Algerien zensiert in der Corona-Krise regimekritische Medien

Die algerische Regierung verschärft in der Corona-Krise die Repression
Die algerische Regierung verschärft in der Corona-Krise die Repression (© Imago Images / Xinhua)

In Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie verschärfen einige arabische Länder die Pressezensur und drohen denen, die angeblich „Fake News“ verbreiten, mit Gefängnis.

In Algerien haben die Behörden seit dem 10. April drei Onlinedienste abgeschaltet. Das meldet die französische Tageszeitung Le Monde unter Berufung auf die Nachrichtenagentur AFP.

Jüngstes Opfer der Zensur ist offenbar die Online-Nachrichtenseite Interlignes. Dessen Gründer und geschäftsführender Herausgeber, Bouzid Ichalalene, wandte sich am Sonntag in einer schriftlichen Erklärung an die Öffentlichkeit:

„Unsere Interlignes-Zeitung ist seit dem heutigen späten Vormittag des 19. April 2020 nicht mehr zugänglich. Unsere Leser werden es sicherlich bemerkt haben. ADSL- und mobile Internetbenutzer können ohne Verwendung der VPN-App (ein Tunneldienst, der den Standort und die IP-Adresse eines Internetnutzers verschleiert; S.F.) nicht mehr darauf zugreifen.

Dies ist eine neue Zensurmaßnahme gegen unsere Medien. Und aus gutem Grund war Interlignes bereits im Juli 2019 Opfer derselben willkürlichen Entscheidung.

Die damaligen Machthaber wollten uns dafür bestrafen, dass wir unserer Pflicht nachgekommen waren, über die Demonstrationen der Volksbewegung zu berichten. Die Zensur wurde erst Ende des Jahres aufgehoben. Aber nur für ein paar Wochen. Hier kommt die Sperre wieder, ohne dass jemand weiß, was diesmal der Grund ist.“

Diejenigen, die „jede Stimme“ zensierten, die sich gegen die derzeitige Regierung ausspreche, „schwärzen, ohne es zu merken, das Image Algeriens und schützen es nicht“, so Ichalalene. Die Meinungsfreiheit sei der „Index der Freiheit in einem Land“.

„Diese Serie von Zensurmaßnahmen, denen auch unsere Kollegen zum Opfer fallen, findet zu einer Zeit statt, in der die Algerier die Medien mehr denn je brauchen, um informiert zu werden und sich mit der Covid-19-Pandemie zu befassen, die die ganze Welt heimgesucht hat“, fügte er hinzu.

Wie Le Monde berichtet, sind auch die Website und Facebookseite Maghreb Emergent und Radio M, ein Webradio, von der jüngsten Zensur betroffen.

Kein Ende der Repression

Schon im Juli 2019 gab es Zensur gegen Interlignes, nachdem die Website über die Anti-Regime-Proteste der Hirak-Bewegung berichtet hatte. Im Zuge dieser Demonstrationen war der langjährige Präsident Abdelaziz Bouteflika im April 2019 zurückgetreten, die Proteste gegen das Regime aber gingen noch bis Februar 2020 weiter. Die Covid-19-Epidemie bereitete den Demonstrationen dann ein Ende, was aber offenbar nicht zu einem Ende der Repression führte.

Die Reporterorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) äußerte sich diese Woche besorgt über ein von der algerischen Regierung geplantes Gesetz zu „Fake News“. Dieses könne als ein weiteres Werkzeug benutzen, um „die Presse mundtot zu machen“. Das Gesetzesvorhaben ziele darauf ab, Nachrichten zu kriminalisieren, von denen die Behörden sagen, dass sie die nationale Sicherheit untergraben könnten.

Souhaieb Khayati, der RSF-Direktor für Nordafrika, sagte, Algerien sei das Land mit den meisten Todesfällen im Zusammenhang mit dem Coronavirus in Afrika, „aber die Behörden ziehen es vor, die freie Presse zu verfolgen“. In Algerien gibt es nach den neusten Zahlen mehr als 2.800 bestätigte Fälle von Covid-19 und 392 Todesfälle.

