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9/11: Wendepunkt der Geschichte

Am Samstag jährt sich der Terroranschlag von 9/11 zum 20. Mal
Am Samstag jährt sich der Terroranschlag von 9/11 zum 20. Mal (© Imago Images / ZUMA Wire)

Der 11. September 2001 zerstörte den Traum vom Ende der Geschichte. Zwanzig Jahre später sind wir Zeugen der globalen Abdankung des Westens.

Jules, this is Brian. Listen, I’m on an airplane that’s been hijacked. If things don’t go well, and it’s not looking good, I just want you to know I absolutely love you, I want you to do good, go have good times, same to my parents and everybody, and I just totally love you, and I’ll see you when you get there. Bye, babe. I hope I call you.

Brian hat nicht mehr angerufen. Als Julie Sweeney die Nachricht ihres Mannes auf dem Anrufbeantworter abhört, ist ihr Mann bereits tot. Vier Minuten, nachdem Brian Sweeney versucht hatte, seine Frau zu erreichen, schlug der United-Airlines-Flug 175 von Boston nach Los Angeles in den Südturm des World Trade Centers ein.

Der 11. September 2001 zerstörte das Leben von Tausenden. Das Datum markiert das Ende einer Ära. 

Auf einen Schlag war der Traum vom Ende der Geschichte ausgeträumt, das Francis Fukuyama 1989 ausgerufen hatte. Seinem berühmten Aufsatz zufolge seien totalitäre Systeme zum Scheitern verurteilt, weil sie die grundlegenden Prinzipien der liberalen Demokratie missachten: die bürgerlichen Grundrechte, das Rechtsstaatsprinzip und die freie Marktwirtschaft. Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion war der Kalte Krieg beendet, der Siegeszug des westlichen Modells schien unaufhaltsam. Für einen kurzen historischen Augenblick schien die ganze Welt auf den Zug der Freiheit aufzuspringen.

Auch wenn es an diesem Tag noch nicht in seiner ganzen Tragweite erkennbar gewesen sein mag: Mit 9/11 hatte ein neuer Gegner der liberalen Demokratie sein hässliches Haupt erhoben, und er sollte sich als mächtiger erweisen, als wir dachten. Seit dem 11. September 2001 sind weltweit 42.319 Terroranschläge und Ehrenmorde im Namen Allahs verübt worden, dabei wurden 267.059 Menschen getötet und 341.011 verletzt, wie die Website TROP auflistet; Opfer von „normalen“ Kriegshandlungen wie zum Beispiel in Syrien oder im Irak nicht mitgezählt. 

Dabei markiert der islamische Terror nur die Spitze des Eisbergs. Im Windschatten seiner terroristischen Avantgarde verbreitet sich auf allen Kontinenten in atemberaubender Geschwindigkeit ein Islam, der mit der westlichen Demokratie und den Werten der Aufklärung nicht vereinbar ist. Ein Islam, der nicht nur eine Religion im spirituellen Sinn des Wortes ist, sondern zugleich Rechtssystem und Staatsideologie, wie der langjährige ORF-Reporter Friedrich Orter in seinem Buch Aufwachen beschreibt:

Die wenigsten von uns kennen den Islam als Gesetzesreligion, die das politische, soziale und kulturelle Leben bestimmt: eine Religion, die keine sich selbst verwaltenden Bürgerschaften kennt, eine Glaubenslehre, die die Einheit von Politik und Religion fordert und deren orthodoxe Anhänger den Islam für die einzige religiöse Wahrheit halten und sich auf die 114 Suren des Koran berufen.

Dieser Islam verkörpert die Vormoderne. Dennoch stellt sich ein großer Teil der links-liberalen Eliten gegenüber dieser religiös motivierten Zumutung taub und blind und verunglimpft Kritik als „Islamophobie“. 

Der Fall Afghanistans

In den Wochen vor dem zwanzigsten Jahrestag von 9/11 hat der Westen Afghanistan aufgegeben und den Taliban nicht nur das Feld, sondern auch noch Waffen und Gerät im Wert von 85 Milliarden Dollar überlassen. Nach der Räumung der Bagram Air Base am 9. Juli 2021 – das Hauptquartier der US-Streitkräfte 75 Kilometer nordöstlich von Kabul war der wichtigste amerikanische Militärflugplatz der USA in Afghanistan – stand die afghanische Armee ohne Luftunterstützung und Aufklärung da. Der Westen hatte seine Verbündeten über Nacht den Taliban ausgeliefert. 

Sich aus einem militärischen Konflikt zurückzuziehen und seine Truppen nach Hause zu bringen, ist eine Sache, sich aus dem Staub zu machen, eine andere. Zurück bleiben tausende Menschen, die sich auf den Westen verlassen haben, die an der Seite der westlichen Truppen gekämpft oder an exponierter Stelle für die NATO-Staaten gearbeitet hatten. 

Die Bilder der Flüchtenden werden sich ins Gedächtnis der Welt brennen. Auf ihnen sind fast nur afghanische Männer zu sehen. Der britische Sender BBC berichtete, dass auch als der Flughafen in Kabul noch offen war, 90 Prozent der Passagiere Männer waren. Männer, die sich in Sicherheit bringen, während sie ihre Frauen und Familien in Afghanistan ihrem Schicksal überlassen. Und so erzählt die Geschichte nicht nur von Staaten, die ihre Verbündeten verraten, sondern auch vom Verrat afghanischer Männer an ihren Frauen.

