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Antisemitismus bei den Islamischen Föderationen in Österreich

Türkischer Präsident Erdogan am Grab seines islamistischen Ziehvaters und Milli-Görüş-Gründers Necmettin Erbakan
Türkischer Präsident Erdogan am Grab seines islamistischen Ziehvaters und Milli-Görüş-Gründers Necmettin Erbakan (Imago Images / UPI Photo)

Funktionäre und Moscheevereine der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs zeigen eine gefährliche Gesinnung, die den Islam als Kampfansage gegen Demokratie und Pluralismus begreift.

Nina Scholz / Heiko Heinisch

Im vergangenen November sorgten in Österreich geplante Einrichtungen der Islamischen Föderationen für mediale Aufmerksamkeit. Dabei ging es um den Bau einer neuen Zentrale der Islamischen Föderation Wien (IFW), die verschiedene islamische Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie Versammlungsräumlichkeiten beherbergen soll, und eine Moschee mit angeschlossenem Bildungszentrum für rund achtzig Schüler, die im niederösterreichischen Pottendorf entstehen soll.

Millî Görüş

Beide Projekte wurden in den Medien kritisch betrachtet, handelt es sich bei den Islamischen Föderationen doch um den österreichischen Regionalverband der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG) mit Sitz in Köln. Sie wird in Deutschland wegen islamistischer Tendenzen vom Verfassungsschutz beobachtet. Die österreichische Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) schreibt in ihrem aktuellen Verfassungsschutzbericht über Millî Görüş: »Kernelemente sind die Ablehnung westlicher Kultur bei Anerkennung der Leistung moderner Wissenschaft, die jedoch auf eine islamische Basis zurückgeführt wird, sowie antisemitische Verschwörungsideologien.«

Die Milli-Görüş-Bewegung wurde in den 1970er Jahren vom türkischen Islamisten und Antisemiten Necmettin Erbakan gegründet und übt bis heute entscheidenden Einfluss auf die türkische Politik aus. Ihre Hauptströmung findet sich aktuell in der türkischen Regierungspartei AKP. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyib Erdoğan wurde in der Milli-Görüş-Bewegung sozialisiert und ist der politische Ziehsohn Erbakans.

Im Zuge der Gastarbeiter-Migration kamen in den 1970er Jahren auch erste Anhänger türkisch-islamistischer Strömungen nach Europa, darunter auch Anhänger der Milli-Görüş-Bewegung. Inzwischen wird von der Kölner Zentrale aus ein weltweites Moscheen-Netzwerk geleitet, zu dem auch etwa fünfzig Moscheen der Islamischen Föderationen in Österreich zählen. Ümit Vural, der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ), dem staatlich anerkannten Dachverband islamischer Organisationen, stammt ebenso aus den Islamischen Föderationen wie der Mufti der IGGÖ, Mustafa Mullaoğlu. Die Milli Görüş kann als die aktuell führende Kraft innerhalb des Verbandsislams in Österreich bezeichnet werden.

In zwei Presseaussendungen wehrten sich die Islamischen Föderationen gegen die in den Medien erhobenen Vorwürfe, islamistisch und antisemitisch zu sein, bezeichneten diese als »Diffamierung und Hetze« und wiesen entschieden zurück, antisemitische Tendenzen zu fördern.

Nun werden diese Stellungnahmen ausgerechnet vom stellvertretenden Obmann der Islamischen Föderation Pottendorf, Oktay Ö., konterkariert. Auf seinem Facebook Account teilt er seit dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 Hamas-verherrlichende und zum Teil grob antisemitische Postings.

Aber auch davor finden sich immer wieder derartige Postings. So teilte er etwa am 14. Mai 2019 ein Posting mit einer »Karikatur«, die einen orthodoxen Juden zeigt, der ein palästinensisches Kind mit einem Messer tötet, während US-Präsident Donald Trump ihm zulächelt und die arabischen Führer im Hintergrund stehen und wegschauen. Die Bildunterschrift lautet: »Ich denke, es ist eine der schönsten Zeichnungen, die die schmerzliche Situation der islamischen Welt beschreibt.«

In einem geteilten Posting am 31. Juli 2024 heißt es über einem Porträt des an diesem Tag getöteten Hamas-Führers Ismail Haniyya: »Möge Gott Ihren Kampf und Ihr Märtyrertum akzeptabel und zu einem Vorbild für die Ummah [die islamische Gemeinschaft, Anm.] machen.«

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Kein Einzelfall

Der stellvertretende Obmann der Islamischen Föderation Pottendorf ist kein Einzelfall. Antisemitische Äußerungen fanden und finden sich immer wieder bei Funktionären und Moscheevereinen der IGMG. So schrieb die IGMG-Jugend Hannover im Jahr 2014 auf Facebook: »So wie Satan die Existenz und Macht Allahs kennt, so versucht der zionistische Jude mit all seiner Macht, den Dschihad-Geist der Muslime auszulöschen, weil er weiß, dass die Seele des Islam der Dschihad ist.«

