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Crystal Meth dominiert Iraks Drogenszene

Ausstellung gegen Drogenkonsum unter Jugendlichen im Irak
Ausstellung gegen Drogenkonsum unter Jugendlichen im Irak (© Imago Images / Xinhua)

In den letzten Jahren stiegen im Irak sowohl der Drogenhandel als auch der Konsum rasant an, doch der Staat hat massive Schwierigkeiten, das Suchtgiftproblem unter Kontrolle zu bringen. 

Unter Saddam Hussein war der Irak weitgehend frei von Drogen, auf Konsum und Handel stand die Todesstrafe. In den chaotischen Jahren nach der US-geführten Invasion im Jahr 2003 kamen nicht nur Pilger und Handelsgüter über die offenen Grenzen zum Iran, sondern auch immer mehr Drogen. Bereits 2005 warnte die UN, dass der Irak zu einem Haupttransitland für Rauschgift geworden sei, das, aus Afghanistan kommend, auf die Arabische Halbinsel und nach Europa geschmuggelt werde. 

Zwanzig Jahre nach dem Sturz Saddams ist der Irak längst von einem Transit- zu einem Konsumland für Suchtmittel aller Art geworden. Seit einigen Jahren sickert eine neue Droge über die alten Routen ins Land ein: Die synthetisch hergestellte Substanz Methamphetamin, bekannt unter dem Namen Crystal Meth.  

Es heißt, dass die Droge seit 2014 im Irak an Verbreitung gewann. Damals nahmen irannahe Milizen, die den Islamischen Staat bekämpften, Crystal Meth zu sich, um länger wach zu bleiben und Hunger und Ängste zu unterdrücken. 

Damit standen die schiitischen Milizen in einer langen Tradition von Streitkräften, die die Wirkung dieser Variante von Amphetamin im Kampf nutzten. Die deutsche Wehrmacht verwendete die damals als »Panzerschokolade« oder »Fliegermarzipan« bekannte Droge im Zweiten Weltkrieg, um das Durchhaltevermögen der Soldaten zu steigern. Das US-Militär gab den Wirkstoff während des Vietnamkriegs an seine Truppen aus, und auch unter Extremsportlern wurde es geschätzt: Der österreichische Alpinist Hermann Buhl warf sich das Zeug bei seiner Erstbesteigung des über achttausend Meter hohen Nanga Parbat im Himalaya ein.  

Captagon, Crystal, Haschisch

»Crystal Meth dominiert heute die irakische Drogenszene«, stellt Oberst Belal Subhi von der Anti-Drogen-Abteilung des Innenministeriums in Bagdad fest. Das »Ice« oder »Shabu«, wie es in der Szene auch genannt wird, werde in Afghanistan und im Iran hergestellt und gelange, wie auch Cannabis, über die südliche Provinz Maysan ins Land. 

Über die westlichen Grenzen werde vor allem Captagon, das am häufigsten konsumierte Amphetamin im Nahen Osten, in den Irak geschmuggelt. Millionen dieser in Syrien und dem Libanon hergestellten Pillen gelangen über die syrisch-irakische Grenze in die Provinz Anbar. Was nicht im Land konsumiert wird, gehe weiter in die Golfregion. »Die Routen sind bekannt«, so Subhi im Gespräch mit dem Autor. Aber die Einheiten zur Drogenbekämpfung seien unterbesetzt und unterfinanziert und es fehle an Hightech-Ausrüstung. 

Alte Routen, neue Drogen

Auf seinem Weg von Afghanistan und Pakistan nach Westen folgt Crystal Meth den Pfaden des früheren Opium- und Heroinhandels. Die Route nach Europa führt von Afghanistan in den Iran und weiter in die Türkei, von wo aus die Droge über den Land- oder Seeweg in die EU gelangt. Eine weitere Route verläuft vom Iran in den Irak und dann über Syrien in die Türkei. Der größere Teil der Ware verbleibt aber im Irak bzw. wird auf die Arabische Halbinsel weitertransportiert.

