Erweiterte Suche

Antisemitische Attacke an symbolischem Ort

Der Fanblock von Maccabi Haifa beim Europapokalspiel im Berliner Olympiastadion
Der Fanblock von Maccabi Haifa beim Europapokalspiel im Berliner Olympiastadion (© Imago Images / Matthias Koch)

Im Berliner Olympiastadion, das einst die Nazis bauen ließen, kommt es bei einem Europapokalspiel eines israelischen Teams zu antisemitischen Angriffen. Der gastgebende Verein handelt rasch, hat aber dennoch auch Nachholbedarf.

Die antisemitischen Angriffe, die sich Ende September während des Europapokalspiels im Fußball zwischen dem deutschen Bundesligisten 1. FC Union Berlin und dem israelischen Klub Maccabi Haifa im Berliner Olympiastadion ereignet haben, bleiben nicht ohne Konsequenzen.

Auf seiner Website gab Union jüngst bekannt, einen der Täter identifiziert zu haben. Gegen ihn sei ein Verfahren zum Ausschluss aus dem Verein eingeleitet und ein Haus- und Zutrittsverbot für alle Veranstaltungen des Klubs verhängt worden. Außerdem habe man beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) beantragt, ein bundesweites Stadionverbot gegen den Mann auszusprechen.

„Für Diskriminierung gibt es beim 1. FC Union Berlin keinerlei Toleranz“, erklärte Klubpräsident Dirk Zingler. „Wir haben daher alle uns zur Verfügung stehenden Maßnahmen eingeleitet, um diese Person aus unseren Reihen zu entfernen.“ Überdies seien sämtliche vorliegenden Informationen an das ermittelnde Landeskriminalamt übermittelt worden.

Derweil hat der europäische Fußballverband (UEFA) bekannt gegeben, gegen den 1. FC Union Berlin eine disziplinarische Untersuchung eingeleitet zu haben. Im Falle einer Verurteilung kommt für den Verein eine Geldstrafe oder ein Teilausschluss von Zuschauern in einem Europapokal-Heimspiel in Betracht.

Ungeachtet dieser fußballinternen Maßnahmen drohen den Tätern auch strafrechtliche Konsequenzen. Drei polizeiliche Ermittlungsverfahren wurden bereits in die Wege geleitet: eines wegen des Inbrandsetzens einer Handfahne in Verbindung mit der Beschädigung einer ausländischen Flagge, eines wegen Volksverhetzung und eines wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Vorfälle waren teilweise von Zivilpolizisten beobachtet worden, teilweise liegt auch Bildmaterial vor, das ausgewertet werden soll.

Der Ort dieser Angriffe hat einen besonderen Symbolcharakter: Weil das Stadion an der Alten Försterei im Berliner Stadtteil Köpenick, in dem Union seine Heimspiele in der Bundesliga austrägt, nicht den Anforderungen der UEFA entspricht, spielt der Klub in der neu geschaffenen Conference League, dem dritten europäischen Fußballwettbewerb neben der Champions League und der Europa League, im Olympiastadion, wenn er Heimrecht hat.

Dieses Stadion wurde von den Nationalsozialisten bekanntlich eigens für die Olympischen Spiele 1936 erbaut. Maccabi Haifa war nun der erste israelische Fußballverein überhaupt, der dort spielte.

„Scheiß Jude“, „Sieg Heil“ und der Versuch, eine Israelflagge anzuzünden

Rund 23.000 Zuschauer sahen die Partie, darunter knapp 1.000 Maccabi-Fans im Gästeblock. Zusätzlich gab es gemischte Blöcke mit Anhängern beider Teams. In einem davon verfolgte eine 15-köpfige Gruppe des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) die Begegnung.

