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Bloß ein bisschen Israelkritik: »Bist du Jude, oder was?«

In Montpelliers Straßenbahn kam es zu dem Angriff, den der Täter bloß als Israelkritik verstanden wissen wollte
In Montpelliers Straßenbahn kam es zu dem Angriff, den der Täter bloß als Israelkritik verstanden wissen wollte (© Imago Images / Dreamstime)

Vor Gericht im französischen Montpellier erklärte der Angreifer, er habe nicht aus Antisemitismus, sondern aus Trauer über die von Israel verursachten Toten in Gaza gehandelt.

In der französischen Universitätsstadt Montpellier ist ein antisemitischer Gewalttäter am Montag zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden, davon ein Jahr auf Bewährung. Das Urteil erging sechs Tage nach der Tat. 

Am Dienstag, den 6. August, gegen vierzehn Uhr hatte der 48-jährige Arbeitslose Halim E. in der Straßenbahn einen Mann antisemitisch beschimpft und anschließend zusammengeschlagen. »Bist du Jude?«, fragte er immer wieder einen anderen Fahrgast, den 67-jährigen Pariser Rentner Jean-Yves, der mit seiner Lebensgefährtin auf Urlaub war. »Bist du Jude, oder was?« Der Rentner erwiderte: »Was willst du, bist du Jude?« Weiterhin aggressiv erwiderte der Täter: »Du bist Jude, ich bin kein Jude, ich bin Marokkaner, ich werde deine Mutter ficken, beschissener Jude.« Dann schlug er dem Mann mit der Faust ins Gesicht, riss ihn zu Boden und traktierte das Opfer mit Fäusten, Tritten und einer Dose.

Jean-Yves wurde ein Zahn ausgeschlagen, seine Brille wurde zerbrochen, seine Schulter schmerzt. All dies geschah in Anwesenheit zahlreicher Fahrgäste. Eine Frau filmte den Vorfall, das Video verbreitete sich über die sozialen Medien. Jean-Yves ist nicht jüdisch und trug auch keine Kleidung oder Gegenstände, die ihn als Juden kenntlich gemacht haben könnten. 

Perla Danan, Präsidentin der Delegation Languedoc-Roussillon des CRIF (Conseil représentatif des institutions juives de France), des Dachverbands der jüdischen Organisationen Frankreichs, sagte in einem Fernsehinterview, Jean-Yves habe einen »kleinen traditionellen Hut« getragen. Keiner der anderen Fahrgäste sei eingeschritten oder habe den Alarmknopf betätigt. Nach dem Angriff hatte Danan einen Zeugenaufruf gestartet und Kontakt zu Jean-Yves aufgenommen. Sie fragte ihn, warum er seinem Angreifer nicht gesagt hat, dass er kein Jude sei: »Er sagte mir, das wäre feige gewesen. Und dass ihn der hasserfüllte Blick seines Angreifers an den Hass der Angreifer vom 7. Oktober 2023 erinnert hatte.«

Der Täter wurde in seiner Wohnung festgenommen. Die Polizei fand bei ihm die Kleidung jenes Angreifers, der auf den Videoaufnahmen zu sehen ist. Der Mann ist auf Korsika geboren, besitzt die französische Staatsangehörigkeit, wurde bereits wegen Gewalttaten und Drogendelikten verurteilt und »von den Gerichten als Kleinkrimineller angesehen«, so das Magazin Le Point

Trauer und nicht Antisemitismus

Vor Gericht sagte der Täter aus, was er getan habe, sei eine »Dummheit« gewesen, habe aber nichts mit Antisemitismus zu tun. Er sei betrunken gewesen. Seine eigene Erinnerung an den Vorfall beschrieb er vor Gericht so: »Als ich in die Straßenbahn stieg, zählte ich die Toten im Gazastreifen. Ich habe in der Straßenbahn laut mit mir selbst gesprochen. Ich verstand nicht, warum er mich so ansah, als ich über die Toten in Palästina sprach. Also fragte ich ihn, ob ihm die Sache Sorgen mache und ob er Jude sei. Aber daran ist nichts Antisemitisches.«

Der Journalistt von Le Point schildert Halims Erscheinung vor Gericht: »Der Mann, ein arbeitsloser, behinderter Arbeiter, trägt vor seinen Richtern ein rotes ›Ibiza‹-T-Shirt anstelle der Djellaba [traditionelles Kleidungsstück im Maghreb; Anm. Mena-Watch], die er am Tag des Angriffs trug und welche die Polizei bei ihm zu Hause voller Müll fand. ›Das liegt daran, dass ich am Vortag gefeiert habe‹, murmelt der Angeklagte. ›Ah, gut. Vorhin haben Sie uns gesagt, dass es an Ihrer Verzweiflung lag …‹, wundert sich die Präsidentin Marie-Josèphe Roblez. ›Ja, ich hatte meine Tante verloren.‹«

Im Zeugenstand wies der Täter den antisemitischen Charakter des Angriffs zurück, den er im Übrigen einräumte: »Ich war nicht in meinem normalen Zustand, ich war alkoholisiert, ich habe das in Bezug auf den aktuellen Kontext in Gaza gesagt«. Er gab zu, unter Alkohol- und Drogenabhängigkeit zu leiden. »Mein Mandant hat keine Freunde, nur Straßen- oder Barbekanntschaften«, argumentierte seine Anwältin Cécile Sauvage. »Er ist so isoliert, dass sein Leben aus sozialen Netzwerken besteht.« 

Beeinflussung durch Social-Media

Die Verteidigerin zeichnete das Porträt eines leicht zu beeinflussenden Mannes, der die meiste Zeit auf der Social-Media-Plattform TikTok verbringt, »wo ihm seine Umgebung jeden Morgen Videos über den israelisch-palästinensischen Konflikt schickt. … Er hatte diese dumme Reaktion. Das Erste, das er mir sagte, war, dass er nicht wusste, warum er sich so verhalten hat.«

Das Gericht folgte mit seinem Urteil dem Plädoyer des Staatsanwalts. Er argumentierte, dass »die Juden Frankreichs nicht mit Ereignissen in Verbindung gebracht werden sollten, die viertausend Kilometer von hier entfernt stattfinden, man darf nicht alles miteinander verwechseln.«

Montpelliers sozialistischer Bürgermeister Michaël Delafosse begrüßte das Urteil auf dem Kurznachrichtendienst X. »Es sei Gerechtigkeit« geübt worden. Die Strafe, erläuterte er, sei »verbunden mit der Verpflichtung zur Behandlung seines Alkohol- und Betäubungsmittelkonsums, zur Absolvierung einer Ausbildung und eines Staatsbürgerschaftskurses. Außerdem wurde er zur Zahlung von 2.935 Euro Schadenersatz an das Opfer und 2.400 Euro an die verschiedenen Zivilparteien verurteilt.«

Vor zwei Monaten hatte der Bürgermeister Schlagzeilen gemacht, als er anordnete, abends die Beleuchtung des Rathauses auszuschalten, um an die »Tragödie der toten Kinder, der Zivilisten von Rafah« zu erinnern.

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