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Biden, Berlin und die iranische Bombe (Teil 2)

Heiko Maas auf dem Außenministertreffen der EU am 25. Januar 2020 in Brüssel
Heiko Maas auf dem Außenministertreffen der EU am 25. Januar 2020 in Brüssel (© Imago Images / photothek)

Deutschlands – in Teil 1 geschilderte – Forderung, die USA müssten dem Iran gegenüber in Vorleistung gehen, kollidiert mit Bidens Position, der Iran müsse zuerst seine Verpflichtung aus dem Atomdeal von 2105 erfüllen. Welche Linie verfolgt bei dieser Frage die EU?

Als die EU-Außenminister am 25. Januar 2021 zusammenkamen, stand der Iran-Deal prominent auf der Tagesordnung. Die jüngsten Anreicherungspläne Irans könnten „die diplomatischen Bemühungen … untergraben, eine Rückkehr der Vereinigten Staaten [zum Atomabkommen] zu ermöglichen“, hieß es in der vom EU-Außenbeauftragten Josep Borrell unterzeichneten Einladung zu diesem Treffen. [1]

Bei der anschließenden Pressekonferenz wurde dieses Thema jedoch nicht einmal erwähnt. Weil man sich in diesem Punkt nicht einig war?

Während das Kollektiv der E 3 in den ersten Wochen des neuen Jahres drei gemeinsame Erklärungen veröffentlichte, hat es seit dem Amtsantritt Joe Bidens keine gemeinsamen Stellungnahmen mehr gegeben. Weil gegenüber Bidens Iran-Politik die Differenzen überwiegen?

Das Scheitern der EU

Als Trump im Mai 2018 den Atomdeal verließ und dem Regime erneut Sanktionen auferlegte, um eine Kursänderung zu erzwingen, stellten sich Großbritannien, Frankreich und Deutschland – die sogenannten E 3, die den Atomdeal mit ausgehandelt hatten – nicht nur auf die Seite Teherans, sondern sie initiierten Finanzierungstricks, um die Sanktionen zu unterlaufen und den Atomdeal zu retten.

Gleichwohl begann Teheran im Mai 2019, die Bestimmungen des Atomabkommen gezielt zu verletzen. Jetzt aber verzichteten die Europäer auf Maßnahmen, sondern beließen es bei ermahnenden Worten. Ein Rückblick auf den „Erfolg“ dieser Strategie während der letzten sechs Wochen ist aufschlussreich:

  • 2. Dezember 2020: Irans Pseudo-Parlament fasst den Beschluss, die 20-Prozent-Anreicherung von Uran vorzubereiten, was dem Atomabkommen eklatant widerspricht.
  • 7. Dezember: Deutschland, Frankreich und Großbritannien bezeichnen dies als „zutiefst besorgniserregend. … Wenn es Iran ernst damit meint, Raum für Diplomatie zu erhalten, dann darf es diese Maßnahmen nicht umsetzen.“ [2]
  • 21. Dezember: Das Regime hat diese Maßnahme umgesetzt. Die Außenminister der am Atom-Deal beteiligten Staaten – die E 3, Russland, VR China und Iran – kommen unter der Leitung des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell zusammen. In einer gemeinsamen Erklärung wird darauf verzichtet, die provokanten Maßnahmen Irans auch nur zu erwähnen, wohingegen die Minister ihr „tiefes Bedauern“ über den Rückzug der USA aus dem Atomdeal zum Ausdruck bringen. [3]
    Zusätzliche Forderungen an die Adresse des Regimes – Stopp des Raketenprogramms, Beendigung der regionalen Expansion – bleiben unerwähnt. Alle Anwesenden, heißt es über diese Konferenz, seien sich darüber einig gewesen, dass man die USA davon überzeugen müsse, „zum Atomabkommen, so wie es ist, zurückzukehren, ohne Vorbedingungen und ohne Hinweis auf ergänzende Forderungen.“ [4]
  • 22. Dezember: Die staatlichen iranischen Medien jubeln. Sie sprechen von einer „Bändigung“ der europäischen Außenminister und feiern besonders die „Ablehnung der nicht-nuklearen Vorbedingungen“ durch die E 3 als einen Sieg, den man dank der „würdigen Position Irans“ und seiner Politiker habe erringen können. [5]
  • 2. Januar 2021: Die Nachgiebigkeit der E 3 macht dem Regime weiter Mut. Ali Akbar Salehi, der Vorsitzende der iranischen Atomenergie-Organisation, verkündet, dass man inzwischen mit der Produktion von 20 Prozent-Uran begonnen habe.
    Die martialische Art seiner Ankündigung unterstreicht den Zweck dieser Maßnahme: „Wir sind wie Soldaten“, erklärt Salehi im Staatsfernsehen. „Unsere Finger sind am Abzug. Der Oberbefehlshaber soll befehlen und wir werden schießen. Wir sind dazu bereit und werden [das höher angereicherte Uran] schnellstmöglich produzieren.“ [6]
  • 6. Januar: Erneut fordern die E 3 „nachdrücklich“, den Vertragsbruch zu beenden. [7]
  • 11. Januar: Die EU schließt sich dem Protest der E 3 an. Sie konzentrierte ihre Erklärung jedoch auf ein von Teheran geteiltes Ziel: Die Rückkehr zum Atom-Deal, obwohl dieser die iranische Atomwaffenfähigkeit bestenfalls verzögern, keineswegs jedoch verhindern kann.
  • 13. Januar: Die schwache europäische Reaktion ermutigt das Regime zu seinem bislang kühnsten Schritt: Es verkündet, ab sofort mit der Vorbereitungen auf die Produktion von Uranmetall zu beginnen, einem Stoff, der hauptsächlich für Atomwaffen benötigt wird und bereits beim iranischen Atomwaffenprojekt vor 20 Jahren eine Schlüsselrolle spielte. [8]
  • 16. Januar: Während in Israel unmittelbar nach dieser Ankündigung die Diskussion über präventive Militärschläge aufflammt, beschränken die E 3 ihre Antwort erneut auf verbalen Protest.
    Man sei „äußerst besorgt“ und fordere den Iran „nachdrücklich“ auf, derartige Aktivitäten zu beenden. Am Folgetag stellt Jean Yves Le Drian, Frankreichs Außenminister, zutreffend fest: „Iran ist dabei, atomwaffenfähig zu werden.“ [9]

Warum kein Snap-Back?

