Ausdruck ist die »Islamisierung des Wissens«. Die zu beobachtende Allianz von Postkolonialismus und Islamismus in akademischen Kreisen relativiert Terror, Gewalt und Unterdrückung; sie greift mit konstruierten Vorwürfen wie dem der »Islamophobie« die Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit an.

So breitet sich der Frérismus als eine »Soft Power« in liberalen, säkularisierten, multikulturellen Demokratien aus, wobei die Bewegung Unterstützung von links und von rechts erhält. Eine der einflussreichsten und aktivsten Persönlichkeiten bei der Infiltration der Anti-Globalisierungsbewegung in den 1990er Jahren war der Enkel des Muslimbruderschaft-Gründers und Euro-Islamisten Tariq Ramadan, dessen Anhänger sich in französischen Vorstädten zusammengeschlossen haben, davon einige in radikalen, fréristischen Bewegungen.

Solche formellen Bündnisse zwischen islamistischen Aktivisten und linken Parteien und Bewegungen prägen die Geschichte des Islamismus. Dabei hält Bergeaud-Blackler fest: »Das Streben nach dem Kalifat zieht sich … durch die jahrhundertealte Geschichte des Islams und ist nicht im 20. Jahrhundert aus Rache für die Kolonisierung entstanden.«

»Islamophobie«-Berichte, die diese Tatsache ignorieren und allein Benachteiligung und Unterdrückung zum Hebel bei der Prävention von Radikalisierung und Diskriminierung erklären, sind ein wichtiges Instrument des Frérismus, indem versucht wird, Vorschläge für die Umerziehung des Blicks von Fachleuten, Journalisten oder Lehrern in ihrem Sinn zu liefern. Vertreter der Muslimbrüder sitzen inzwischen in europäischen Netzwerken, die unter anderem die EU beschuldigen, nicht genügend gegen »strukturelle Islamophobie« zu tun – und damit quasi selbst schuld an der Radikalisierung sein soll.

Zunehmende Radikalisierung

Seit dem 7. Oktober 2023 ist eine zunehmende Radikalisierung von Muslimen in Europa zu beobachten. Journalisten und Polizisten werden vermehrt auf »pro-palästinensischen« Demonstrationen und von kriminellen Clans angegriffen und teilweise sogar mit dem Tod bedroht; Universitäten verwüstet und deren Studierende und Personal, die sich dem entgegensetzen, bedroht. Zeitgleich verteidigen Universitätsleitungen solche Aktionen als Meinungsfreiheit und Dialog.

Das Buch Kalifat nach Plan gibt erläuternde Hinweise, wie und warum das alles geschieht. Bergeaud-Blackler zeigt, dass die Entwicklung auch das Resultat einer erfolgreichen Strategie zur Aushöhlung westlicher Werte und Gesellschaften ist. Was nun folgen muss, ist zum einen die Erkenntnis der wohlmeinenden Unterstützer der Fréristen, dass sie und die Freiheit missbraucht werden und an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen.

Zum anderen müssen die demokratischen Regierungen Europas endlich effektiv und ohne Bedenken vor den üblichen Vorwürfen von Rassismus und Islamophobie die von ihnen finanzierten Einrichtungen, die von diesen antidemokratischen Bestrebungen benutzt werden, auf den Prüfstand stellen. Alles andere läuft auf ein Erstarken der rechtsextremen, linksradikalen und islamistischen Kräfte in Europa hinaus und nicht zuletzt auf eine Spaltung der Gesellschaften. Auf dem Weg dorthin sind wir bereits.

Florence Bergeaud-Blackler, Kalifat nach Plan – Frérismus und seine Netzwerke in Europa, Tübingen 2025. Ausgezeichnet mit dem Prix Science et Laïcité 2023. Die deutsche Übersetzung erscheint in der Reihe Schriften zur Islamgeschichte und zum Koran vom Verein INARAH, die von Markus Groß und Robert M. Kerr herausgegeben wird.

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