Das Einfallstor für Crystal Meth in den Irak ist die südliche, an den Iran grenzende Provinz Maysan. Das Geschäft mit den Drogen ist für viele in dieser Region die einzige Alternative zu Arbeitslosigkeit und Verarmung. Die Zahl der Arbeitslosen in der Provinz ist hoch, die Analphabetenrate mit zweiundzwanzig Prozent die höchste im Land. Dominiert wird der Handel von kriminellen Organisationen und Familienclans mit weitreichenden Netzwerken, auf deren Gehaltslisten auch Regierungsbeamte stehen. Aber auch schiitische Milizen, die einzelne Grenzübergänge zum Iran kontrollieren, verdienen am Schmuggel und Handel mit Drogen

Oberst Belal Subhi sieht weniger die Milizen als Ganzes involviert als vielmehr einzelne Personen aus ihren Reihen. »Sie nutzen ihre Position, um Checkpoints ohne Kontrolle passieren zu können und auf diese Weise Drogen zu schmuggeln.« Andere lassen sich bestechen und sehen weg, wenn die Schmuggler ihre Ware über die Grenze schaffen.

Gefährlicher Kampf gegen Drogenkriminalität

Versuche, den Drogenschmuggel und -vertrieb einzudämmen, sind nur teilweise erfolgreich. Vielfach gehen nur die kleinen Fische ins Netz der Beamten. Die Köpfe der Schmugglernetzwerke werden oft ignoriert, weil sie gute Beziehungen zu einflussreichen Politikern pflegen.

Jene, die sich dem Kampf gegen den Drogenschmuggel und -handel verschrieben haben, geraten ins Visier der Kriminellen. Polizeibeamte und ihre Familien werden mit dem Tod bedroht. Im Februar dieses Jahres wurde ein auf Drogendelikte spezialisierter Richter in Amara, der Hauptstadt der Provinz Maysan, in seinem Auto erschossen. Im September erschossen unbekannte Täter einen General der Drogenabteilung und seinen Fahrer vor einem Restaurant fünfzehn Kilometer südlich der Provinzhauptstadt.

Kleine Erfolge, unsichere Zukunft

Trotz der bescheidenen Ausstattung kann Oberst Subhis Anti-Drogen-Abteilung Erfolge vorweisen: »Während der letzten acht Monate konnten wir mehr als dreihundert Kilo Drogen beschlagnahmen«, so Subhi. Bei siebzig Prozent davon handle es sich um Crystal Meth, hinzu kamen mehr als vierzehn Millionen Captagon-Pillen und andere Substanzen.  

Dennoch ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Um das Problem einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen, müsste die Anti-Drogen-Abteilung besser ausgestattet werden. »Wir brauchen Wärmebildkameras, um die Aktivitäten der Schmuggler auch nachts verfolgen zu können, und Drohnen, um die Grenzen besser zu überwachen«, so Subhi. Darüber hinaus müssten die Einsatzkräfte professionell ausgebildet und das Budget aufgestockt werden. So fehle es bereits beim Geld, um Informanten zu bezahlen: »Unsere Leute können den Spitzeln oft nicht mehr als eine Telefonwertkarte anbieten – das ist natürlich nicht sehr überzeugend.«

Aber nicht nur die Beamten bei ihrem Kampf gegen die Drogenschmuggler stehen auf verlorenem Posten. Auch die Tausenden von Crystal-Abhängigen werden mit ihrer Sucht meist allein gelassen. Derzeit gibt es zu wenige Standorte im Irak, an denen ein medizinisch begleiteter Entzug angeboten wird. Auch wenn langsam das Bewusstsein für die Notwendigkeit solcher Kliniken bei den verantwortlichen Politikern zu wachsen scheint: Im Juni dieses Jahres wurde in Bagdad eine Entzugsklinik mit hundertfünfzig Betten eröffnet. Experten begrüßen das, insgesamt gebe es aber immer noch zu wenig professionelle Hilfe für Süchtige.

Aufgrund der endemischen Korruption, der schlechten Wirtschaftslage und der Schwäche des Sicherheitssystems wird das Drogenproblem im Irak wohl auch in den nächsten Jahren nicht verschwinden. Das betrifft nicht allein die irakische Gesellschaft, sondern auch die Nachbarländer, wohin die Drogenströme über den Irak fließen. Dass laut einem UN-Bericht Crystal Meth nun auch in illegalen Labors im Irak selbst hergestellt wird, verheißt nichts Gutes.

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