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Einseitige Reportage im Standard

Durfte seine Propaganda im "Standard" verbreiten: Martin Lejeune
Durfte seine Propaganda im "Standard" verbreiten: Martin Lejeune (© Imago Images / ZUMA Press)

Sehr geehrte Standard-Redaktion,

Eric Frey meinte unlängst in einem Kommentar, der an die Medien gerichtete Vorwurf der Einseitigkeit in der Berichterstattung über den Gaza-Krieg sei unbegründet, denn die Journalisten würden sich „viel Mühe (geben), Ereignisse und Ursachen umfassend und objektiv darzustellen“. Aber in einem asymmetrischen Krieg wie dem zwischen Israel und der Hamas sei der Vorwurf der Einseitigkeit an Journalisten eben „unvermeidbar“. (Standard, 21. Juli 2014)

Vielleicht wird Frey gezwungen sein, seinen Eindruck noch einmal zu überdenken, wenn er die Reportage „Ist dieses Mädchen eine Hamas-Kämpferin?“ von Martin Lejeune liest, die im heutigen Standard veröffentlicht wurde: Eine umfassende und objektive Darstellung ist darin kaum zu finden, stattdessen aber die kommentarlose Übernahme haarsträubender Vorwürfe gegen Israel und eine höchst selektive Schilderung der Ereignisse.

So zitiert Lejeune einen Arzt aus dem Shifa-Krankenhaus in Gaza: „Es werden fast nur unbeteiligte Frauen und Kinder getötet.“. Diese Behauptung folgt zwar genau den von der Hamas zu Beginn des Krieges ausgegebenen Propagandarichtlinien, wonach in jedem Fall zu betonen sei, dass es sich bei den Toten stets um „unschuldige Zivilisten“ handle, die der „israelischen Aggression“ zum Opfer gefallen seien, hat aber mit der Realität wenig zu tun.

Einer zuletzt vor drei Tagen aktualisierten Analyse zufolge handelt es sich bei rund 80 Prozent der palästinensischen Opfer des Gaza-Kriegs um Männer; eine Analyse der Altersverteilung der Getöteten zeigt, dass verglichen mit ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung des Gazastreifens insbesondere 20- bis 39-Jährige deutlich überrepräsentiert sind – also genau jene Altersgruppen, aus denen sich die Mehrzahl der Kämpfer der verschiedenen palästinensischen Terrorgruppen rekrutiert.

Eine israelische Forschungseinrichtung hat unter knapp 1000 palästinensischen Opfern fast 300 Terroristen der Hamas, des Islamischen Dschihad und anderer Terrororganisationen namentlich identifiziert.

Ohne Zweifel fallen dem von der Hamas angezettelten Krieg auch Frauen und Kinder zum Opfer, dass aber „fast nur Frauen und Kinder“ getötet würden, ist einfach haarsträubende Propaganda. Man kann sich einige Gründe vorstellen, warum ein Arzt des Shifa-Krankenhauses, das Medienberichten zufolge der Hamas als Kommandozentrale dient, solche Unwahrheiten verbreitet; dass Lejeune sie in seiner Reportage aber völlig unkommentiert wiedergibt und mit keinem Wort versucht, die Propaganda mit der Realität zu konfrontieren, hat jedenfalls wenig mit einer „umfassenden“ und „objektiven“ Darstellung der Ereignisse zu tun.

Das trifft leider auch auf eine andere Passage seines Beitrags zu, in der Lejeune über eine UNRWA-Schule in Beit Hanun schreibt, in der, so lässt er keinen Zweifel aufkommen, bei einem israelischen Angriff etliche Palästinenser getötet oder verletzt worden sein sollen. „Ist dieses Mädchen eine Hamas-Kämpferin?“, fragt der Arzt aus dem Shifa-Krankenhaus, der auf eines der bei dem Vorfall verletzten Mädchen deutet. Von einem „alptraumhafte(n) Massaker“ spricht ein UNRWA-Vertreter.

In Lejeunes Darstellung fehlt allerdings jeglicher Kontext. „Israel beschuldigt die Hamas, Frauen und Kinder als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen“, schreibt er zu Beginn seiner Reportage, sagt aber nicht dazu, dass genau dieser Vorwurf nicht bloß von Israel erhoben wird, sondern auch und gerade im Hinblick auf UNRWA-Einrichtungen im Gazastreifen von niemand geringerem als von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon.

Nachdem in den letzten Tagen mehrfach Raketenlager in UNRWA-Gebäuden gefunden worden waren, richtete dieser deutliche Worte an Hamas und andere palästinensische Terrorgruppen: „Die Verantwortlichen haben damit Schulen zu möglichen Angriffszielen gemacht und die Leben von unschuldigen Kindern, UN-Mitarbeitern und Schutzsuchenden in Gefahr gebracht.“ (Kurier, 25. Juli 2014)

Lejeune verschweigt seinen Lesern, dass die UNRWA es in ihrer Stellungnahme zum Vorfall vom vergangenen Donnerstag unterließ, Israel für den fatalen Beschuss der Schule verantwortlich zu machen. Er erwähnt mit keinem Wort, dass an dem betreffenden Nachmittag in unmittelbarer Nähe des Gebäudes schwere Kämpfe zwischen palästinensischen Terroristen und der israelischen Armee stattfanden. Er findet es offenbar keiner Erwähnung wert, dass Israel von Anfang an auf die Möglichkeit verwies, eine von der Hamas abgefeuerte Rakete könnte in der Schule eingeschlagen haben – eine jenes knappen Drittels der Terror-Raketen, das nie bis Israel kommt, sondern im Gazastreifen niedergeht.

Und Lejeune unterschlägt die Ergebnisse einer Untersuchung der israelischen Armee, die eine israelische Verantwortung für die Toten und Verletzten in der UNRWA-Schule zurückwies.

Aber dass die Hamas für den schrecklichen Zwischenfall in Beit Hanun verantwortlich sein könnte, das hätte Lejeunes gesamtes Narrativ zusammenbrechen lassen. „Ist dieses Mädchen eine Hamas-Kämpferin?“, diese Frage des Arztes aus Gaza eignet sich nur zum plakativen Titel für eine Reportage, wenn sie als Anklage gegen Israel gerichtet ist. Wohl deshalb vermied Lejeune jede noch so geringe Andeutung, dass die Geschichte vielleicht anders abgelaufen ist.

Erneut: Mit einer „umfassenden“ und „objektiven“ Darstellung der Ereignisse hat das wenig zu tun. (Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass er damit beim Standard bestens aufgehoben ist, auf dessen Seiten bisher mit keinem Wort auch nur angedeutet wurde, dass es zumindest Zweifel an Israels Verantwortung für das „alptraumhafte Massaker“ von Beit Hanun gibt.)

Anders als Frey in seinem Kommentar meinte, ergibt sich der Vorwurf der Einseitigkeit der Berichterstattung nicht zwangsläufig aus dem asymmetrischen Charakter des Krieges zwischen Israel und der Hamas. Der Vorwurf wird aber sehr wohl laut, wenn Propaganda einfach unwidersprochen wiedergegeben und über einzelne konkrete Vorfälle unter Auslassung wesentlicher Aspekte auf tendenziöse Art und Weise berichtet wird.

Mit freundlichen Grüßen,
Mag. Florian Markl
Medienbeobachtungsstelle Naher Osten (MENA)

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