Wird das neue Gesetz vom Parlament angenommen, sind im Irak Eheschließungen für Mädchen ab neun und für Jungen ab fünfzehn Jahren legal.
Der nächste Schritt für die Verabschiedung einer höchst umstrittenen Änderung des irakischen Personenstandsgesetzes war für gestern im Parlament in Bagdad angesetzt. Wie das Staatsmedium INA am Montagabend berichtete, stand am Dienstag die zweite Lesung auf der Tagesordnung. Sollte die Änderung angenommen werden, könnte sie Kinderehen legalisieren und religiösen Autoritäten mehr Macht über das Familienrecht geben.
Menschenrechtsaktivisten, Abgeordnete und zivilgesellschaftliche Organisationen haben heftig gegen den Gesetzesentwurf zur Änderung des Personenstandsgesetzes von 1959 (Nr. 188) protestiert. »Die sektiererischen und einflussreichen politischen Kräfte haben ihre Entschlossenheit gezeigt, eine Änderung des Gesetzes zu erlassen«, erklärte die jüngst gegründete Koalition 188, eine Gruppe, die gegen die vorgeschlagenen Änderungen agitiert, am Montag auf einer Pressekonferenz in Bagdad. Die Koalition aus Aktivisten, zu denen mehrere NGO und einflussreiche politische Persönlichkeiten gehören, nannte das »aufgeheizte politische und soziale Klima« im Irak als Hauptgrund für die Ablehnung der Änderung.
Die Koalition 188 beschuldigte den regierenden schiitischen Koordinationsrahmen, den anderen Parteien seinen Willen aufzwingen zu wollen. »Einflussreiche politische Blöcke im Parlament, insbesondere einige Kräfte innerhalb des Koordinationsrahmens, versuchen, anderen ihren Willen aufzuzwingen und wollen ein Gesetz verabschieden, das eine große gesellschaftliche Kontroverse ausgelöst hat«, heißt es in der Erklärung weiter, in der abschließend die Frage gestellt wird: »Wie würde sich die Situation entwickeln, würde das Gesetz von einer politischen Minderheit verabschiedet werden?«
Demonstrationen
Das Parlament hat am 4. August die erste Lesung des Gesetzes durchgeführt, muss aber noch endgültig über die geplante Änderung abstimmen. Bis dahin wird die Gesetzesänderung noch zwei weitere Male im Parlament gelesen, debattiert und neu formuliert werden.
Im Falle einer Verabschiedung würde die vorgeschlagene Novellierung den Irakern die Möglichkeit geben, ihre Ehe nach religiösen Regeln zu führen. Für Schiiten sieht der Entwurf die Befolgung der Bestimmungen der Jaafari-Rechtsschule vor, die eine Heirat für Mädchen ab neun und für Jungen ab fünfzehn Jahren erlaubt.
Am Montag teilte die Europäische Union mit, die vorgeschlagene Änderung zu prüfen und die Meinungen irakischer Beamte einzuholen. »Wir hoffen, dass die Abgeordneten die Vereinbarkeit des überarbeiteten Textes mit dem irakischen Rechtsrahmen und den völkerrechtlichen Verpflichtungen, auch in Bezug auf ratifizierte internationale Übereinkommen, sicherstellen werden«, so die EU-Delegation im Irak in einem Beitrag auf X.
Im August fanden im gesamten Irak und in der Region Kurdistan Demonstrationen gegen die umstrittene Vorlage statt. Im Irak werden viele Eheschließungen von religiösen Führern durchgeführt und nicht registriert, wodurch sie rechtsungültig sind. Der Änderungsvorschlag sieht die Legitimierung von Eheschließungen vor, die von religiösen Führern genehmigt wurden.
Die Gesetzesnovellierung wurde von mehr als hundert schiitischen Parlamentsmitgliedern gefordert, stieß jedoch bei den übrigen Mitgliedern auf Ablehnung. Laut dem Abgeordneten Kurdo Mohammed haben rund hundertdreißig eine Petition gegen die Verabschiedung des Gesetzes unterzeichnet.
Der Entwurf wurde vom unabhängigen Abgeordneten Raed al-Maliki eingebracht, der auch für die umstrittene Änderung des Anti-Prostitutionsgesetzes Anfang des Jahres verantwortlich war, mit der Homosexualität und geschlechtsangleichende Operationen unter Strafe gestellt wurden.