Zwei Drittel des Antisemitismus im Internet stammen aus der »Palästina-Solidarität«

Antisemitische Transparente auf propalästinensischer Demonstration in Frankfurt/M.
Antisemitische Transparente auf propalästinensischer Demonstration in Frankfurt/M. (© Imago Images / Martin Winter)

Anlässlich des Internationalen Holocaust-Gedenktags stellte der israelische Minister für Diaspora-Angelegenheiten eine umfassende Analyse des weltweiten Antisemitismus vor, der sich seit einigen Jahren in neuen Formen präsentiert.

Shimon Sherman

Achtundsechzig Prozent der antisemitischen Äußerungen in den sozialen Medien stammen aus palästinensischen oder linken und progressiven pro-palästinensischen Kreisen. Dies geht aus einem Bericht hervor, den der israelische Minister für Diaspora-Angelegenheiten Amichai Chikli vorgelegt hat.

Der Bericht wurde am Sonntag, den 29. Januar auf der wöchentlichen Kabinettssitzung in Verbindung mit dem Internationalen Holocaust-Gedenktag vorgestellt. Er enthält eine umfassende Analyse des Judenhasses in der Diaspora und liefert Daten über die Anzahl und geografische Verteilung der Vorfälle. Besonderes Augenmerk bei der Präsentation legte der Minister auf neue Formen des israelbezogenen Antisemitismus: »Der Antisemitismus verändert sein Gesicht und verlegt sich zunehmend auf den Hass gegen den jüdischen Staat und die Leugnung seines Existenzrechts.«

Gewalttätiger Antisemitismus

Weltweit ist die Zahl der antisemitischen Vorfälle im Jahr 2022 gegenüber dem Rekordwert des Vorjahres zurückgegangen. Eine Ausnahme von diesem Trend bildeten die Vereinigten Staaten, wo die Zahl der antisemitischen Interaktionen deutlich zunahm.

Trotz des Rückgangs der Gesamtzahl der Vorfälle kam es 2022 zu einem Anstieg der gewalttätigen antisemitischen Angriffe um 13 Prozent. Die Länder mit den höchsten Raten an antisemitischen Angriffen waren die USA, England, Deutschland und Frankreich. In England wurde im letzten Jahr 28 Prozent mehr an physischen antisemitischen Angriffen verzeichnet, von denen die meisten in London stattfanden und sich gegen jüdische Personen oder Einrichtungen mit eindeutig jüdischer Identität richteten. Darüber hinaus stieg die Zahl der gegen Kinder oder Schulen gerichteten Attacken sowie die Häufigkeit von Hassverbrechen, die von Minderjährigen aus antisemitischen Motiven begangen wurden.

In Frankreich machten körperliche Angriffe 50 Prozent der insgesamt gemeldeten Vorfälle aus, wobei es drei Mordfälle mit mutmaßlich antisemitischen Motiven im Vergleich zu keinem einzigen in den beiden Vorjahren gab. In Deutschland stiegen die gemeldeten gewalttätigen antisemitischen Fälle um 57 Prozent.

Neue Trends im weltweiten Antisemitismus

Der Bericht konzentrierte sich auf neue Trends in den Vereinigten Staaten. Minister Chikli stellte fest, antisemitische Äußerungen seien in den letzten Jahren in die Mainstream-Gesellschaft eingedrungen und zu einer Normalität geworden. Dieser Diskurs, der früher vor allem von Randgruppen verbreitet wurde, wird heute von einflussreichen Persönlichkeiten wie Politikern, Prominenten und Sportlern fortgeführt und legitimiert.

»Angesichts eines relativen Rückgangs der antisemitischen Erscheinungen in der Welt ist die Zahl der antisemitischen Vorfälle speziell in den USA gestiegen, wo sich auf einigen Universitäten eine feindselige Atmosphäre gegenüber jüdischen Studenten entwickelt, insbesondere, wenn sie sich als Zionisten identifizieren«, so der Minister.

In Russland liegt der Hauptgrund für antisemitische Vorfälle im Jahr 2022 im Krieg gegen die Ukraine. Antisemitische Äußerungen und Verweise auf den Holocaust waren von Anfang an ein ständiger Aspekt des Konflikts.

Im März 2022, unmittelbar nach Beginn des Kriegs, registrierte das Antisemitism Cyber Monitoring System (ACMS) des Ministeriums für Diaspora-Angelegenheiten – ein vollautomatisches Überwachungssystem, das auf künstlicher Intelligenz und semantischen Analysetechnologien basiert – rund 317.000 antisemitische Beiträge in sozialen Medien, was einem Anstieg von 40 Prozent im Vergleich zum März 2021 entspricht.

