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Corona: Online-Unterricht stellt viele Marokkaner vor finanzielle Probleme

Die Schulen in Marokko sind wegen Corona geschlossen
Die Schulen in Marokko sind wegen Corona geschlossen (© Imago Images / Xinhua)

Fernunterricht soll in Marokko in Zeiten der Covid-19-Pandemie dafür sorgen, dass die Schüler nicht zu viel Unterricht verpassen. Doch Eltern mit geringem Einkommen klagen über hohe Kosten für das Internet.

Am 16. März stellte das Königreich den Betrieb in allen Schulen, Kindergärten und Universitäten des Landes ein, „bis auf weiteres“, wie es hieß. In einer gemeinsamen Erklärung forderten die Ministerien für das Innere, die Gesundheit und die Bildung die Schüler auf, zu Hause zu bleiben und Reisen, Sport und sonstige außerhäuslichen Aktivitäten einzustellen.

Fernunterricht

Diese bedeute aber für die Schüler „keinen Urlaub“, stellte die Regierung sogleich klar: Die Schüler wurden aufgefordert, Unterrichtseinheiten zu folgen, die sie auf der vom Bildungsministerium eingerichteten Website TelmidTice finden, oder die über den Fernsehkanal Arrabia ausgestrahlt werden. So könnten sie den Unterricht zu Hause fortsetzen.

Alle nötigen Maßnahmen seien ergriffen worden, um den Erfolg des Fernunterrichts sicherzustellen, versicherte Bildungsminister Said Amzazi am 15. März. Die Website TelmidTice diene als „Verbindung zwischen den Bildungsinstitutionen, den Lehrern und den Schülern“. Für die Schüler, die weder Zugang zu Internet noch Fernsehen hätten, werde ein Radioprogramm eingerichtet.

Die Priorität, so Amzazi, liege bei den Schülern, die sich auf das Baccalaureate (Abitur) vorbereiten, sowie den Abschlussjahrgängen der weiterführenden Schulen und den sechsten Klassen der Grundschulen (vergleichbar der ersten Grundschulklasse in Deutschland). „Das Ministerium hat ein breites Angebot und ist Tag für Tag damit beschäftigt, Unterrichtseinheiten zu erstellen“, so der Minister. Einige Wohltätigkeitsorganisationen verteilten sogar kostenlose Smartphones.

Explodierende Kosten

Doch nun „explodiere“ für viele marokkanische Eltern die Telefonrechnung, berichtet die französische Tageszeitung Le Monde. Zwar seien die Internetkurse selbst kostenlos, doch um mit den Lehrern in Kontakt zu bleiben, gebe es keine andere Möglichkeit als das Telefon, was für viele eine enorme finanzielle Bürde ist.

„Die Ungleichheiten in der Schule in Marokko waren noch nie so auffällig wie zu Zeiten der Ausgangsbeschränkung“, so die Reporterin Ghalia Khadiri: „Es gibt Schüler, für die das Lernen auf dem Bildschirm selbstverständlich ist und die niemals einen Online-Kurs oder eine Videokonferenz verpassen. Und diejenigen, für die jede Verbindung, jede E-Mail, jede digitale Aufgabe eine Herausforderung ist.“

Und zwar eine, die Kosten für die Familie bedeutet. „Ich muss teuer für die Internetverbindung bezahlen, damit meine Tochter dem Onlineunterricht folgen kann“, zitiert Ghalia Khadiri die 42-jährige Putzfrau Fatima-Zohra, die in einem armen Bezirk in der Nähe von Casablanca lebt. Weder sie noch ihre Nachbarn hätten eine DSL-Verbindung.

Ein Viertel des Gehalts

Obwohl in Marokko nach Angaben der nationalen Regulierungsbehörde für Telekommunikation 71 Prozent der Haushalte mit Internet über das Festnetz ausgestattet sind, nutzen 93 Prozent der Marokkaner das mobile Internet, denn das Festnetzinternet ist zumeist langsam. „Die Festnetzinfrastruktur auf marokkanischem Gebiet ist unzureichend, insbesondere in ländlichen Gebieten, in denen es nur sehr wenige DSL-Anschlüsse gibt“, sagt der Telekommunikationsexperte Khalid Ziani gegenüber Le Monde.

Das Problem mit dem mobilen Internet: Zu 90 Prozent zahlen die Kunden im Voraus, mit einem Prepaid-Tarif, obwohl dieser viermal so hoch ist wie der Internettarif für Vertragskunden. „Aber Menschen mit unregelmäßigem Einkommen haben keine Wahl, und die Hälfte der Marokkaner hat kein Bankkonto. Es ist ihnen unmöglich, sich für ein Abonnement anzumelden“, so Ziani.

Und so, berichtet, Le Monde, zahlen Eltern wie Fatima-Zohra nun deutlich mehr: „Früher habe ich 100 Dirham (ungefähr 9 Euro) pro Monat bezahlt. Seit meine Tochter mein Handy für den Schulunterricht benutzt, sind es 100 Dirham pro Woche, ein Viertel meines wöchentlichen Gehalts, und das jetzt, wo es keine Arbeit mehr gibt.“

Ziani sagt, es sei ein Skandal, dass die Ärmsten den höchsten Preis für Fernunterricht zahlen müssten. „Die digitale Kluft verschärft sich: Ein kleiner Teil der Bevölkerung hat eine Flatrate zu einem erschwinglichen Preis, während die Mehrheit nur eine sehr teure Verbindung mit beschränktem Volumen hat.“ Die Betreiber sollten den Internetzugang für Inhaber von Prepaid-Karten während der Ausgangsbeschränkung kostenlos machen, fordert er.

WhatsApp alleiniges Kommunikationsmittel

Die Kosten beim Onlineunterricht der Schüler entstehen dabei beileibe nicht nur für das Aufrufen einer Website: „Websites sind zu kompliziert. Die Schulen wissen wir sehr gut, dass die WhatsApp-Gruppen die Hauptkommunikationsmittel sind“, sagt Fatima-Zohra. „Lehrer verwenden die App, um Voicemails zu senden. Aber jeder Download kostet mich.“

Und selbst wenn der Unterricht auch auf nationalen Fernsehkanälen ausgestrahlt wird, bleibt WhatsApp das alleinige Kommunikationsmittel mit den Lehrern.

„Es ist eine Schande, sagt Jalal Bricha, Direktor der Act School, einer Schule in Youssoufia, die jungen Marokkanern in Schwierigkeiten ein kostenloses Bildungs- und Kulturprogramm anbietet. „Während der Ausgangsbeschränkung wurden viele Ideen und Initiativen zur Selbsthilfe ins Leben gerufen, um den Schülern auf unterhaltsame und intelligente Weise zu helfen. Leider ist das Problem des Internetzugangs ein Hindernis für ihre Verwirklichung.“

Bricha hat nachgerechnet: „Damit unsere Schüler den Unterricht aus der Ferne verfolgen können, müssten sie jeweils 1.000 Dirham (90 Euro) pro Monat ausgeben, das ist enorm viel.“

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