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Antisemitismus auf der documenta: Ein Skandal mit Ansage (Teil 1)

Antisemitische Demonstration während der Eröffnung der documenta 15
Antisemitische Demonstration während der Eröffnung der documenta 15 (© Imago Images / Hartenfelser)

Mena-Watch-Autor Stefan Frank spricht mit Jonas Dörge vom Bündnis gegen Antisemitismus Kassel über dessen Recherchen zum Antisemitismus auf der documenta sowie zur Feindschaft, die diesen Nachforschungen entgegenschlug.

Stefan Frank (SF): Antisemitische Propagandabilder im Stürmer-Stil, Verherrlichung der Terrororganisation Japanische Rote Armee, die das Massaker am israelischen Flughafen Lod im Jahr 1972 verübte – eine Mischung aus Julius Streicher, Stalin und Ayatollah Khomeini. Hatten Sie vorher eine Vorstellung davon gehabt, dass die documenta 15 so schlimm werden würde?

Jonas Dörge (JD): Nein, nie und nimmer. Auch wenn unsere Kritik, die wir ja schon im Januar formulierten, auf stumpfe Ablehnung gestoßen ist, hätte ich nicht erwartet, dass das in dieser Form stattfinden würde. Ich war davon überzeugt, dass zumindest die politisch Verantwortlichen alles dafür tun würden, damit genau das, was jetzt passiert ist, nicht eintritt.

SF: Wann hat das Bündnis gegen Antisemitismus Kassel (BGA) angefangen, sich mit der documenta 15 zu befassen?

JD: Ende letzten Jahres. Der Grund war, dass schon die vorhergehende documenta mit Auschwitz on the Beach, diesem sogenannten Gedicht von Franco Berardi, aufgefallen war und davor – im Jahr 2007 – mit der ausgestopften Giraffe »Brownie«.

»Da stimmt was nicht«

SF: Einer Giraffe, die Israel anklagen sollte, weil es sich angeblich um eine palästinensische Giraffe handelte, die während eines israelischen Angriffs auf ein Hamas-Lager an einem Herzinfarkt gestorben sein soll.

JD: Die postmoderne Linke hatte immer schon Probleme mit Israel, die sich jetzt auch auf der documenta widerspiegeln. Darum entschieden wir Mitte, Ende letzten Jahres, dass wir uns mit der documenta 15näher befassen müssen. Im Dezember wurde dann in der Regionalzeitung Hessische Niedersächsische Allgemeine (HNA) über eine Videoreihe berichtet, mit der die documenta Lumbung-Mitglieder vorstellte.

SF: Also die Aussteller der Kunstschau.

JD: Als Erste wurde die Gruppe The Question of Funding vorgestellt. »Mit Tanzen in den Widerstand«, lautete die Überschrift des Artikels. Dort hieß es unter anderem, dass ein autarker Wirtschaftskreislauf geschaffen werden müsste, »ohne dass auf den Märkten Obst und Gemüse aus Israel gekauft werden müsste«. Das war für uns der Anlass, uns diese Gruppe näher anzuschauen.

Wir haben festgestellt, dass es im Internet überhaupt keine Informationen über sie gab. In der HNA stand, dass ein gewisser Yazan Khalili der Sprecher dieser Gruppe sei. Wir fanden heraus, dass Khalili Präsident des Khalil Sakakini Cultural Center war. Diese Organisation war Anfang 2021 als Lumbung-Mitglied angekündigt worden. Ruangrupa hatte also zunächst das Khalil Sakakini Cultural Centereingeladen. Das sah man auch auf der Facebookseite der documenta 15: Das auch dort zunächst angekündigte Khalil Sakakini Cultural Center wurde später vom Kollektiv aus Ramallah Question of Funding ersetzt.

Wir haben uns dann über den Namensgeber des Zentrums informiert. In seinem Buch Es war einmal ein Palästina beschäftigt sich der israelische Historiker Tom Segev mit Sakakini. Sakakini war ein palästinensischer Pädagoge und Nationalist, der Hitler bewunderte, weil dieser der Welt die Augen geöffnet habe und den Juden entgegengetreten sei. Die Deutschen seien die Ersten gewesen, die das getan hätten.

Das war der Moment, wo wir merkten: Da stimmt was nicht. Dann sahen wir uns die Organisationsstruktur der documenta an. Ruangrupa war ja von einer Findungskommission als kuratorische Gruppe ausgesucht worden. In dieser Kommission saßen u. a. Charles Esche und Amar Kanwar. Beide gehören zur Fraktion der Israelfeinde. Amar Kanwar hat u. a. A Letter against Apartheid unterschrieben. Charles Esche gehört zu denjenigen, die den Brief Wir können nur ändern, was wir konfrontieren unterzeichnet haben, der sich gegen die Anti-BDS-Resolution des Deutschen Bundestages richtete. Das war der Anfang.

Wir fanden dann heraus, dass vier von fünf Personen, die der künstlerischen Leitung, dem sogenannten Artistic Team, angehören, den Letter Against Apartheid unterzeichnet hatten, darunter auch die Generaldirektorin Andrea Linnenkohl. Je tiefer wir gruben, desto mehr fanden wir.