Bestimmte Gruppen könnten die Russland-Ukraine-Krise genutzt haben, um antisemitische Botschaften zu verbreiten, heißt es in dem Bericht, demzufolge im Jahr 2022 auch ein deutlicher Anstieg antisemitischer Online-Diskurse im Vergleich zu den vorangegangenen fünf Jahren zu verzeichnen war. Im Vergleich zu 2021 stieg die Zahl der antisemitischen Beiträge um 27 Prozent und die Zahl der Nutzer, die solche Inhalte verbreiteten, um 21 Prozent. Ein großer Teil der Äußerungen, nämlich 68 Prozent, richtete sich gegen den Staat Israel. Zu den Städten mit dem höchsten Anteil an antisemitischen Kommentaren im Internet gehörten Paris, New York, Los Angeles, Washington und Berlin.

Arabischer Antisemitismus

In der arabischen und muslimischen Welt lagen die Zentren für antisemitische Bemerkungen im Internet in Jordanien und Ägypten, so die Ergebnisse. Der Diskurs in dieser Region konzentriert sich hauptsächlich auf den israelisch-palästinensischen Konflikt. Dies wurde noch deutlicher nach Ereignissen wie dem Tod der Al Jazeera-Journalistin Shireen Abu Akleh in Dschenin im Mai 2022 und dem Luftkrieg (Operation Breaking Dawn) zwischen den Israelischen Verteidigungsstreitkräften (IDF) und dem Islamischen Dschihad im Gazastreifen im August, die beide zu einem massiven Anstieg der antisemitischen Rhetorik auf Internetplattformen in der gesamten arabischen Welt führten.

Die Verbreitung antisemitischer Inhalte in der palästinensischen Arena ist im letzten Jahr weiter eskaliert. Diese Botschaften, einschließlich der Dämonisierung von Juden, wurden sowohl von prominenten politischen und religiösen Persönlichkeiten als auch von den offiziellen Medien der Palästinensischen Autonomiebehörde verbreitet. Darüber hinaus stellt der Bericht fest, dass einige Nichtregierungsorganisationen, die vorgeben, Menschenrechte zu fördern und das Völkerrecht im Zusammenhang mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt durchzusetzen, durch ihre Aktivitäten, Veröffentlichungen und Rhetorik zur Verbreitung antisemitischer Ansichten beigetragen haben. Einige dieser Organisationen werden von der Europäischen Union bzw. anderen europäischen Staaten finanziell unterstützt.

Ad Kan, eine israelische Nichtregierungsorganisation, die antizionistische Gruppen bekämpft, reagierte auf diese Ergebnisse mit folgenden Worten: »Die palästinensischen Terrororganisationen, die im Rahmen ihrer Terrorkampagne gegen Israel als ›Menschenrechtsorganisationen‹ auftreten, sind die Hauptakteure bei der Zunahme des Antisemitismus in der Welt. In den letzten Monaten haben wir eine Reihe von ihnen aufgedeckt, die mit terroristischen Organisationen zusammenarbeiten und von diesen finanziert werden.«

Neue Definitionen von Antisemitismus

Amichai Chikli sagte, dass die Anpassung der Definition von Antisemitismus an moderne Bedingungen ein wichtiger Schritt nach vorne wäre. Er verwies auf die Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) für Antisemitismus, die den Begriff um antiisraelische Gefühle und diskriminierende Doppelstandards gegenüber Israel sowie die Leugnung des Existenzrechts des Landes erweitert.

»Der Staat Israel hat die Pflicht, den Kampf gegen Antisemitismus anzuführen und sich dafür einzusetzen, dass die IHRA-Definitionen, die zum Standard für die Definition von Antisemitismus geworden sind, einschließlich des neuen Antisemitismus, der den Juden das Recht auf Selbstbestimmung abspricht, in so vielen Ländern und Institutionen auf der ganzen Welt wie möglich übernommen werden«, so der Minister.

Einundneunzig große Organisationen haben diese Definition im vergangenen Jahr angenommen, 52 Prozent davon in den USA und Kanada. Dies ist ein deutlicher Rückgang im Vergleich zu den 200 Annahmen im Jahr 2021.

Yaakov Hagoel, Vorsitzender der Zionistischen Weltorganisation, sprach ebenfalls am Runden Tisch der Koalition. Er forderte Premierminister Benjamin Netanjahu und Außenminister Eli Cohen auf, sich für die Annahme der IHRA-Definition einzusetzen. Die IHRA-Definition sei ein wichtiges »Werkzeug im Kampf gegen den kranken und bösen Hass«, so Hagoel.

Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate(Übersetzung von Alexander Gruber.)

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