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Zwei Stimmen aus dem Süden Gazas: Berichte über Opposition gegen Hamas

Zeltlager für Kriegsflüchtlinge im Süden Gazas
Zeltlager für Kriegsflüchtlinge im Süden Gazas (© Imago Images / APAimages)

Jihad al-Sharif und Mohammed al-Abdallah sind zwei der neuen zivilgesellschaftlichen Stimmen im Gazastreifen, die Transparenz, Freiheit und Frieden fordern. Ihre Aussagen werfen ein Licht auf eine Generation, die sowohl von den lokalen Führern als auch von der internationalen Diplomatie im Stich gelassen wurde.

Mohammed Altlooli

Als in Dschabaliya im Nordosten des Gazastreifens intensive Kämpfe und Bombardierungen begannen, musste Jihad al-Sharif aus seinem Heimatort fliehen, da sein Viertel in Trümmern lag. »Wir wollten nicht weggehen. Aber die Luftangriffe, die Kämpfe um uns herum und der totale Zusammenbruch der Infrastruktur ließen uns keine Wahl. Wir sind mit nichts als den Kleidern, die wir am Leib trugen, nach Nuseirat im Süden gelaufen.»

Heute lebt der Aktivist wie Zehntausende andere palästinensische Binnenflüchtlinge in überfüllten Notunterkünften, ohne Gewissheit, was der nächste Tag bringen wird. Die Bedingungen in Nuseirat beschreibt Jihad wie folgt: »Es fehlt an allem: Wasser, Lebensmittel, Medikamente, Strom, Unterkünfte. Familien schlafen auf Betonböden oder unter freiem Himmel. Kinder sind krank, ältere Menschen erschöpft, und Frauen müssen in langen Schlangen anstehen, nur um Brot zu bekommen.«

Al-Sharif berichtet auch, wie die humanitäre Hilfe, die einst eine Lebensader war, durch die Hamas zu einer weiteren Form des Leidens geworden ist: »Hilfsgüter werden gestohlen, monopolisiert und auf dem Schwarzmarkt weiterverkauft. Selbst Mehl ist jetzt ein Luxusgut. Die Korruption ist offensichtlich – und niemand wird zur Rechenschaft gezogen.«

Laut al-Sharif zahlen Frauen und Kinder den höchsten Preis: »Mädchen haben ihre Schulen, ihre Privatsphäre und ihr Sicherheitsgefühl verloren. Frauen tragen die Hauptlast dieses Kriegs. Es ist herzzerreißend, Mütter um Windeln oder Medikamente für ihre Babys betteln zu sehen.«

Ziviler Widerstand im Kleinen

Allen Widrigkeiten zum Trotz hat Jihad al-Sharif ein kleines Netzwerk lokaler Freiwilliger mobilisiert, um Hilfsgüter direkt zu verteilen und so die traditionellen und oft korrupten Verteilungskanäle zu umgehen. »Wir sind keine Milizen. Wir tragen keine Waffen. Wir wollen einfach nur leben. Wir schaffen ein kleines Beispiel dafür, wie ziviler Widerstand aussehen kann. Wir teilen das Wenige, das wir haben, und arbeiten transparent.«

Der junge Mann steht ohne Wenn und Aber zu seiner ablehnenden Haltung gegenüber der herrschenden Autorität im Gazastreifen: »Die Hamas hat die Hilfe politisiert, Dissens kriminalisiert und das Leid zu einer Währung gemacht. Sie repräsentiert die Bevölkerung nicht. Wir fordern eine neue Führung – jung, zivil, transparent und rechenschaftspflichtig.«

In seinen abschließenden Bemerkungen richtet Jihad einen Appell an die Welt: »Wir sind keine Nummern und keine Schachfiguren in einem Krieg, den andere führen. Wir sind Menschen, die leben, studieren, arbeiten und Familien gründen wollen. Wir bitten die Welt, uns nicht durch eine politische Brille zu sehen, sondern als Menschen. Unterstützen Sie unabhängige Hilfslieferungen. Stärken Sie zivilgesellschaftliche Akteure. Helfen Sie uns zu überleben – und wieder aufzubauen.«

Islamismus als Tiefpunkt

Der Schriftsteller Mohammed al-Abdallah wirft der Hamas vor, »das nationale Projekt im Namen Gottes begraben« zu haben. Von seinem derzeitigen Aufenthaltsort im Süden des Gazastreifens, wo er als Binnenflüchtling lebt, aus reflektiert er über das, was er eher als ideologische Katastrophe, denn als politischen Fehltritt bezeichnet. »Die Hamas war nie eine Vertreterin der palästinensischen Sache, sondern hat diese gekapert. Sie kam an die Macht, um zu herrschen, nicht um das Leben der Palästinenser zu verbessern. Sie hat die Gesellschaft in eine Kaserne verwandelt und jeden Bürger zu einem Verdächtigen gemacht.«

Laut al-Abdallah begann die Karriere des politischen Islams in den palästinensischen Gebieten bereits den 1970er Jahren, erreichte jedoch mit der 1987 gegründeten Hamas ihren tiefsten Punkt. »Sie haben alle der Religion unterworfen, und der Traum von Freiheit wurde unter den Parolen der göttlichen Autorität begraben.«

Er glaubt, dass die Bevölkerung des Gazastreifens an einem Siedepunkt angekommen ist, denn »die Hungrigen haben keine Angst mehr. Die Menschen, die ohne Strom, Wasser und Medikamente leben, haben ihre Angst längst verloren. Unter der Asche lodert ein Feuer, das darauf wartet, von einer Stimme der Wahrheit entfacht zu werden. Der Gazastreifen ist kein schwarzes Banner [des Islamismus] und keine fluchbeladene Predigt. Es ist ein Kind, das Schutz sucht – kein Tunnel, von dem aus Angriffe gestartet werden. Die Befreiung wird nicht auf dem Rücken der Armen errichtet werden, sondern durch ihr Bewusstsein.«

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