Schon während des Spiels vermeldete sie über ihren Twitter-Account, „von Union-Fans bedroht, mit Bier beworfen und u. a. als ‚scheiß Juden‘ beleidigt“ worden zu sein. Wenige Minuten später schrieben die Mitglieder des Jungen Forums: „Ein Union-Fan hat versucht, die Israelfahne einer unserer Zuschauerinnen anzuzünden, was glücklicherweise schnell durch Zivilpolizisten verhindert werden konnte.“

Mehrere Medien, darunter der Spiegel und die Welt, veröffentlichten später Interviews mit Aktivisten des Jungen Forums der DIG, die zu den Stadionbesuchern gehörten. Sie berichteten, schon kurz nach Spielbeginn sei „ein aggressiver und betrunkener Mann auf uns losgegangen und hat uns aufgefordert, dass wir uns in den Auswärtsblock ‚verpissen sollen‘“, sagte einer.

Nach dem Führungstreffer für Union zum 1:0 – das Spiel endete mit 3:0 – habe dieser Union-Anhänger die Maccabi-Fans des Jungen Forums verprügeln wollen, doch „zum Glück sind mehrere andere Unioner dazwischengegangen“.

Später habe dieser Mann versucht, eine Israelflagge aus Papier anzuzünden, die einem der Maccabi-Unterstützer aus dem Jungen Forum gehörte. Das sei ihm jedoch nicht gelungen, wie ein Mitglied der Gruppe erklärte: „Sofort sind seine Freunde von hinten gekommen und wollten ihn davon abhalten. Er hat die Fahne dann fallen gelassen, anschließend wieder aufgehoben und erneut versucht, sie anzuzünden.“ Das habe schließlich ein Maccabi-Fan verhindert. Die Mitglieder des Jungen Forums beschrieben die Täter als „deutsche Familienväter, die ein bisschen Stress wollen“.

Die Gruppe wechselte schließlich in den Gästeblock und blieb dort bis zum Ende des Spiels. Später wurde bekannt, dass die Polizei vorübergehend einen Union-Fan festgesetzt hatte, der nach Spielende mehrfach den Hitlergruß gezeigt und „Sieg Heil“ gerufen hatte.

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) berichtete außerdem, aus einer kleinen Gruppe von Union-Anhängern habe ein Mann in Gegenwart von Maccabi-Fans eine Anspielung auf das Giftgas Zyklon B gemacht, das im Vernichtungslager Auschwitz zur massenhaften Ermordung von Juden eingesetzt wurde.

Union handelt, sollte aber auch die IHRA-Definition annehmen

Mitglieder des Jungen Forums der DIG sagten jedoch auch: „Die allermeisten Union-Fans waren uns gegenüber freundlich und aufgeschlossen. Viele haben sich gefreut, dass wir da sind.“

Zudem hätten Anhänger von Union bei den antisemitischen Angriffen nicht tatenlos zugesehen, sondern eingegriffen. Die Situation sei „sehr unangenehm und bedrohlich“ gewesen, „aber wir standen nicht allein gegen Hunderte“. Sicher habe sich die Gruppe gleichwohl nicht mehr gefühlt. So kam es zum Entschluss, den gemischten Block zu verlassen und in den Gästeblock zu wechseln.

In einer Erklärung auf Twitter lobte das Junge Forum den 1. FC Union Berlin für seinen Umgang mit den antisemitischen Attacken. Der Verein habe bereits nach den ersten Tweets der Organisation ebenfalls via Twitter darum gebeten, Block- und Sitzplatznummern der Täter mitzuteilen.

Der Geschäftsführer Kommunikation, Christian Arbeit, habe sich überdies am nächsten Tag gemeldet, um Entschuldigung für das Verhalten der antisemitischen Fans gebeten und sich nach dem Wohlbefinden der Angegriffen erkundigt. Außerdem habe der Klub eine Stellungnahme veröffentlicht, in dem er die Vorfälle scharf verurteilt habe.

In der Tat reagierte der Verein schnell und deutlich, nicht nur durch die Erklärung, in der es hieß, das Verhalten der Angreifer aus den Reihen der Union-Fans sei „beschämend und nicht tolerierbar“. Man bitte die Betroffenen um Entschuldigung.