Am Mittwoch wurde das Gesetz vom algerischen Parlament verabschiedet. Auch „Verschwörungen“ und „Angriffe auf die nationale Einheit“ sind demnach strafbar. Justizminister Belkacem Zeghmati sagte, Falschnachrichten hätten sich „in letzter Zeit infolge des großen Fortschritts der Medien und Technologien ausgebreitet, da ihre Autoren soziale Netzwerke nutzen, um die Bürger in Angst zu versetzen, wobei sich das Phänomen während Krisen oder außergewöhnlichen Umständen verstärkt.“

Die Verbreitung von „Falschnachrichten“ kann nun mit einer Haftstrafe von ein bis drei Jahren bestraft werden, die Strafe verdoppelt sich im Wiederholungsfall. Das Strafmaß steigt laut dem Gesetz auf drei bis fünf Jahre, „wenn diese Handlungen in Zeiten einer gesundheitlich bedingten Ausgangsbeschränkung oder einer natürlichen, biologischen oder technologischen Katastrophe oder irgendeiner anderen Katastrophe begangen werden“.

Akram Kharief, ein Journalist und Gründer der Website MENA Defense, die über Rüstungstechnologie in Nordafrika berichtet, sagte gegenüber dem französischenNachrichtenmagazin Le Point

„Das Problem ist, dass in Algerien offizielle Informationen der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind, es kein Open Data gibt und die institutionellen Kommunikationsmechanismen sehr langsam sind und nicht den Bedürfnissen der Presse entsprechen. Dies zwingt Journalisten dazu, mit externen Quellen zu arbeiten. Selbst wenn diese geprüft sind, werden sie von den Behörden weiterhin in Abrede gestellt, was Journalisten in Gefahr bringt, beschuldigt zu werden, Falschnachrichten verbreitet zu haben.”

Zudem definiere das neue Gesetz nicht, was eine Falschnachricht, eine Verschwörung oder ein Angriff auf die nationale Einheit sei. „Das Schlimmste ist, dass diese Anschuldigungen jeden treffen können, einschließlich des normalen Algeriers, der einen Facebook-Account eröffnet.“

Said Salhi, Vizepräsident der Algerischen Liga für die Verteidigung der Menschenrechte, sagte, die Behörden hätten Online-Medien ins Visier genommen, weil sie „aktiver” seien und „der Kontrolle der Regierung entgehen“.

Der neue Gesetzesentwurf sei „eine weitere Schraubendrehung gegen die Freiheiten” in Algerien. Er ziele darauf ab, „die Unterdrückungskampagne zu legalisieren, die seit Monaten Aktivisten der Hirak-Bewegung, Journalisten und Menschenrechtsverteidiger ins Visier nimmt”, so Salhi.

Mindestens zwei Journalisten sitzen in Algerien hinter Gittern, weil sie über die Anti-Regime-Proteste berichtet haben, darunter Khaled Drareni, Korrespondent des französischen Senders TV5 Monde.

Auch in Jordanien

Unterdessen wurden in Jordanien nach Angaben von RSF zwei bekannte Fernsehjournalisten verhaftet, weil sie über die wirtschaftlichen Auswirkungen der Ausgangsbeschränkungen berichtet hatten.

Fares Sayegh, der Manager des privaten Fernsehsenders Roya TV, und dessen Nachrichtendirektor Mohammad Alkhalidi seien am 9. April für 14 Tage in Haft genommen worden, weil der Sender Menschen auf der Straße interviewt und gefragt hatte, was sie von den im Rahmen des Gesundheitsnotstands eingeführten Beschränkungen hielten (die einen großen Teil der Bevölkerung davon abhalten, seiner beruflichen Beschäftigung nachzugehen).

Laut RSF wurde bislang nicht öffentlich gemacht, was den beiden Journalisten vorgeworfen wird. Einige Quellen hätten aber gemutmaßt, dass es etwas mit einem Kommentar zu tun habe, der in einem der Interviews geäußert wurde. So habe eine Person gesagt: „Was soll ich jetzt machen? Drogen verkaufen? Stehlen? Das ist alles, was mir bleibt.“ Dies könne als Werbung für Drogenhandel verstanden werden, so die Quellen gegenüber RSF.

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