Während der syrische Präsident Bashar al-Assad mit unbekanntem Aufenthaltsort auf der Flucht sein soll, bietet sein Premierminister den islamistischen Rebellen eine Zusammenarbeit für den politischen Übergang an.
Der Sturz der syrischen Regierung beendete am Sonntagmorgen die fünfzigjährige Herrschaft der Assad-Familie, nachdem eine unerwartete und schnelle Offensive islamistischer Rebellen innerhalb von zehn Tagen in das von der Regierung gehaltene Gebiet eindrang und heute Nacht auch die Hauptstadt Damaskus eroberte.
Das syrische Staatsfernsehen strahlte die Videobotschaft einer Gruppe von Männern aus, in der es hieß, Präsident Bashar al-Assad sei gestürzt und alle Häftlinge in den Gefängnissen seien freigelassen worden. Der die Erklärung Verlesende sagte, die Operationszentrale zur Eroberung von Damaskus habe alle oppositionellen Kämpfer und Bürger aufgefordert, die staatlichen Institutionen des »freien syrischen Staates« zu bewahren.
In den Straßen der Hauptstadt waren jubelnde Bewohner zu sehen, als die islamistischen Rebellengruppen den Abgang des »Tyrannen Assad« verkündeten und »die Stadt Damaskus für befreit« erklärten. »Nach fünfzig Jahren Unterdrückung unter der Baath-Herrschaft und dreizehn Jahren [seit Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011] voller Verbrechen, Tyrannei und Vertreibung verkünden wir heute das Ende dieser dunklen Zeit und den Beginn einer neuen Ära für Syrien«, so die Rebellengruppen auf Telegram.
Rasante Entwicklungen
Die syrische Armeeführung teilte den Offizieren am Sonntag mit, dass Baschar al-Assads vierundzwanzigjährige autoritäre Herrschaft beendet sei, berichtete ein syrischer Offizier gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. In den oppositionellen Medien ausgestrahlte Szenen zeigten einen Panzer auf einem der zentralen Plätze der Stadt, während sich eine kleine Gruppe von Menschen zum Feiern versammelte. Aus den Moscheen ertönten »Gott ist groß«-Rufe, während Einwohner von Damaskus in den Straßen über den Fall des Diktators jubelten und die Statue von Assads Vater, dem verstorbenen Präsidenten Hafez al-Assad, stürzten.
Assad, der jegliche Form von Dissens unterdrückt hatte, flog am Sonntagmorgen von Damaskus aus zu einem unbekannten Zielort, wie zwei hochrangige Armeeoffiziere gegenüber der Nachrichtenagentur mitteilten, während die Rebellen angaben, ohne Anzeichen von Gegenwehr seitens der Armee in die Hauptstadt eingedrungen zu sein. Außerhalb von Damaskus eroberten sie innerhalb von vierundzwanzig Stunden den gesamten Südwesten des Landes und übernahmen die vollständige Kontrolle.
Zwischenzeitlich erklärte Premierminister Mohammed al-Jalali, er sei bereit, mit »jeder vom syrischen Volk gewählten Führung« zusammenzuarbeiten. Dieser rasante Zusammenbruch des Regimes markiert einen in seinen Auswirkungen noch kaum abzuschätzenden Moment für den Nahen Osten, der die Herrschaft der Assad-Familie über Syrien beendet und Russland und dem Iran einen schweren Schlag versetzt, die einen wichtigen Verbündeten im Herzen der Region verloren haben.
»Wir feiern mit dem syrischen Volk die Nachricht von der Befreiung unserer Gefangenen und der Sprengung ihrer Ketten sowie die Ankündigung vom Ende der Ära der Ungerechtigkeit im Sednaya-Gefängnis«, erklärten die Aufständischen unter Bezugnahme auf ein großes Militärgefängnis am Stadtrand von Damaskus, in dem das Regime Tausende von Menschen unter grausamen Bedingungen und Folter gefangen hielt.
Der syrische Rebellenführer Ahmed al-Sharaa gab ein Näherungs- bzw. Betretungsverbot aller öffentlicher Einrichtungen bekannt, die bis zu ihrer offiziellen Übergabe unter Aufsicht des »ehemaligen Premierministers« stünden. Dennoch stürmte eine Menge von Menschen Assads verlassenen Palast, wie online veröffentlichte Aufnahmen zeigen.
Die rasanten Entwicklungen in Damaskus ereigneten sich nur Stunden nachdem die islamistische Gruppe Hayat Tahrir al-Sham bekannt gab, die strategisch wichtige Stadt Homs auf dem Weg in die Hauptstadt eingenommen zu haben.
Aufenthaltsort unbekannt
Der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, sagte gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP, Assad habe »Syrien über den internationalen Flughafen von Damaskus verlassen, bevor die Sicherheitskräfte der Armee die Einrichtung räumten«. Die New York Times berichtete, dass in den sozialen Medien geteilte Screenshots der Website Flightradar nur einen einzigen Flug zeigten, der Damaskus verließ, als die Rebellen einrückten. Dieser Flug ging nach Moskau.
Auf die Berichte über die Flucht des Präsidenten folgte schließlich die bereits erwähnte Aussage des Premierministers, er sei bereit, mit einer neuen Führung und jedem Übergabeprozess »zusammenzuarbeiten«. »Dieses Land kann ein normales Land sein, das gute Beziehungen zu seinen Nachbarn und der Welt aufbaut. Aber das liegt bei der Führung, die vom syrischen Volk gewählt wird«, sagte Mohammed al-Jalali in einer auf seinem Facebook-Account veröffentlichten Rede. Er selbst, der nicht auf Berichte einging, wonach Assad das Land verlassen habe, werde am Morgen in sein Büro gehen, um die Arbeit fortzusetzen, und forderte die Bürger auf, öffentliches Eigentum nicht zu beschädigen.
Internationale Reaktionen
US-Präsident Joe Biden und sein Team beobachteten die »außergewöhnlichen Ereignisse in Syrien« sehr genau und stünden in Kontakt mit regionalen Partnern, so das Weiße Haus in einer ersten Stellungnahme. Der designierte Präsident Donald Trump meinte, die USA sollten sich nicht in den Konflikt einmischen und »ihn seinen Lauf nehmen lassen«. Unabhängig davon bestätigte auch Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan, die Regierung habe nicht die Absicht, einzugreifen.
Eine der libanesischen Hisbollah – die Assad seit Jahren unterstützt und auf seiner Seite in den syrischen Bürgerkrieg eingegriffen hatte – nahestehende Quelle erklärte, deren Truppen hätten »ihre Stellungen um Damaskus geräumt«. Die Hisbollah »hat ihre Kämpfer in den vergangenen Stunden angewiesen, sich aus der Gegend von Homs zurückzuziehen, wobei einige nach Latakia [in Syrien] und andere in die Gegend von Hermel im Libanon gehen«, teilte die Quelle gegenüber der Nachrichtenagentur AFP mit.
Das Tempo der Ereignisse hat auch die arabischen Hauptstädte völlig überrascht und Ängste vor einer neuen Welle regionaler Instabilität geweckt. Katar, Saudi-Arabien, Jordanien, Ägypten, Irak, Iran, die Türkei und Russland gaben ein gemeinsames Statement ab, in dem sie die Krise als gefährliche Entwicklung bezeichneten und eine politische Lösung forderten.