„Antisemitismus ist leider in unserer Gesellschaft nach wie vor vorhanden, deshalb zeigt er sich auch im Stadion. Diskriminierung werden wir in unseren Reihen jedoch nie dulden.“ Dass das nicht nur eine Phrase war, zeigt sich daran, dass gegen jenen Täter, den der Klub bislang ermitteln konnte, umgehend Maßnahmen eingeleitet wurden.

Dabei sollte Union Berlin allerdings nicht stehen bleiben, wie auch das Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft findet: „Wir verlangen vom 1. FC Union ein verstärktes Vorgehen gegen Antisemitismus, eine bessere Sensibilisierung von Fans und Ordnern und legen die Übernahme der Antisemitismus-Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) nahe.“

Antisemitismus ist im Fußball alltäglich

Vor einem Jahr übernahmen mit Tennis Borussia Berlin und Borussia Dortmund die ersten Fußballvereine diese Definition, seitdem haben sich zahlreiche Klubs angeschlossen, darunter auch viele Bundesligisten.

Sie stellt eine wertvolle Orientierung dar, um Antisemitismus – auch in seiner israelbezogenen Variante – besser erkennen, definieren und bekämpfen zu können. Die IHRA-Definition kann sensibilisieren und hat eine Art Leitplankenfunktion. Gerade einem Klub wie Union Berlin, der nun auch auf internationaler Bühne spielt, stünde es gut zu Gesicht, sie sich zu eigen zu machen und sie als Grundlage zu betrachten, wenn es um das Thema Antisemitismus geht.

Das Junge Forum hat Recht, wenn es schreibt, die Vorfälle im Olympiastadion seien „sinnbildlich für den israelbezogenen Antisemitismus“, der in der Gesellschaft weit verbreitet sei. Die Ablehnung Israels schlage „in vielen Fällen schnell in offen artikulierten  Judenhass und Gewalt um“ – so war es wenige Tage vor dem Spiel in Berlin auch in Hamburg, wo einem Teilnehmer einer Kundgebung für Israel und gegen Antisemitismus bei einem brutalen antisemitischen Angriff mehrere Brüche im Gesicht zugefügt wurden. Das Opfer bangt seitdem um sein Augenlicht.

Weil die meisten arabischen Länder Israel nicht anerkennen und den jüdischen Staat boykottieren, waren israelische Teams in der Geschichte immer wieder gezwungen, in andere Erdteile auszuweichen. Seit 1991 ist der israelische Fußballverband festes Mitglied in der UEFA, doch auch in Europa haben israelische Mannschaften regelmäßig mit antisemitischen Angriffen zu kämpfen.

Maccabi Haifa selbst etwa war vor sieben Jahren das Opfer einer solchen Attacke, als die Spieler des Klubs bei einem Testspiel gegen den OSC Lille, das während des Gazakrieges im österreichischen Bischofshofen stattfand, von antiisraelischen Demonstranten angegriffen wurden.

In Deutschland sind vor allem die Vereine des jüdischen Sportverbands Makkabi, dem 5.500 Mitglieder angehören, mit antisemitischen Attacken konfrontiert. In einer Umfrage, an der rund 300 Makkabi-Sportlerinnen und -Sportler teilnahmen, gaben 39 Prozent der Befragten an, schon mindestens einmal selbst Opfer eines antisemitischen Vorfalls gewesen zu sein. Im Fußball waren es sogar 68 Prozent.

Nicht zuletzt wegen dieser besorgniserregenden Realität hat Makkabi unlängst die Initiative Zusammen1 ins Leben gerufen, die sich gegen antisemitische Angriffe und andere Diskriminierungen positioniert. Wie nötig das ist, hat leider auch das Europapokalspiel in Berlin gezeigt.

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren sowie ein Editorial des Herausgebers.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir sprechen Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie einen unabhängigen Blickzu den Geschehnissen im Nahen Osten.
Bonus: Wöchentliches Editorial unseres Herausgebers!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!