SF: Am 7. Januar haben Sie dann Ihre Rechercheergebnisse der Öffentlichkeit vorgestellt.

JD: Zunächst informierten wir die Lokalpresse. Dann veröffentlichte der Blog Ruhrbarone unseren Beitrag. So wurde die überregionale Presse auf uns aufmerksam.

Die Diffamierung geht los

SF: Immer, wenn in Deutschland jemand auf Antisemitismus aufmerksam macht, folgen die Reaktionen dem gleichen Muster: Eine Front Empörter erklärt dies ohne jegliche Prüfung für absurd, gleichzeitig gibt es persönliche Angriffe auf diejenigen, die auf den Antisemitismus hingewiesen haben: Ihnen wird mehr oder weniger offen unterstellt, Teil einer Verschwörung zu sein, die Meinungen zensieren will.

Auch gegen Ihre Gruppe gab es eine Verleumdungs- und Rufmordkampagne. Sie wurden als »Rassisten« beschimpft. Ein exzentrischer Kolumnist der Berliner Zeitung spekulierte gar, Sie könnten die bislang unbekannten Täter sein, die im Mai in einem Ausstellungsraum der documenta Parolen gesprüht und Akte des Vandalismus verübt hatten.

JD: Ja, der Herr Hauenstein von der Berliner Zeitung hatte auch schon früh »recherchiert«, dass ich selbst »Rassist« sei, da ich mich kritisch gegenüber dem Islam geäußert hätte. Er bezog sich auf eine Sottise, die ich zum Auftritt Michael Stürzenbergers in Kassel verfasst hatte.

Stürzenberger ist bekannt als sogenannter »Islamkritiker« aus der rechten Ecke mit Sympathien für extreme Rechte. Er reiste damals mit seiner Truppe Pax Europa durch Deutschland und hielt Endlosreden. In Kassel hat er über sechs Stunden ununterbrochen geredet. Um ihn eine Schar von zwölf Zuhörern. Dieser Auftritt führte dazu, dass das hiesige Bündnis gegen Rechts einen Riesenbahö darum gemacht hat. Dazu schrieb ich: »Im Gegensatz dazu, dass Gruppen wie Pax Europa in der Gesellschaft völlig isoliert sind, teilt die Mehrheit derjenigen, die man als Menschen mit Migrationshintergrund und Flüchtlinge bezeichnet, die Ideologie, die von DITIB, Milli Görüs, ATIB et al. propagiert wird.«

Hauenstein meinte, da Rassismus zu entdecken. Das hat dann Elke Buhr, die für das Monopol-Magazin schreibt und für das Kulturmagazin von 3sat arbeitet, weiterverbreitet. Dem Bündnis gegen Antisemitismus und mir persönlich warf sie vor, »rassistisch motiviert« zu sein und Unwahrheiten über das Sakakini-Zentrum verbreitet zu haben.

Nur, weil Sakakini Hitler gelobt habe, dürfe man dem Sakakini-Zentrum keine Vorwürfe machen. Das sei so, als würde man Anwohner einer Richard-Wagner-Straße als Nazis beschimpfen. Eine vollkommen irre Logik: Als hätten Leute, die in einer Richard-Wagner-Straße wohnen, die Straße selbst benannt und würden sich damit identifizieren.

SF: Yazan Khalili von The Question of Funding wurde rasch von einer Schar deutscher Fans in Schutz genommen …

JD: Ja. FAZ-Autor Joseph Croitoru behauptete, Khalili sei kein Antisemit. Es gehe Khalili darum, generell gegen die Nationalismus vorzugehen, er sei »staatskritisch« und ebenso gegen den palästinensischen Nationalismus. Khalili habe sich auch gegen die Vertreibung der Juden aus Israel ausgesprochen, weil eine solche nur größeres Leid bringe.

Das stimmt, aber er hat zum Beispiel ein Kunstwerk geschaffen, das Hügel in der West Bank darstellt. Auf diesen hat er die israelischen Siedlungen rausgekratzt. Sein Kunstwerk sei eine Darstellung darüber, wie Gewalt Gewalt erzeuge. Dann gab es das Interview, in dem Khalili von einer fiktiven Schlägerei in einer Amsterdamer Kneipe erzählte: Der Wirt spreche ihn als Israeli an, er weise das zurück, dann gerieten sie in Streit. In seiner Fantasie zertrümmert Khalili die ganze Kneipe.

Der wichtige Punkt an der Geschichte ist aber, dass er dem fiktiven Wirt erzählt, die Israelis kämen ja gar nicht aus dem Nahen Osten, sondern von überall her. Nun seien sie das »Problem der Araber«, schrieb er wörtlich. Die Araber hassten heute alle Juden, daran sei der Zionismus schuld, für Khalili ein Projekt der »weißen, christlichen Europäer«, so, wie auch der Holocaust ein Projekt der »weißen, christlichen Europäer« gewesen sei. Ziel des Zionismus sei es, die Araber mit Gewalt zu kolonisieren.

