Antisemitismus an Universitäten: Schützt Bildung vor Judenhass?

Von Monika Schwarz-Friesel

Wie artikuliert sich Antisemitismus im 21. Jahrhundert, 70 Jahre nach der Erfahrung Auschwitz, bei gebildeten Menschen – in der Öffentlichkeit, im Internet und auch an Universitäten auf akademischem Niveau? Dies ist eine Frage, der die diversen  Forschungsprojekte zum aktuellen Antisemitismus an der TU Berlin (FG Linguistik) empirisch nachgehen.

 

Berkeley
Antiisraelische Demonstration auf dem Campus der Universität Berkeley

 

Für viele Menschen ist die Vorstellung eines gebildeten Antisemitismus im Zeitalter des kollektiven Post-Holocaust-Bewusstseins schwer zu akzeptieren: Die Kombination von (akademischer) Bildung und Judenhass wird als befremdlich und irritierend empfunden, da sie nicht kompatibel ist mit der (Wunsch-)Vorstellung, Bildung verhindere eine antisemitische Einstellung. Wie kann – nach Jahrzehnten des Bemühens, über Judenfeindschaft aufzuklären – ein universitär gebildeter Mensch allen Ernstes antisemitische Äußerungen artikulieren? Dies ist nur dadurch zu erklären, dass Judenfeindschaft ein seit 2000 Jahren in der abendländischen Kultur tief eingegrabenes Glaubenssystem ist, auf uralten, beständig reproduzierten Stereotypen basierend, durch kollektive emotionale Strukturen getragen, über die Jahrhunderte tradiert: Vor allem von Gebildeten, wie zum Beispiel das 19.  Jahrhundert zeigt, in dem Antisemitismus auf allen gesellschaftlichen Ebenen normal war: Antisemitismus wurde artikuliert von meinungsbildenden, anerkannten, gebildeten Persönlichkeiten der Gesellschaft (siehe den Berliner Antisemitismusstreit um die judenfeindlichen Äußerungen des Geschichtsprofessors Heinrich v. Treitschke im Jahre 1879). Bis zum Jahr 1945 ist das Ressentiment gegen Juden also habitualisiertes Alltags- und Kulturgut.

 

Universitärer Antisemitismus

Die Universitäten bildeten diesbezüglich keine Ausnahme. Oft waren sie sogar Vorreiter judenfeindlicher Diskriminierung. Im 20. Jahrhundert (besonders zwischen den Weltkriegen) sind antijüdische Maßnahmen und physische Gewalt Normalität an den  Universitäten: Sei es ein Numerus Clausus für jüdische Studierende in Ungarn, die Be- und Verhinderung von Habilitationen und Berufungen jüdischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Wien, Beleidigungen und Ausgrenzungen durch Schwarzhemd-Gruppen in Italien, antisemitische Umtriebe studentischer Verbindungen in Polen usw.  Studentinnen und Professorinnen jüdischen Glaubens waren dabei doppelt der Diskriminierung ausgesetzt, da sich die antisemitische Feindseligkeit mit Anti-Feminismus verband. Insgesamt ist zu konstatieren, dass antisemitische Tendenzen im akademischen Milieu oft ausgeprägter waren als in anderen gesellschaftlichen Gruppierungen. An deutschen Universitäten (auch an der TU Berlin) sympathisierten viele Studierende und Dozierende bereits vor Machtübernahme der Nationalsozialisten mit deren hasserfüllter Rasse-Ideologie. Dass nach 1933 in kürzester Zeit höchst effizient dafür gesorgt wurde, dass die Universitäten durch die Vertreibung jüdischer Wissenschaftler und Wissenschftlerinnen sowie Studierender für „judenrein“ erklärt wurden, ist auch der Tatsache geschuldet, dass das Universitätspersonal entweder begeistert-aktiv an der Diskriminierung teilnahm oder desinteressiert zur Seite blickte. Studentische Widerstandsbewegungen wie die „weiße Rose“ an der Universität München waren die Ausnahme.