Wir sehen: Die Zurückhaltung, die sich die E 3 während dieser sechs Wochen auferlegte, hat die iranische Politik nicht zu einer Mäßigung, sondern zur Beschleunigung ihrer Vorarbeiten für die Bombe bewogen.

Natürlich hätten die E 3 auch anders reagieren können. Bereits vor gut einem Jahr, am 13. Januar 2020, löste dieses Trio aufgrund der fortgesetzten iranischen Verstöße den im Atom-Deal vorgesehenen „Streitbeilegungsmechanismus“ aus.

Dieser verschafft jedem Teilnehmerstaat die Möglichkeit, mit einem Snap-Back zu drohen, sollte Teheran nicht innerhalb weniger Wochen seine Verstöße gegen das Atomabkommen revidieren. Snap-Back bedeutet, dass alle Sanktionen, die die Vereinten Nationen gegen den Iran verhängt haben, erneut gültig sind. [10]

Es ist ein Druckmittel, das Teheran auch heute noch fürchtet. Warum schrecken die E 3 vor der Androhung seiner Anwendung zurück, um das Regime zu Verhaltensänderungen zu zwingen?

Bidens Illusion

Doch wirft auch Bidens Taktik Fragen auf. Sein Stufenkonzept sieht zuerst die Rückkehr zum Atomdeal einschließlich der Aufhebung der Sanktionen vor. In einem zweiten Schritt soll über alle weiteren Probleme wie zum Beispiel einer Verlängerung der Atomdeal-Verpflichtungen oder der Beendigung des iranischen Raketenprogramms verhandelt werden.

Doch wie soll das gehen, wenn die neue Administration bereits zugunsten der Wiedereinsetzung eines überholten und fehlerhaften Atomdeals ihr Sanktionspulver verschießt? Glaubt Washington, man brauche hauptsächlich gute Argumente, um das Regime vom Griff zur Bombe abzubringen?

Die Mullahs wollen die vollständige Atomwaffenfähigkeit. Ihr wichtigster Hebel, hier voranzukommen, ist die Angst vor der iranischen Bombe und die Angst vor einem Austritt Irans aus dem Atomabkommen oder dem Atomwaffensperrvertrag. Wie wirksam dieser Hebel sein kann, hatte sich während der Atomverhandlungen erwiesen, als Barak Obama eine amerikanische Position nach der anderen räumte, um Teheran bloß weiter im Spiel zu halten.

Einziges Instrument

Über welche Druckmittel aber verfügt Joe Biden? Da ist an erster Stelle die gewaltige militärische Überlegenheit der USA. Will Biden aber Kriegseinsätze vermeiden, steht ihm nur ein einziger weiterer Hebel zur Verfügung: die von Trump veranlassten Sanktionen.

Die Aussicht auf deren Aufhebung ist derzeit der einzig verbliebene Anreiz, der Teheran zu einer Politikänderung veranlassen könnte. Mit dem vorzeitigen Ende der Sanktionen gäbe Joe Biden dieses letzte Druckmittel aus der Hand.

Er verlöre das einzige Instrument, das die Chance böte, den Atomdeal durch Änderungen wirksam zu machen, ganz zu schweigen von den zusätzlichen Forderungen der Staatengemeinschaft an die Adresse Teherans, die sich auf sein Raketenprogramm, den Terror gegen die eigene Bevölkerung und seine destruktive Rolle in der Region beziehen.

Teil 1 behandelt die Frage, auf welcher Seite Deutschlands bei der Auseinandersetzung zwischen den USA und dem Iran steht.

Anmerkungen:

[1] „Es muss ein Signal an Iran geben“, Interview mit Außenminister Heiko Maas, in: Spiegel Nr. 50/5.12.2020, S. 32.

[2] Iran-Abkommen an ,kritischem Punkt‘, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Januar 2021.

[3] E3 statement on the JCPoA: Response to Iranian plans to expand its nuclear programme and restrict access of IAEA monitoring – Federal Foreign Office (auswaertiges-amt.de)

[4] Joint Ministerial Statement on the Joint Comprehensive Plan of Action – Federal Foreign Office (auswaertiges-amt.de)

[5] Europe, Biden aligning on saving Iran deal before expanding on it – Diplomatic, by Laura Rozen (substack.com), Dec. 21, 2020.

[6] Mideast Mirror, 22. Dezember 2020.

[7] Robin Wright, Biden Faces a Minefield in New Diplomacy with Iran, in: The New Yorker, 4. Januar 2021.

[8] E3 foreign ministers’ statement on JCPoA: 6 January 2021 – GOV.UK (www.gov.uk)

[9] Siehe auf: Matthias Küntzel: Iran: Fünf Atombomben für 100 Millionen Dollar (matthiaskuentzel.de)

[10] TOI Staff, France: Iran is acquiring a nuclear weapons capacity, in: Times of Israel, 17. Januar 2021. Zum Snap-Back, siehe: Matthias Küntzel: Neue Eskalationsstufe im Atomstreit mit Iran (matthiaskuentzel.de)

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