Erbakans verworrenes Denken offenbart nicht nur eine veritable Paranoia, sondern auch eine bedenkliche Sicht auf den Dschihad. Wenn eine islamische Jugendorganisation in Deutschland ein den Dschihad glorifizierendes Zitat Erbakans an seinem Todestag postet und damit zu einem Vermächtnis macht, zeigt das eine gefährliche Gesinnung, die den Islam als Kampfansage gegen Demokratie und Pluralismus begreift. Das Posting der IGMG-Jugend Hannover wurde erst 2022 gelöscht, also acht Jahre später, nachdem öffentliche Kritik darauf aufmerksam gemacht hatte.

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Der IGMG-Theologe Abdülkadir Ali Demir, stellvertretender Vorsitzender der »Abteilung für religiöse Wegweisung« (Irschad-Abteilung), wiederum schrieb 2018: »Was machen wir Muslime? Islamische Konferenz tritt zusammen. Wir reden, wir reden, dann geben wir eine Schlusserklärung ab: ›Israel muss Gaza so schnell wie möglich verlassen.‹ Als der Zionist Rockefeller das im Fernsehen sieht, lacht er schallend und sagt: ›Ihr Muslime, verschwendet eure Zeit mit diesen leeren Worten, wir dagegen kommen unseren Zielen Schritt für Schritt näher.‹ Dieses Israel versteht keine Worte, es versteht nur die Sprache der Macht!«

Nun war Rockefeller zwar weder Jude noch Zionist, aber auf antisemitischen, verschwörungstheoretischen Websites jeglicher Provenienz wird er gerne als reicher, die Welt lenkender Jude gezeichnet. Auch der österreichische Politikwissenschaftler Farid Hafez ist von solchen Narrativen beeinflusst. In seinem Buch Feindbild Islam schreibt er, antisemitische Stereotype seien wie antimuslimische vor allem deshalb tragfähig, weil sie »partiell an die Realität anknüpfen«. So knüpfe etwa »das antisemitische Stereotyp, Juden würden über das Bankwesen die Welt regieren, an existierende Familien mit jüdischem Hintergrund wie die Rothschilds oder die Rockefellers an, die im Bankwesen tätig waren«.

Neben antisemitischen Haltungen finden sich in Postings von IGMG-Funktionären auch immer wieder Vernichtungsfantasien gegenüber Israel. So verbreitete die IGMG im Mai 2021 am Höhepunkt des damaligen Gaza-Konflikts ein Posting in den sozialen Netzwerken, das zur Vernichtung Israels aufrief und sich das türkische Militär als Retter wünschte. Eine Fotomontage zeigte türkische Soldaten vor der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem mit der Textzeile: »O Allah, lass uns diese Sicht sehen. Trockne die Wurzeln Israels aus.« Dieses und weitere Beispiele wurden von Eren Güvercin zusammengetragen.

Antisemitische Kontinuität

Die Häufung der »Einzelfälle« verwundert insofern nicht, als sich Judenfeindschaft wie ein roter Faden durch das gesamte Denken des Gründervaters der Milli-Görüş-Bewegung zieht. Für Necmettin Erbakans Weltbild und seine politischen Vorstellungen war Antisemitismus konstituierend. Er verfocht die Idee eines Kampfes gegen die »jüdische Weltverschwörung«.

Dieser Kampf, so Erbakan, müsse geführt werden, um die Türkei und die gesamte islamische Welt aus den wirtschaftlichen und politischen Strukturen eines »jüdisch-zionistischen« Weltsystems herauszulösen und letztlich die gesamte Menschheit aus der »Knechtschaft der Juden« oder wahlweise der »Zionisten«, was er synonym verwendete, zu befreien. Erbakans Kritik am Bankensystem und seine Ablehnung von Bündnissen mit dem Westen werden immer wieder mit dem Widerstand gegen »jüdische Mächte« argumentiert.

Ein Jahr vor seinem Tod im Jahr 2011 gab Erbakan der deutschen Tageszeitung Die Welt ein Interview, das seine Besessenheit noch einmal deutlich zum Ausdruck brachte: »Seit 5700 Jahren regieren Juden die Welt. Es ist eine Herrschaft des Unrechts, der Grausamkeit und der Gewalt«, heißt es darin.

An seinem Todestag am 27. Februar veranstaltet die IGMG alljährlich weltweit Gedenkfeiern für ihren hochverehrten Gründer Erbakan. Seine Schriften werden von der IGMG über einen verbandseigenen Buchhandel auch in Europa verbreitet. Auch die Facebook-Seite des Pottendorfer Funktionärs Oktay Ö. legt Zeugnis von der Verehrung Erbakans ab. Eine ganze Reihe von Postings bezieht sich positiv auf den Milli-Görüş-Gründer.

