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Der digitale Dschihad gegen Israel

Nazifizierung Israels: die Täter-Opfer-Umkehr gehört zu einem der beliebtesten Instrumente des digitalen Dschihads
Nazifizierung Israels: die Täter-Opfer-Umkehr gehört zu einem der beliebtesten Instrumente des digitalen Dschihads (© Imago Images / NurPhoto)

Die Stimmungsmache gegen Israel in den sozialen Medien hat eine bedrohliche Schärfe und zugleich einen geistigen Tiefpunkt erreicht. Postings ersetzen Analyse durch Agitation und Geschichtsrevisionismus.

Die wild grassierende Welle des Antisemitismus im Kontext des Nahostkonflikts zeigt sich nicht nur bei Demonstrationen mit israelfeindlichen Schlachtparolen, sondern auch bei brutalen Angriffen auf Juden – sei es auf offener Straße oder in der trügerischen Zuflucht des Internets. Letzteres ist längst zu einem dunklen Nährboden für Hass, Lügen und Geschichtsverzerrung verkommen. Hier entfalten sich, ganz egal, ob salopp oder subtil artikuliert, erstaunlich wirksame Strategien zur Relativierung historischer Verbrechen.

Ein wortwörtlich brandaktuelles Beispiel ist ein Posting von Tarek Baé auf X vom 19. Oktober, in dem er den Hamas-Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 mit der Aussage »›Der 7. Oktober‹ ist Israels ›Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen‹« kommentierte.

Wer diesen Satz heutzutage auf den 7. Oktober 2023 bezieht, betreibt nicht bloß eine rhetorische Entgleisung, sondern inszeniert eine gezielte Verdrehung der Wirklichkeit, da diese Wortwahl nicht zufällig gewählt wurde: Der berühmt-berüchtigte Satz »Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen« stammt von Adolf Hitler aus einer Rede vom 1. September 1939 in der Kroll-Oper in Berlin, der vorübergehenden Ausweichstätte des Reichstags nach dem Brand von 1933. Hitler schleuderte diese Worte wie ein Mündungsgeschoss in die Welt, um den Überfall auf Polen als Akt der Selbstverteidigung zu tarnen. Was folgte, war ein Weltkrieg mit bis zu 60 Millionen Toten, darunter sechs Millionen Juden.

Die rhetorische Täuschung Hitlers war der erste Schlag eines beispiellosen Vernichtungskriegs. Und genau diese Sprache taucht heute erneut auf, jedoch ohne Kontext, banalisiert und instrumentalisiert. Sie wird zur Waffe gegen Israel, zur gezielten Umkehrung von Täter und Opfer.

Den 7. Oktober 2023 in dieser Weise mit dem 1. September 1939 in Verbindung zu bringen, greift nicht nur historisch zu kurz, sondern gefährdet das Verständnis für beides, nämlich den Beginn eines Weltkriegs und das Ausmaß eines gezielten Terrorangriffs, denn die Hamas verübte an diesem Tag das tödlichste Massaker an jüdischen Menschen seit der Shoah. Die Bezugnahme auf NS-Rhetorik in diesem Zusammenhang dient der Delegitimierung Israels, wobei die Sprache der Shoah-Täter instrumentalisiert wird, um den jüdischen Staat moralisch anzugreifen. Das ist nicht nur eine semantische Grenzverletzung, es ist eine Attacke auf das historische Gedächtnis, auf Wahrheit und auf Verantwortung.

Tragweite und Taktiken

Problematisch ist nicht nur die Denkweise, sondern auch deren Verbreitung und die damit verbundene Tragweite. Binnen eines Tages wurde das Posting von Tarek Bae über 70.000-mal aufgerufen. Dabei bemisst sich die virale Natur derartiger Sprüche keineswegs nur in Klickzahlen. Immer wieder wird die Tastatur zur Verharmlosung oder zur Verherrlichung des Terrors benutzt. Es handelt sich um »Internet-Intifadisten« – so lässt sich treffend jene lose, unheilige Allianz von Aktivisten, Meinungsmachern und digitalen Lautsprechern benennen, die auf Plattformen wie X, Instagram oder TikTok eine enorme Reichweite genießen.

Der digitale Dschihad gegen Israel wird dabei nicht nur mit Parolen geführt, sondern auch mit Bildern, Symbolen und geschichtspolitischer Verdrehung, oft ästhetisch verpackt, emotional aufgeladen und strategisch getaktet. Zwischen Memes, Märtyrer-Pathos und vermeintlicher Aufklärung verbreiten sie eine narrative Infrastruktur, die antisemitische Deutungsmuster neu kodiert und massentauglich macht.

