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Antisemitismus in der Kunst: Von Richard Wagner zu Bob Vylan

Beispiel für Antisemitismus in der Kunst: die britische Band Bob Vylan
Beispiel für Antisemitismus in der Kunst: die britische Band Bob Vylan (© Imago Images / Avalon.red)

Die Darstellung von Juden als unwillkommene Eindringlinge in die Welt der Kunst, weil ihr gemeiner, engstirniger und egoistischer Geist im Widerspruch zur künstlerischen Größe steht, ist nach wie vor lebendig.

Ben Cohen

»Nie erregt sich der Jude im gemeinsamen Austausche der Empfindungen mit uns,sondern, uns gegenüber, nur im ganz besonderen egoistischen Interesse seiner Eitelkeit oder seines Vortheils.«
(Richard Wagner: Das Judenthum in der Musik, 1850)

»Ich habe für eine Plattenfirma gearbeitet, und es ist lustig, denn der Chef der Plattenfirma und ich unterhielten uns hin und wieder und er sprach sehr deutlich über seine Unterstützung für Israel. Er bewegte sich auf diesem schmalen Grat. Und dann kam kürzlich diese Liste mit Namen von Leuten heraus, die versuchen, unsere Kumpel von Kneecap daran zu hindern, heute Abend hier aufzutreten. Und wen sehe ich auf dieser beschissenen Namensliste? Genau den glatzköpfigen Arsch, für den ich früher verdammt noch einmal gearbeitet habe. Also, seht mal, wir haben alles gemacht, von der Arbeit in Bars bis hin zur Arbeit für verfickte Zionisten.«
(Pascal Robinson-Foster, Sänger von Bob Vylan, Glastonbury, 2025)

Fast zweihundert Jahre trennen Richard Wagner, den deutschen Komponisten, der die Oper revolutionierte, von Bob Vylan, einem Musikerduo aus der englischen Stadt Ipswich, das aktuell versucht, den Geist des Punkrocks wiederzubeleben. Man könnte sich fragen, was Wagner und Vylan in einem gemeinsamen Satz zu suchen haben angesichts der großen historischen und musikalischen Distanz zwischen ihnen; ganz zu schweigen von dem Entsetzen, das Wagner zweifellos empfinden würde, fände er sich neben zwei schwarzen Männern mit Dreadlocks wieder.

Wagner war, wie allgemein bekannt ist, ein überzeugter Antisemit. Adolf Hitler, geboren 1889, wenige Jahre nach Wagners Tod 1883, verehrte den Komponisten als »Gott«: »Ich gehe in seine Opern, wie andere in die Kirche gehen.«

Antisemitische Bilder

In seiner Schmähschrift Das Judenthum in der Musik von 1850 behauptete Wagner, der kulturelle Einfluss der Juden beruhe eher auf ihrer finanziellen Macht als auf ihren künstlerischen Verdiensten. Seiner Meinung nach wurden die technisch versierten Beiträge jüdischer Komponisten durch den Status der Juden als ewige Außenseiter aufgezehrt, was bedeutete, dass jüdische Musik niemals die mitreißenden Höhen jener Musik erreichen könne, die von Künstlern aus »organischen« Kulturen wie seiner deutschen Heimat komponiert wurde.

Ähnlich äußerte sich Pascal Robinson-Foster, der Sänger von Bob Vylan, als er am vergangenen Wochenende beim berühmten jährlichen Glastonbury Festival in England in einer Tirade auf der Bühne einen namentlich nicht genannten jüdischen Chef einer namentlich nicht genannten Plattenfirma verunglimpfte.

Robinson-Fosters Eskapaden, die seine zuvor weitgehend unbekannte Band innerhalb einer Stunde weltberühmt machten, erregten vor allem deshalb Aufmerksamkeit, weil er die Menge zu »Tod, Tod, Tod für die IDF!«-Rufen anstachelte. Dieses erschreckende Spektakel, das an eine (Neo-)Nazi-Kundgebung erinnerte, führte dazu, dass seine mit Schimpfwörtern gespickten Kommentare über den »zionistischen« Einfluss in der Musikindustrie vergleichsweise wenig Beachtung fanden.

Wie Wagner betrachtet Robinson-Foster Juden in der Musikindustrie als von Natur aus verdächtige Fremde, weil ihre Identifikation mit Israel – »das einzige Land, das ich kenne, das von einem ignoranten Abschaum zusammengestohlen wurde, der versucht, Anspruch auf ein Land zu erheben, das ihm nicht gehört« –, so der Sänger auf dem Festival –, in Wagners Worten ein eitles und egoistisch auf den eigenen Vorteil bedachtes Interesse sei.

Genau wie Wagner betrachtete Robinson-Foster dies als einen bösartigen Einfluss. So, wie Wagner sich hässlichen Klischees über das Aussehen und Verhalten von Juden hingab, tut dies auch Robinson-Foster, indem er einer aufgeheizten Menge das Bild eines aufdringlichen, großmäuligen, glatzköpfigen jüdischen Chefs vor Augen führte, dessen Angestellte gezwungen sind, sich seine Reden über Israel anzuhören, um ihren Arbeitsplatz zu behalten. Wenn er die Worte »fucking Zionists« knurrt, ist dies das Bild, das er uns vor Augen führen will.