Erschreckend ist nicht, dass sich die USA aus Afghanistan zurückziehen, sondern die Art, wie dieser Rückzug erfolgt. Hätte man der afghanischen Armee nicht wenigstens mit Luftunterstützung gegen die heranrückenden Taliban helfen können? Hätte man nicht wenigstens deren wichtigste Stützpunkte bombardieren können? Hätte man nicht wenigstens noch solange militärisch Beistand leisten können, ja müssen, bis die eigenen Staatsbürger und die afghanischen Mitarbeiter samt Familien in Sicherheit sind?

An Deutschland, die EU, an ganz Europa braucht man diese Fragen gar nicht erst zu stellen. Deutschland und Österreich hätten nicht einmal die eigenen Botschaftsangehörigen aus eigener Kraft evakuieren können. Über Europa ist nur deshalb niemand empört, weil sich ohnehin niemand auf Europa verlässt.

Der Westen gibt sich auf 

Zwanzig Jahre nach 9/11 wird offensichtlich, dass der Westen nicht mehr willens und fähig ist, seine Einflusssphären zu sichern. Die Folgen sind fatal. Wo immer sich die USA als Schutzmacht zurückziehen, füllen Russland, China oder regionale Potentaten wie Erdogan das Machtvakuum. 

Damit verliert das Modell der liberalen westlichen Demokratie Stück für Stück an globaler Bedeutung und – was vielleicht noch schlimmer ist – an Ansehen, Attraktivität und Vertrauen. Autoritäre Regime fragen nicht nach Werten, Menschenrechten oder demokratischer Legitimation. Sie unterstützen, wen oder was ihnen nützlich ist. Damit gewinnen Sie an Stärke gegenüber einem an Selbstzweifeln kränkelnden Westen, der mehr mit seiner Vergangenheit beschäftigt ist als mit seiner Zukunft. Die Folgen sehen wir nicht nur in den Vereinten Nationen, wo die demokratischen Staaten längst in der Minderheit sind. 

„Die europäische Union ist wirtschaftlich stark – aber längst abhängig vom chinesischen Markt“, schreibt der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg und EU-Kommissar Günther Oettinger. China habe vor allem Technologie-Unternehmen, Banken und kritische Infrastruktur wie Häfen und Stromnetze im Fokus:

Die chinesische Staats-Reederei Cosco und ihre Schwesterfirma China Merchant besitzen bereits in 14 europäischen Häfen – von Rotterdam und Antwerpen über Le Havre, Bilbao, Valencia, Marseille und Malta – eigene Terminals oder Anteile an Hafengesellschaften. Weltweit kontrolliert Peking mittlerweile jedes vierte Container-Terminal. „Damit verliert Europa ein Stück Souveränität“, sagt Frankreichs Ex-Premier Jean-Pierre Raffarin über den Ausverkauf der Häfen.

Seit Cosco 2016 die komplette Kontrolle über den Hafen von Piräus erworben hat, ist der griechische Hafen zur Nummer vier in Europa aufgestiegen, hinter Rotterdam, Antwerpen und Hamburg. „Tatsächlich ist Piräus der Endpunkt der maritimen Seidenstraße – von China über den Indischen Ozean ins Rote Meer. Dessen Eingang zur Weiterfahrt durch das Nadelöhr Suez-Kanal kontrolliert China bereits mit einer Marinebasis in Dschibuti am Horn von Afrika.“

In Afghanistan hat sich China prompt in Stellung gebracht. Xi Jinping weiß, dass dort nicht nur Mohnblumen wachsen, sondern unter der Erde Rohstoffe im Wert von hunderten Milliarden Dollar schlummern. Mit dem Land ist nicht nur ein weiteres Steinchen im globalen Domino um Einfluss und Handelsbeziehungen gefallen. Die Kaltschnäuzigkeit, mit der die Westmächte ihre Verbündeten im Stich gelassen haben, wird das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Westens nachhaltig erschüttern. Ulf Poschardt, Chefredakteur der WELT, zieht aus dem Fall Afghanistans ein bitteres Fazit:

Die Idee der Aufklärung war, dass alle Menschen am Ende gleich sind in ihrem Vermögen, sich mithilfe des eigenen Verstandes in der Welt zurechtzufinden und selbstbestimmt ihren Weg zu gehen. Darin versteckt war auch ein humanistischer Universalismus: die Hoffnung, dass dies für alle gelte.

Dieser Traum ist ausgeträumt. Die Selbstzerstörung des Westens, seine eitle Dekonstruktion aus Feigheit, trägt Früchte. Mit dem Vertrauen in die eigenen Ideen schwand die Wehrhaftigkeit, Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik entlang aufklärerischer Maximen zu verstehen. Das als Eurozentrismus kritisierte Denken hat sich selbst aufgegeben.

Zwanzig Jahre nach 9/11 befindet sich der Westen weltweit auf dem Rückzug. Das Ende der Geschichte bleibt offen. 

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