Von christlicher Seite wird die syrische Verfassungserklärung kritisiert, da sie keine Religionsfreiheit garantiere und die Gefahr einer Islamisierung des Landes in sich berge.
Die kurdische Nachrichtenagentur Rudaw zitierte am Donnerstag den christlichen Pastor Naim Youssef aus der syrischen Provinz Hasaka, der kritisierte, die am selben Tag veröffentlichte Verfassungserklärung des Landes garantiere keine echte Religionsfreiheit und berge die Gefahr, die Spaltungen im Land zu vertiefen, indem sie die islamische Rechtsprechung in den Mittelpunkt der Gesetzgebung stelle.
Anfang März hatte der Interimspräsident Syriens, Ahmad al-Sharaa, ein siebenköpfiges Komitee eingesetzt, das eine Verfassungserklärung für die Übergangsphase des Landes entwerfen sollte, und von der am Donnerstag eine Entwurfsversion unterzeichnet wurde. Das Komitee teilte Journalisten zu diesem Anlass mit, die Erklärung basiere auf der islamischen Rechtsprechung und sehe einen Muslim als Präsident vor.
Damit sei es »unmöglich, von wahrer Religionsfreiheit zu sprechen, solange die islamische Rechtsprechung die grundlegende Quelle der Gesetzgebung ist. Dadurch werden alle anderen Gesetze zu Geiseln religiöser Auslegung, was dem Prinzip der vollen Staatsbürgerschaft widerspricht«, sagte der von Rudaw interviewte Naim Youssef.
Das von der Erklärung pro forma ins Feld geführte Konzept der Religionsfreiheit sei angesichts von dessen realer Verfasstheit nichts weiter als »unechte Freiheit«, was sich nicht zuletzt daran zeige, dass »alles, das der islamischen Rechtsprechung widerspricht, abgelehnt wird«. »Wahre Freiheit bedeutet Gleichheit für alle, aber nach der islamischen Rechtsprechung kann ein Christ Muslim werden, aber ein Muslim hat kein Recht, Christ zu werden. Dies steht in krassem Widerspruch zu den Menschenrechten.«
Angst vor Islamisierung
Viele Syrer und internationale Akteure haben ihre Besorgnis darüber geäußert, dass die von Übergangspräsident al-Sharaa geführte islamistische Gruppe Hay’at Tahrir al-Sham (HTS) dem Land eine strenge religiöse Herrschaft auferlegen und Minderheitengruppen wie Kurden, Drusen, Christen und Alawiten bedrohen könnte.
Youssef schloss sich diesen Befürchtungen an und berichtete von jüngsten Vorfällen, die klar machten, das »die Einmischung in die persönlichen Freiheiten zu einer Katastrophe geworden ist«. So würden etwa Christen schikaniert werden, weil sie während des islamischen heiligen Monats Ramadan nicht fasteten. Im Internet kursierende Videos zeigen Islamisten, die Christen belästigen. Bei den jüngst im Alawiten-Gebiet an der Küste stattgefundenen Massakern waren laut christlichen Menschenrechtsbeobachtern mindestens vier Christen getötet worden.
Assyrische und syrische Christen in Syrien sind seit Jahrzehnten der Verfolgung ausgesetzt. »Vor Beginn des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 machten die Assyrer etwa 30.000 der 1,2 Millionen Christen in Syrien aus, aber Angriffe des Islamischen Staates und von der Türkei unterstützter Milizen haben die Gemeinschaft im Land an den Rand des Aussterbens gebracht«, schrieb Rudaw in seinem Bericht.
Im Dezember forderte der stellvertretende Vorsitzende der Partei der Assyrischen Union, Sanharib Barsoum, die nächste syrische Verfassung müsse die Rechte der assyrischen und aramäischen christlichen Minderheiten garantieren. Nun kritisierte Youssef, dass dies nicht gewährleistet sei und bezeichnete den Verfassungsentwurf als »einseitigen Ansatz«, der wichtige Komponenten der syrischen Gesellschaft ausschließe. Er stellte in Aussicht, nach der Fertigstellung des Entwurfs Einwände bei den zuständigen Behörden einreichen zu wollen.