Die vielen äußerst problematischen Postings als Einzelfälle abzutun, hieße, die ideologische Kontinuität innerhalb der Organisation zu verkennen und erinnert nicht von ungefähr an die antisemitischen »Einzelfälle« in anderen politischen Gruppierungen und Parteien. Der Unterschied besteht nur darin, dass Antisemitismus in islamischen Milieus und Organisationen nicht die gleiche öffentliche Aufmerksamkeit zuteilwird.

In der schriftlichen Beantwortung einer Anfrage einer der Autoren an den Sprecher der Islamischen Föderationen, Abdi Taşdöğen, ist zu lesen: »Die Islamischen Föderationen stehen für Dialog, Toleranz und ein friedliches Miteinander. Antisemitismus wird von uns in jeder Form abgelehnt.«

Das Facebookprofil des stellvertretenden Obmanns der Islamischen Föderation Pottendorf sei dem Vorstand der Islamischen Föderation Wien (IFW), dem die Pottendorfer Moschee angehört, nicht bekannt gewesen, heißt es in der Antwort. Die Islamischen Föderationen erwarten »von allen Funktionsträgern ein verantwortungsvolles Verhalten, auch im Umgang mit sozialen Medien«. Daher sei »eine interne Prüfung durch die zuständige Disziplinarstelle eingeleitet« worden.

Oktay Ö. ist auf Facebook mit mehreren Mitgliedern der IFW befreundet, darunter auch mit dem Vorsitzenden der IFW, Mehmet Arslan. Ihnen ist offenbar nichts aufgefallen. Die kritisierten Postings wurden etwa eine Woche nach der Anfrage gelöscht.

Ein weiterer Einzelfall?

Erst kürzlich deckten Recherchen der deutschen Tageszeitung Die Welt auf, dass der islamistische Prediger Yasin Pişgin, ein Islamgelehrter aus der Türkei, monatelang durch Moscheen der IGMG und der DITIB, dem deutschen Ableger der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet, tourte. Seine Predigten werden von der Welt als »äußerst radikal« und antisemitisch eingestuft. Juden würden als »verabscheuungswürdige Affen« und »Schweine« bezeichnet. Pişgin beziehe sich positiv auf die Terrororganisation Hamas sowie auf Izz ad-Din al-Qassam, den Namensgeber der Qassam-Brigaden der Hamas. Al-Qassam hatte in den 1930er Jahren bewaffnete Kleingruppen aufgestellt, deren Aufgabe vor allem darin bestand, Juden zu töten.

Die Führung der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG) in Köln will von den problematischen Inhalten der Predigten und Vorträge Yasin Pişgins nichts gewusst haben. Der Generalsekretär der Organisation, Ali Mete, sagte gegenüber der Welt: »Nach einer ersten groben Sichtung Ihrer Quellen wurden problematische Aussagen festgestellt. Diese sind mit den Werten und Positionen unserer Gemeinschaft nicht vereinbar.« Es würde nun zu einer »umfassenden Begutachtung« kommen und »über Maßnahmen beraten«. Man kündigte an, bereits geplante Veranstaltungen abzusagen.

Der islamistische Prediger Yasin Pişgin trat nicht nur bei der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş in Deutschland auf, sondern auch bei ihren Regionalverbänden in Belgien, Frankreich – und in Österreich. Vom 15. bis 17. Dezember 2023 war er laut eigenen Angaben auf Einladung der Islamischen Föderation Wien in der Mevlana Moschee in St. Pölten und in der Zentrale (!) der IFW in Wien zu Gast. Die problematischen Inhalte Pişgins waren der Führung der Islamischen Föderation Wien vermutlich ebenso wenig bekannt wie die Postings ihres Pottendorfer Funktionärs.

Angesichts des virulenten Antisemitismus innerhalb der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüş und ihres Regionalverbands Islamische Föderationen in Österreich sind Distanzierungen mit der Entschuldigung, man habe von nichts gewusst, wenig glaubhaft. Solange die Organisation nicht bereit ist, von ihrem antisemitischen Gründervater Abstand zu nehmen und dessen islamistische Ideologie zu verwerfen, werden wir auch in Zukunft nur dann Reaktionen sehen, wenn öffentliche Skandalisierung die Organisation dazu nötigt.

Die Frage ist daher nicht ob, sondern wann ein nächster »Einzelfall« zutage tritt. Angesichts der Tatsache, dass die Milli-Görüş-Bewegung den zweitgrößten Moscheeverband in Österreich stellt, ist das keine beruhigende Aussicht.

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