Das sind die Argumentationsfiguren Khalilis, die wir thematisiert haben. Elke Buhr fiel nichts Besseres ein, als zu behaupten, wir hätten Khalili bezichtigt, eine Kneipenschlägerei angezettelt zu haben. Diese beiden Punkte – dass Khalili nicht dazu aufgerufen hat, alle Juden aus dem Nahen Osten zu vertreiben und er an keiner Kneipenschlägerei beteiligt gewesen ist – waren die Beweise dafür, dass wir mit unserer Recherche falsch gelegen hätten. Das wurde tatsächlich wiederum von einigen Journalisten aufgegriffen.

Wie eine Bombe eingeschlagen

SF: Jedenfalls haben Sie den Blick auf das Problem gelenkt und viel bewirkt. Es hätte ja auch passieren können, dass das, was Sie herausgefunden haben, unbeachtet geblieben, die Debatte schnell im Sand verlaufen und die documenta 15 mitsamt dem Antisemitismus über die Bühne gegangen wäre, ohne dass die Öffentlichkeit Notiz von all dem Judenhass genommen hätte. Was, glauben Sie, ist der Grund, dass eine so intensive Debatte entstand?

JD: Wir waren ziemlich überrascht, dass das wie eine Bombe einschlug. Wir hatten unsere Stellungnahme ja zuerst nur an die Regionalzeitung geschickt. Davon, dass die überregionale Presse das aufgriff, waren wir überrascht. Ich glaube, das könnte damit zu tun haben, dass die documenta 15 vorher schon in der Kritik gestanden ist. Bemängelt wurde unter anderem, dass die Konzeptlosigkeit als Konzept verkauft werde. Auch, dass das Kunstwerk der politischen Agitation unterstellt wird, wurde verschiedentlich in Feuilletons kritisiert.

Ich denke, das könnte eine Rolle dabei gespielt haben, dass das Thema wahrgenommen wurde. Der Erste, der das Thema aufgriff, war Thomas E. Schmidt, dann gesellten sich einige Autoren der FAZ dazu, bevor sich dann vor allem Ulf Poschardt von der Welt des Themas annahm. Andere versuchten, es beiseite zu wischen.

SF: Überhaupt nicht davon beeindruckt war der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta, der Oberbürgermeister von Kassel, Christian Geselle (SPD).

JD: Oberbürgermeister Geselle hat von vornherein gesagt: Da gebe es nichts zu überprüfen. Auch die hessische Kunst- und Kulturministerin, Angela Dorn-Rancke (Bündnis 90/Die Grünen), hat sich nicht groß geäußert. Die Einzige von den politisch Verantwortlichen, die über den Antisemitismus zumindest diskutieren wollte, war Staatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen). Sie wollte, im Gegensatz zu OB Geselle, zumindest prüfen, was da vor sich ging.

SF: Dann rief die documenta jenes Diskussionsforum ins Leben: »We need to talk«.

JD: Das wurde zum Eigentor. Zum einen waren die Eingeladenen zur Hälfte wiederum BDS-Anhänger. Es wurde über »antipalästinensischen Rassismus« schwadroniert und eigens ein Podium dafür ins Leben gerufen. Es sollte aber keine Podiumsdiskussionen geben; die Veranstaltung war als YouTube-Format vorgesehen, bei denen die Zuhörer keinerlei Möglichkeiten gehabt hätten, Fragen zu stellen. Es wäre eine reine Präsentation gewesen.

Der Direktor der Bildungsstätte Anne-Frank, Meron Mendel, und der israelische Soziologe Natan Sznaider sollten auch mitdiskutieren, sollen das aber zuerst aus der Presse erfahren haben. Das sei der Grund ihrer Absage gewesen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland machte bekannt, dass er nicht an der Konzeption dieser Diskussionsrunde beteiligt worden war. Der Zentralrat, die WerteInitiative und das American Jewish Committeehaben dann die documenta sehr scharf kritisiert, sodass die Debatte noch einmal an Kraft gewann.

Es folgte noch ein offener Brief der documenta, der ein weiterer Schuss in den Ofen war. Darin wurde zunächst versucht, uns der Fehlinformation und des Rassismus zu überführen, dann warf man dem Zentralrat der Juden in Deutschland vor, die »Multiperspektivität« unterbinden zu wollen, unter der auch »antipalästinensischer Rassismus« zu diskutieren sei. Schließlich beklagte der Brief, dass die Probleme der »völkerrechtswidrigen israelischen Besatzung« sich diskursiv in Gesprächsrunden in Deutschland nicht auflösen ließen.

Die Verantwortlichen der documenta haben immer wieder gezeigt, dass sie entweder keinerlei Problembewusstsein haben, was den Antizionismus betrifft, dass also der Zusammenhang zwischen Antizionismus und Antisemitismus ihnen völlig schleierhaft ist, oder dass sie offensiv hinter dem BDS-Ziel stehen: Israel draußen zu halten, zu boykottieren und, anders als früher, keine israelischen Künstler einzuladen.

In Teil 2 geht es um die Frage, warum das Bild des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auch ohne die »Stürmer«-Karikatur problematisch wäre und über die politischen Verantwortlichkeiten für den Skandal.

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