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Kronzeuge gegen die Islamische Republik

Von Andreas Benl

Ein Tondokument hält die iranische Gesellschaft in Atem. Vor wenigen Tagen veröffentlichte der Sohn des 2009 verstorbenen Ayatollahs Montazeri eine 40-minütige Aufzeichnung von 1988, die eine Auseinandersetzung zwischen Montazeri und prominenten Vertretern der sogenannten Todeskomitees der iranischen Gefängnisse dokumentiert.

Im Juli 1988 musste das iranische Regime einen Waffenstillstand mit den Truppen Saddam Husseins akzeptieren, der das Ende des Iran-Irak-Krieges einleitete. Kurz darauf erließ der damalige oberste religiöse Führer Ayatollah Khomeini eine Todesfatwa gegen die inhaftierten politischen Gefangenen, vor allem gegen die Mitglieder der oppositionellen Volksmudjahedin sowie die Anhänger linker Gruppen. Tausende wurden innerhalb weniger Wochen umgebracht; laut Mohammad Nourizad, einem ehemaligen Vertrauten des aktuellen Führers Khamenei beläuft sich ihre Zahl gar auf 33.000. Die Todeskomitees hatten die Aufgabe, in den Gefängnissen die Hinrichtungskandidaten auszuwählen.

Brisant ist dabei vor allem eines: Montazeri war zu diesem Zeitpunkt der designierte Nachfolger Khomeinis, die Aussagen stammen also von der damaligen Nummer Zwei des iranischen Regimes. Während die Proteste Montazeris bereits vor 28 Jahren im Westen bekannt wurden und zu seiner Absetzung im Iran führten, enthält das Dokument bisher unbekannte oder unbestätigte Details über Personen, die auch unter Rohani und Khamenei höchste Positionen innehaben.

So ist auf dem Tonband die Stimme des heutigen Justizministers Mostafa Pourmohamadi zu hören, der seine Beteiligung an den Todeskomitees zuvor bestritten hat. Außerdem Ayatollah Ebrahim Raisi, der bis dato als Favorit für die Nachfolge Ayatollah Khameneis galt. Darüber hinaus wird in der Aufzeichnung der damalige Justizchef und spätere Reformist Ayatollah Mousavi Ardabili als Beteiligter an der Planung des Massenmords benannt.

Als besonders krasse Beispiele für die Gnadenlosigkeit des Vorgehens der Komitees zählt Montazeri unter anderem die Hinrichtung einer schwangeren Frau in Isfahan sowie eines 15-jährigen Mädchens auf, dessen einziges Verbrechen darin bestand, mit der Organisation ihres ebenfalls getöteten Bruders zu sympathisieren. Man werde Khomeini, so Montazeri, als „blutdürstigen, brutalen und mörderischen Führer“ in Erinnerung behalten. Die österreichische Tageszeitung Standard schreibt angesichts der Veröffentlichung zurecht:

Die heilige Statue Ayatollah Khomeinis hat enorme Risse bekommen, die nicht mehr zu reparieren sind. Ayatollah Montazeri hat sieben Jahre nach seinem Tod Licht in einen Teil der dunkelsten Geschichte im Iran gebracht.

Es ist jedoch nicht nur die Gallionsfigur Khomeini irreparabel beschädigt: Das Tonband erschüttert vielmehr alle Fraktionen des islamistischen Regimes in Teheran.

Artikel zuerst erschienen auf Jungle Blog.

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