 

Campus-Antisemitismus

Universitären Antisemitismus findet man heute (als „Campus-Antisemitismus“) weltweit in der anti-israelischen Variante, die alle Kennzeichen des alten Judenhasses im neuen Gewand trägt. Anfang März wurde in Berkely das Graffiti entdeckt „Zionists should be sent to the gas chamber.“ An den Wänden und Bürgersteigen finden sich Sprüche wie „Death to Israel“ und „Kill all the Jews.“ Es sind besonders liberale und linke Universitäten in den USA, an denen solche Hasssprache gegen Juden auffällig wird. Während viele Studierende und Dozierende beim Sprachgebrauch strikt auf die Einhaltung der Rechte und Gefühle von Minoritäten pochen, haben sie kein Problem damit, judeophobe Verbal-Antisemitismen als Hass auf Israel zu artikulieren. Die Mitglieder der Verwaltungsrates der kalifornischen Universität sprachen sich unlängst aufgrund der mittlerweile ausufernden Campus-Hasssprache gegenüber Israel gegen solche Hetzkampagnen aus. Auch an deutschen Universitäten ist man nicht hinreichend sensibilisiert und kritisch gegenüber den Varianten judeophober Feindbildrhetorik (zum Beispiel in der anti-israelischen BDS (Boycott-Divestment-Sanctions)-Kampagne).

 

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Verbaler Antisemitismus: Gewalt durch Sprache

Die Gewalt der Sprache zeigt sich beim Verbal-Antisemitismus als Gewalt durch Sprache. Wenn  jüdische Deutsche als „Fremde und Nicht-Deutsche“ bezeichnet werden, ihnen „Machtmissbrauch und Schuldkult“ vorgeworfen wird, wenn sie als „Holocaustausbeuter“, sowie „Meinungsdiktat-Erpresser“ diskriminiert werden, wenn der jüdische Staat als „Kindermörder-Staat“ oder „Kolonie auf arabischem Boden“ diffamiert und deligitimiert wird. Solch ein Sprachgebrauch übt geistige Gewalt aus. Seit 1945 ist offene Judenfeindschaft gesellschaftlich verpönt und in Deutschland juristisch sanktioniert.  Judenfeindliche Inhalte werden heute daher vor allem als sogenannte „Umweg-Kommunikation“ artikuliert. Statt explizit auf Juden zu verweisen, werden vage Paraphrasen wie „jene einflussreichen Kreise“, oder „jene gewisse Religionsgemeinschaft“  benutzt.  Über referenzielle Verschiebung wird auf „Israel“, die „Israel-Lobby“, oder die „Zionisten“ referiert. Zugleich werden uralte judeophobe Stereotype (Rachsucht, Kindermord, Blutkult)  auf Israel projiziert.  Anstelle von „internationalem Finanzjudentum“ wird „internationales Finanztum“ gesetzt, oft zusammen mit Namen und  Schlagworten, die unmittelbar mit dem Judentum assoziiert werden wie „Auge um Auge“ oder „das alttestamentarische Gesetz der Rache“.  „Rothschild“  ist eine  bekannte Chiffre für die Stereotype des jüdischen Wuchers und Finanzwesens. Der Topos des „jüdischen Weltenübels“ wird heute kommuniziert als „Israel ist die größte Gefahr für den Weltfrieden“. Während sich die Ausdrucksformen verändern und sich den aktuellen sozialen und politischen Gegebenheiten anpassen, bleiben die judenfeindlichen Konzepte konstant und werden lediglich unter verbaler Camouflage als „Kritik“ kodiert.

 

Literatur zum Thema (Auswahl)

  • Fritz, Regina/ Grzegorz Rossoliński-Liebe /Jana Starek, 2016. Alma Mater Antisemitica: Akademisches Milieu, Juden und Antisemitismus an den Universitäten Europas zwischen 1918 und 1939. Wien: new academic press.
  • Schwarz-Friesel, Monika, (Hrsg.) 2015. Gebildeter Antisemitismus. Eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft. Baden-Baden: Nomos.
  • Schwarz-Friesel, Monika/Reinharz, Jehuda, 2013. Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert. Berlin, Boston: de Gruyter.

Erschienen in: Gender, Politik, Universität. Gegen Diskriminierung an Hochschulen, Nr. 1/2016, TU Berlin, S. 22-23. Artikel zuerst wiederveröffentlicht bei Audiatur Online

 

Die Autorin ist Antisemitismusforscherin an der TU Berlin und Herausgeberin des Bandes „Gebildeter Antisemitismus. Eine Herausforderung für Politik und Zivilgesellschaft“ (mit Beiträgen von Matthias Küntzel, Olaf Glöckner, Lars Rensmann, Martin Kloke, Esther Schapira, Georg M. Hafner, Samuel Salzborn u.a.). In den MENA-Analysen 2014/15 ist sie mit dem einer „Analyse des während des Gazakrieges manifest gewordenen Antisemitismus“  vertreten.

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