Für Richard Wagner stand das Judentum, wie der bekannte Antisemitismusforscher Robert Wistrich schrieb, für »Egoismus, Mammon, Parasitismus und blutrünstigen Herrschaftsdrang«. Der Zionismus, die Domäne des »ignoranten Abschaums«, erfüllt für Pascal Robinson-Foster dieselbe Funktion.

Ermüdende Debatte

Die an das Festival anschließende Aufregung um Bob Vylans Auftritt brachte mehr Hitze als Licht. Es gab die übliche frustrierende Debatte darüber, ob es sich dabei um »Antisemitismus« oder nur um »Kritik an Israel« gehandelt habe. Die Episode warf weitere Fragen über die Rolle der BBC auf, die es beschämenderweise unterließ, ihren Livestream zu unterbrechen, was einige britische Abgeordnete dazu veranlasste, den Rücktritt des Generaldirektors ihrer nationalen Rundfunkanstalt zu fordern. Einige größere Probleme blieben jedoch unberücksichtigt.

Da ist zum Beispiel der Umstand, dass das Festival fortgesetzt wurde, obwohl Robinson-Fosters Ausbruch innerhalb von Minuten internationale Schlagzeilen machte. Abseits der Nebenbühne, auf der Bob Vylan auftrat, begeisterten Neil Young, Alanis Morissette, Rod Stewart und Olivia Rodrigo das Publikum. An genau dem Ort, an dem wenige Stunden zuvor Rufe nach der Tötung von Israelis laut geworden waren und eine Rede voller antisemitischer Bilder mit tosendem Applaus aufgenommen worden war, war bis zum Abend jeder Makel getilgt.

Aber warum sollte man sich darüber wundern? Als die Olympischen Spiele 1972 in München fröhlich weitergingen, nachdem elf israelische Athleten von palästinensischen Terroristen ermordet worden waren, warum sollte es dann bei einem Musikfestival anders sein, bei dem es lediglich zu antisemitischer Hetze gekommen war?

Tiefgreifendes Problem

Man könnte einwenden, all dies habe mit der Ermordung von mehr als tausend Israelis begonnen, darunter mehr als dreihundert junge Menschen auf einem Musikfestival, und dass letztlich ihr Blut Glastonbury befleckt. Natürlich wird diese Behauptung von jenen, welche die Gräueltaten der Hamas im Süden Israels am 7. Oktober 2023 für einen Akt edlen Widerstands halten, auf den ein »Völkermord« durch die Juden gefolgt sei, mit Hass zurückgewiesen werden.

Dann ist da noch die Frage nach der Musikindustrie selbst. Bob Vylan und ihre irischen Freunde von Kneecap sind nicht die ersten zeitgenössischen Musiker, die mit dem Antisemitismus spielen; im Vergleich zu Kanye Wests Hitler-Verehrung mögen ihre Bemühungen sogar lächerlich wirken. Ähnliches gilt für den ehemaligen Pink-Floyd-Frontmann Roger Waters, dessen Hass auf Israel längst in antisemitische Verschwörungstheorien abgeglitten ist – und man könnte in dem Zusammenhang noch Brian Eno, Lorde, Massive Attack und viele andere nennen.

Auf den Punkt gebracht ist es Faktum, dass Richard Wagners Darstellung der Juden als unwillkommene Eindringlinge in das Schaffen und die Wertschätzung von Kunst nach wie vor lebendig ist. Einst personifiziert durch den »Finanzier«, hat sich diese seit Langem etablierte jüdische Hassfigur in den zeitgenössischen Generationen zum »Zionisten« gewandelt.

Für Bob Vylan gab es mittlerweile harte Konsequenzen: Einige der bevorstehenden Konzerte in Deutschland, Frankreich und Großbritannien wurden abgesagt und die Visa für eine sechsundzwanzigtägige Tournee in den USA im Oktober vom amerikanischen Außenministerium widerrufen – ebenso wie jene für Kneecap, die noch heuer Jahr in New York hätten auftreten sollen. All dies ist zu begrüßen, sowohl die Durchsetzung des Gesetzes als auch die freiwillige Entscheidung der Musikveranstalter, diese Fanatiker nicht zu Gast haben zu wollen.

Doch Verbote und Stornierungen werden das zugrunde liegende Problem nicht lösen. Die Abneigung gegen Juden ist seit Jahrhunderten ein Merkmal des künstlerischen Lebens – nicht nur in der Musik, sondern auch in der Literatur, der Malerei, dem Theater und im Kino. Was als Antizionismus bezeichnet wird, ist nur die jüngste Ausprägung dieser Abneigung und liefert den Soundtrack für das aufgeheizte Klima, in dem sich Juden in der Diaspora derzeit befinden.

Ben Cohen ist leitender Analyst bei der Foundation for the Defense of Democracies (FDD). Der in London geborene Journalist war über ein Jahrzehnt lang leitender Korrespondent bei The Algemeiner und ist wöchentlicher Kolumnist von Jewish News Syndicate. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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