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Zwei widerstreitende Hypothese zum israelisch-palästinensischen Konflikt

Sagte in Camp David zu allen Vorschlägen nein: Yassir Arafat
Sagte in Camp David zu allen Vorschlägen nein: Yassir Arafat (© Imago Images / UPI Photo)

Wollen die Palästinenser einen eigenen Staat gründen, oder wollen sie den jüdischen Staat zerstören?

Martin Sherman

Bis heute kann ich nicht verstehen, warum die palästinensische Führung den weitreichenden und beispiellosen Vorschlag, den ich ihr unterbreitet habe, nicht akzeptiert hat. Mein Vorschlag enthielt eine Lösung für alle noch offenen Fragen: den territorialen Kompromiss, die Sicherheitsvereinbarungen, Jerusalem und die Flüchtlinge.
Der ehemalige israelische Premierminister Ehud Olmert, The Washington Post, 17. Juli 2009

Bedauerlicherweise ist die internationale Debatte über den arabisch-israelischen Konflikt und insbesondere seine israelisch-palästinensische Komponente durch und Mythen und Propaganda verdunkelt worden. Dies hat sich negativ auf den öffentlichen Diskurs ausgewirkt und die historische Wahrheit unterdrückt, während zugleich eklatante Unwahrheiten aufrechterhalten werden – insbesondere die fatal fehlerhafte Vorstellung, dass es den Palästinensern bloß um einen eigenen Staat ginge.

Rätselhaftes und andauerndes Scheitern

Jeder, der für die Gründung eines palästinensischen Staates westlich des Jordans eintritt, muss sich eine unangenehme Frage stellen: Warum ist es den Palästinensern bislang wiederholt nicht gelungen, einen solchen Staat zu errichten, während viele andere nationale Bewegungen mit weit geringerer moralischer und materieller Unterstützung erfolgreich waren?

In der Tat haben die Palästinenser große internationale Solidarität für ihre Sache genossen: mit der UdSSR, hatten sie die uneingeschränkte Unterstützung einer der beiden Supermächte während des Kalten Krieges; sie genossen eine äußerst wohlwollende Berichterstattung in den großen Medien und mehr als ein Jahrzehnt lang konnten sie auf israelische Regierungen blicken, die ihre erklärten nationalen Bestrebungen nicht nur anerkannt, sondern sich durchaus mit ihnen identifiziert haben.

Trotz all dieser Vorteile ist es den palästinensischen Arabern nicht gelungen, auch nur den Anschein einer stabilen, produktiven Gesellschaft zu schaffen. Trotz Milliarden an ausländischer Hilfe scheint der proto-palästinensische Staat die einzigartige – wenn auch zweifelhafte – Besonderheit zu besitzen, schon ein »gescheiterter Staat« zu sein, bevor er überhaupt gegründet wurde.

Die ketzerische Behauptung, das eigentliche Ziel der Palästinenser sei nicht die Gründung eines Staates, hat also durchaus ihre Berechtigung. Vielleicht ist es also an der Zeit zu sagen, dass die meisten konventionellen Weisheiten über den israelisch-palästinensischen Konflikt unbegründet, ja sogar falsch und irreführend sind.

Zwei gegensätzliche Hypothesen

Im Prinzip gibt es zwei Hypothesen, die den israelisch-palästinensischen Konflikt erklären können. Nach der vorherrschenden Lehrmeinung wird der Konflikt durch das fehlende Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser verursacht. Nach dieser Meinung sei das Einzige, was die Palästinenser wollen, die Gründung eines Staates für sich selbst.

Es gibt jedoch eine alternative These, die der dieser Lehrmeinung diametral entgegengesetzt ist und die plausibler zu sein scheint: Die Ursache des Konflikts ist nicht das fehlende palästinensische Selbstbestimmungsrecht, sondern die Existenz des jüdischen Selbstbestimmungsrechts. Solange das jüdische Selbstbestimmungsrecht besteht, wird auch der Konflikt fortbestehen. Außerdem ist es nicht das Ziel der Palästinenser, einen Staat für sich selbst zu errichten, sondern einen Staat für andere – die Juden – zu zerstören.

Daran anschließend stellt sich nun die Frage, welche dieser beiden Hypothesen die größere Erklärungskraft besitzt, wobei mir die Antwort eindeutig zugunsten der zweiten auszufallen scheint, denn sie liefert plausible Erklärungen für eine Reihe von Fakten, für die die erste These keine Begründung liefern kann.

