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Israels 5. Kolonne und anderer antisemitischer Unfug

Von Samuel Salzborn

Wer sich kritisch mit dem palästinensischen Antisemitismus befasst, läuft vor allem in den Untiefen sozialer Netzwerke zunehmend Gefahr, wegen dieser Kritik von dessen Anhängerinnen und Anhängern als „Sayanim“ bezeichnet zu werden – als Teil einer gigantisch groß fantasierten Gruppe von weltweiten Unterstützern Israels, die mal als „Schattenkrieger“ des Mossad tituliert werden, mal als „fünfte Kolonne“ Israels, mal als „willige Helfer“ des jüdischen Staates.

Diesen „Sayanim“ wird dabei, wie im Antisemitismus üblich, eine große Macht und ein großer Einfluss zugeschrieben, verbunden mit einer mehr oder weniger direkten Steuerung aus Israel, von dem aus ein weltweites Netz an „Inoffiziellen Mitarbeitern“ gesponnen würde, das in die Millionen gehe.

Dass israelische Nachrichtendienste auch Mitarbeiter im Ausland haben, ist unbestreitbar – und unterscheidet sie in keiner Weise von den Nachrichtendiensten aller anderen Staaten der Welt, denn genau das ist einer der zentralen Zwecke von Nachrichtendiensten.

Alles andere sind aber Verschwörungsphantasien. Interessant und aufschlussreich an diesen Verschwörungsphantasien ist ihre konkrete Konstituierung: denn einerseits wird mit Assoziationen gearbeitet, die an Diktaturen erinnern sollen, etwa an den Nationalsozialismus, wenn von „willigen Helfern“ die Rede ist (in Anspielung an die Debatte über Daniel J. Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ im Jahr 1996) oder an das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR, wenn von „Inoffiziellen Mitarbeitern“ gesprochen wird.

Dass Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten ist und man durch diese Assoziationskette den Verdacht erwecken möchte, es handele sich um ein diktatorisches Regime, ist offenkundig und naheliegend.

Weniger offensichtlich ist aber andererseits, dass es mit dieser Phantasie gelingt, negative Assoziationen gegen Israel in die Welt zu zaubern, die sich allein schon bei Nutzung eines Funken Verstandes als absurd delegitimieren müssten. Und genau da ist der Haken: die Geringschätzung und Verachtung des Verstandes im Antisemitismus.

Denn Verstand, Rationalität und Intellektualität sind im antisemitischen Weltbild alles Kategorien, die abgelehnt und in der antisemitischen Phantasie mit Jüdinnen und Juden verbunden werden. Gegen eine weltoffene Rationalität stellt der Antisemit seine völkische Emotionalität; nicht der Verstand zählt, sondern das zum Affekt degradierte Gefühl.

Denn auf die Idee, dass sich Menschen weltweit für das Existenzrecht Israels und gegen den palästinensischen Terrorismus einsetzen, weil sie dies aus rationalen Gründen der Überzeugung für eine liberale und aufgeklärte Welt oder in der verstandesmäßig erlangten Auffassung tun, dass ein demokratisches Staatswesen besser ist als ein autokratisches oder ein totalitäres (zwischen diesen Polen schwankt ja de facto die Wahlmöglichkeit, wenn man Fatah und Hamas als „politisch“ unterschiedliche Optionen begreift), scheidet für diejenigen, die in Europa der palästinensischen Propaganda folgen, von vornherein aus.

Warum? Weil es eben in den Vorstellungen derer, die das palästinensisches Projekt der Vernichtung Israels, wie es die „Charta der Hamas“ proklamiert und wie es das Ziel der palästinensischen Terroranschläge ist, unterstützen, die Option gar nicht enthalten ist, dass Menschen auch jenseits eines völkischen Kollektivs glücklich sein könnten.

Die Phantasie der Existenz eines solchen weltweiten, von Israel direkt oder indirekt gesteuerten Netzwerkes der „Sayanim“ verrät in Wahrheit sehr viel über die, die daran glauben: die Gründe, sich politisch, publizistisch oder wissenschaftlich für den pluralistischen und streitbaren Staat Israel einzusetzen sind in den allermeisten Fällen schlichtweg darin zu suchen, dass es denen, die Israel unterstützen, um Freiheit und Gleichheit, um Demokratie und die Abwehr von Antisemitismus, ja letztlich um die Chance auf Verwirklichung der Versprechen der Aufklärung geht: dass der Mensch Individuum und Subjekt sein darf und in Freiheit und Gleichheit leben kann.

sayanim_iiDass die antisemitische Szene sich das nicht einmal hypothetisch vorstellen kann, sondern hinter jeder politischen, intellektuellen oder moralischen Unterstützung Israels eine weltweite Verschwörung, eine Steuerung durch den Mossad und letztlich eine international bezahlte Angelegenheit wittert, zeigt, dass jene, die dies vermuten, selbst komplett den Anspruch aufgegeben haben, sich Freiheit und Gleichheit auch nur zu wünschen. In ihrer, wie Erich Fromm es genannt hat, „Furcht vor der Freiheit“, flüchten sich jene in den antisemitischen Wahn völkischer Kollektive, in denen der Mensch nur Zwang und Unterdrückung erlebt.

Würde in dieser Projektion nicht immer auch die antisemitische Vernichtungsdrohung mitschwingen, dann könnte einem eine solche Aufgabe eigener Subjektivität sogar leidtun.

Artikel zuerst erschienen bei Audiatur Online. Prof. Dr. Samuel Salzborn ist Professor für Grundlagen der Sozialwissenschaften an der Uni Göttingen. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Kampf der Ideen. Die Geschichte politischer Theorien im Kontext“ (Nomos Verlag 2015). Weitere Informationen unter http://www.salzborn.de

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