Ein zentraler Mechanismus dieser Relativierung ist der Versuch, aktuelle Gräueltaten an Juden als Reaktion auf angebliche oder tatsächliche vorausgegangene Gewalt darzustellen. So konstruieren die Täter einen ideologischen Teufelskreis, in dem sie ihre heutigen Verbrechen als historische Notwehr inszenieren und dadurch Verantwortung verschieben, Schuld umkehren und antisemitische Gewalt rhetorisch legitimieren. Auch weniger aggressive Angehörige der Free-Palestine-Bewegung betonen unermüdlich, dass es »nicht am 7. Oktober [2023]« begonnen hat. Und tatsächlich haben sie damit zwar auf einer bestimmten Ebene recht, aber nicht in dem von ihnen intendierten Sinn.

Gefährliche Bildungslücken

Schon vor dem 7. Oktober 2023 gab es bezüglich des heutigen Konflikts im Nahen Osten historisch wichtige Entwicklungen. Doch über diese reden die »Israelkritiker« nicht so gerne, da sie nicht ins eigene Narrativ passen. Als ein Beispiel von vielen ist einer der gefährlichsten islamistischen Agitatoren zu nennen, nämlich der Großmufti von Jerusalem, der von 1941 bis 1945 unbehelligt in Deutschland lebte.

Dieser Mohammed Amin al-Husseini bot dem deutschen Generalkonsul Heinrich Wolff bereits am 31. März 1933 die Unterstützung des NS-Regimes an, unmittelbar vor dem nationalsozialistischen Boykott gegen Juden, dessen Ziel es war, den als »schädlich und zu bekämpfenden« empfundenen jüdischen Einfluss auf Wirtschaft und Politik zu eliminieren. 1941 traf sich al-Husseini mit Adolf Hitler in Berlin. Der Islamist bewunderte die Nationalsozialisten und kollaborierte mit ihnen. Auf Anordnung Hitlers erhielt al-Husseini eine »arisierte« Residenz sowie einen beachtlichen Mitarbeiterstab in Berlin. Häufig predigte der Großmufti von der Wilmersdorfer Moschee aus und nutzte dafür deutsche Radiosender, um global zum Dschihad gegen Juden aufzurufen.

Auch SS-Führer Heinrich Himmler war von al-Husseini begeistert, da dieser auf dem Balkan Muslime für die Waffen-SS rekrutierte. Zudem setzte sich al-Husseini für die Blockade von Fluchtwegen für Juden aus Osteuropa ein, die verzweifelt versuchten, dem Holocaust zu entkommen.

Hitler versprach dem Großmufti, die Juden im britischen Mandatsgebiet Palästina zu vernichten. Im Gegenzug bot al-Husseini dem Afrikakorps den Einsatz arabischer Guerilla-Banden an. In Erwartung des erfolgreichen deutschen Vormarschs in Nordafrika markierten Araber in Palästina im Jahr 1942 bereits ihre Besitzansprüche auf jüdische Häuser mit Kalkzeichen. Viele Juden besorgten sich damals Cyanid, um beim befürchteten Einmarsch der Nazis die Möglichkeit zu haben, sich selbst zu töten.

1945 geriet al-Husseini als Kriegsverbrecher in Gefangenschaft. Ein Jahr später erhielt er Asyl in Ägypten. Allerdings wirkte er weiterhin mit hohem Ansehen. Er war ein Mentor für den jungen Jassir Arafat, den er mithilfe eines deutschen Ex-Offiziers ausbildete.

Der 1974 im Libanon verstorbene Islamist Amin al-Husseini gilt als einer der ideologischen Wegbereiter der Hamas, der Hisbollah und des Netzwerks al-Qaida. Ihm war es gelungen, den alten Antisemitismus mit dem neuzeitlichen Judenhass und der Leugnung des Holocausts in der muslimischen Welt zu verbinden. Trotz seiner engen Verbindung zum nationalsozialistischen Regime ist Amin al-Husseini keine besonders bekannte historische Person, und genau solche Bildungslücken kommen uns heute teuer zu stehen.

Wir stehen vor einer besonderen Verantwortung. Selbst bei Äußerungen, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sind und keine unmittelbaren Straftatbestandsmerkmale aufweisen, müssen Medien und Gesellschaft aufhorchen, aufdecken und aufklären. Denn es ist wichtig, den antisemitischen Schlachtparolen gewissermaßen Paroli zu bieten. Bislang aber bleibt der große Aufschrei seitens linker bzw. progressiver Kreise aus. So verfestigt sich der Eindruck, dass die Presse bei jedweder vermeintlichen Überschreitung eines woken Dogmas – selbst im Bagatellbereich – überaus empört reagiert, während sie bei geschichtsrevisionistischer Agitation zurückhaltender agiert, wenn überhaupt.

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