  • Es wird klar, warum die Palästinenser bislang noch jeden territorialen Vorschlag abgelehnt haben, der es ihnen ermöglicht hätte, einen eigenen Staat zu gründen.
  • Es wird klar, warum nur die völlige Ablehnung jüdischer Unabhängigkeit und Souveränität für die Palästinenser akzeptabel erscheint. Dies zeigt sich nicht nur in ihrer wiederholten Ablehnung einer Zwei-Staaten-Lösung, sondern auch in der palästinensischen Rhetorik und Symbolik, die das gesamte, Israel und die Westbank umfassende Territorium stets als arabisches Palästina darstellt.
  • Es wird klar, warum die Palästinenser vor 1967 keinen Anspruch auf das Westjordanland und den Gazastreifen erhoben haben. Die palästinensische Nationalcharta wurde 1964 formuliert, also Jahre bevor Israel im Westjordanland präsent war, und verneint ausdrücklich die Intention, »irgendeine territoriale Souveränität über das Westjordanland im Haschemitischen Königreich Jordanien [oder] über den Gazastreifen auszuüben« – jene Gebiete, die die Palästinenser nun als ihr historisches Heimatland beanspruchen.
  • Es wird klar, warum sich Millionen von Palästinensern in Jordanien – wo sie die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen – damit abgefunden haben, von einem nichtpalästinensischen Monarchen regiert zu werden. Dies zeigt, dass sie nicht gegen eine nicht-palästinensische Herrschaft, sondern nur gegen eine jüdische Herrschaft eingestellt sind.
  • Es wird nicht nur klar, warum die palästinensischen Araber das großzügige Friedensangebot des ehemaligen Premierministers Ehud Barak im Jahr 2000 ablehnten, sondern auch, warum sie darauf mit der beispiellosen Terrorkampagne namens »Zweite Intifada« reagierten.
    Dies scheint darauf hinzudeuten, dass selbst Baraks weitreichende Zugeständnisse weit hinter ihren tatsächlichen, wenn auch unausgesprochenen, Forderungen zurückblieben. Wären die Zugeständnisse nur in einem gewissen Grad unzureichend gewesen, hätten die Palästinenser über die Details verhandelt, anstatt zu Terror zu greifen. Ihre Entscheidung ist nur erklärbar, wenn die Aussicht auf ein Ende des Konflikts für sie grundsätzlich inakzeptabel ist.
  • Es wird klar, warum die Palästinenser den extrem großzügigen Friedensvorschlag von Ehud Olmert aus dem Jahr 2006 ablehnten, der praktisch alle Forderungen der Palästinenser aufgriff und erfüllte (siehe hier). 
    Olmerts Ausdruck der Verwunderung in dem eingangs zitierten Kommentar in der Washington Postunterstreicht noch einmal deutlich die Unzulänglichkeit der Annahme, die Palästinenser wollten wirklich über die Gründung eines eigenen Staates an der Seite Israels verhandeln. »Es würde sich lohnen, die Gründe zu erforschen, warum die Palästinenser mein Angebot abgelehnt haben«, schrieb Olmert damals. Das würde es in der Tat.
  • Es wird klar, warum die palästinensischen Araber hartnäckig auf dem »Recht auf Rückkehr« bestehen, was bedeuten würde, dass Hunderttausende von Palästinensern – und möglicherweise sogar weit mehr – unter israelische Souveränität gestellt würden. Dies reißt die Maske vom Antlitz angeblichen palästinensischen Absichten, denn diese Forderung ist kaum mit ihrem Wunsch vereinbar, von der »unterdrückerischen«Kontrolle durch Israel befreit zu werden – geschweige denn, dass es mit einer gerechten Zweistaatenlösung vereinbar wäre.

Nichts von alledem lässt sich mit der gängigen Meinung vereinbaren, dass es den Palästinensern nur um die Gründung eines eigenen Staates ginge. Auf welche der beiden oben angesprochenen Hypothesen sollte Israel also seine künftige Politik stützen? Die Hypothese, die alle der nicht aus der Welt zu diskutierenden Phänomene erklären kann – oder diejenige, die für keines davon eine Begründung liefern kann?

Martin Sherman war sieben Jahre lang in operativen Funktionen im israelischen Verteidigungsapparat tätig. Er ist Gründer des Israel Institute for Strategic Studies (IISS), Mitglied des Forschungsteams des Habithonistim-Israel Defense & Security Forum (IDSF) und Teilnehmer des Israel Victory Project. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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