Die zuletzt von der Hamas freigelassenen israelischen Geiseln sind nicht nur in einem schockierenden Zustand, sondern wurden bis zum letzten Augenblick ihrer Gefangenschaft gedemütigt und gequält.
Er wollte den Heimkehrer kräftig umarmen, sagte ein Angehöriger einer der drei Männer, die am letzten Samstag von der Hamas freigelassen worden waren, aber »da waren nur Haut und Knochen«. Zuvor schon waren seit dem 19. Januar an vier Tagen Geiseln freigekommen: Emily Damari, Romi Gonen und Doron Steinbrecher am 19. Januar, Liri Albag, Danielle Gilboa, Karina Ariev und Naama Levy am 25. Januar, Arbel Yehud, Agam Berger und Gadi Moses am 30. Januar und zuletzt Keith Siegel, Ofer Kalderon und Yarden Bibas am 1. Februar.
An jedem dieser Tage hatte in Israel eine Art Euphorie zumindest ein paar Stunden lang angehalten. Und auch dieses Mal liefen schon seit dem frühen Morgen in den führenden Fernseh- und Radiokanälen durchgehende Live-Sondersendungen, die jede Phase des Dramas dokumentierten und analysierten. Auch diesmal kam Jubel auf, als man auf den von der Hamas gelieferten TV-Bildern die Gestalten erkennen konnte, die in Deir el-Balah weißen Mini-Vans entstiegen waren und von maskierten, Sturmgewehre schwingenden Schergen zu einer Bühne geführt wurden: »Das ist Ohad Ben Ami! Und das ist Eli Scharabi! Und das ist Or Levy! Und sie gehen auf ihren eigenen Beinen!« Doch diesmal kippte die Stimmung schon Sekunden später in Schock und Entsetzen.
Ohad, Eli, Or waren nur noch Schatten ihrer selbst, wie um zehn Jahre gealtert, stark abgemagert, bleich, unsichere Schritte, verstörter Blick. Sie steckten in einer seltsamen braunen Häftlingskluft. Und augenblicklich drängte sich eine Assoziation auf: So sahen die Menschen aus, die vor achtzig Jahren aus den Todeslagern der Nationalsozialisten herauskamen. Zitate von Angehörigen von Geiseln, die noch im Gazastreifen festgehalten werden: »Das sind Aufnahmen vom Holocaust, nur in Farbe«, »das ist die Shoah 2025«.
Hamas produced this vile propaganda video of the hostages being taken from the tunnels before their release yesterday. pic.twitter.com/KpfI2FiwsD
— Aviva Klompas (@AvivaKlompas) February 9, 2025
Permanente Folter
Gedemütigt und gequält wurden die drei Israelis bis zum letzten Augenblick. Eli Scharabi musste etwa in ein Mikrofon sagen, dass er sich auf das Wiedersehen mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern freue – er wusste noch nicht, aber seine Peiniger sehr wohl, dass Lianne Scharabi und die Töchter Noya (16) und Yahel (13) am 7. Oktober 2023 im Kibbuz Be’eri bei lebendigem Leib verbrannt worden waren.
Die ersten Geiseln, die während der letzten Wochen freikamen, waren fast durchwegs Frauen und ältere Männer. Jetzt wurden Einzelheiten über die Umstände bekannt, unter denen die jüngeren Männer seit nunmehr fast fünfhundert Tagen leben müssen.
Die meiste Zeit sind sie in niedrige, enge Tunnel eingesperrt, in denen man nicht aufrecht stehen kann. Sie sehen kein Tageslicht und müssen auf einer dünnen Matte auf dem Fußboden schlafen, wobei einige von ihnen ständig angekettet sind. Sie bekommen gerade nur so viel zu essen, dass sie nicht verhungern – manchmal tagelang gar nichts, manchmal nur ein halbes Stück Pita-Brot am Tag. Sie können wochenlang nicht duschen und müssen ihre Bewacher anbetteln, wenn sie mehr als einmal am Tag ihr Bedürfnis verrichten wollen.
Wunden wurden nicht behandelt. Geiseln sollen sogar mit glühenden Gegenständen gebrandmarkt worden sein. Sie wurden brutalen Verhören unterzogen und durch psychologische Manipulationen wie Scheinfreilassungen gefoltert. So ließen die Terroristen etwa Or Levy mehrmals in dem Glauben, seine Freilassung stehe bevor und trafen fingierte »Vorbereitungen« dafür. Über allem schwebt permanente Todesangst, denn die Geiseln müssen immer damit rechnen, dass ihre Bewacher sie töten.
Forced to speak, Eli said “I am so happy to return to my wife and daughters”.
The thought of them had kept him alive for over a year.
Hamas knew all three had been murdered. They laughed. It got even funnier for them when they told him that his brother died in captivity. https://t.co/fw1SP8pl83— Fania Oz-Salzberger 🇮🇱🟣⚖️ פניה עוז-זלצברגר (@faniaoz) February 8, 2025
Ausgehungert
Man muss annehmen, dass die Geiseln, die jetzt noch festgehalten werden, in einem noch schlimmeren Zustand sind als jene, die zuletzt freigelassen wurden. »Es gibt eine klare und akute Gefahr für das Leben der Geiseln«, sagte Hagai Levine, Arzt und medizinischer Berater des von Angehörigen gebildeten Geisel-Forums.
Besonderen Zorn löst in Israel die Erkenntnis aus, dass die Hamas die Geiseln offenbar systematisch aushungert, während sie Legenden über eine Hungersnot im Gazastreifen verbreitet – dabei fahren täglich Hunderte Lastwagen mit Lebensmitteln in den Gazastreifen, und die Hamas-»Kämpfer« sind offensichtlich wohlgenährt und kräftig.
Zornig sind viele Israelis aber auch auf Mitglieder der eigenen Regierung: Wie können sie sagen, »vom Aussehen der Geiseln überrascht« gewesen zu sein, fragte ein Angehöriger von Or Levy. Die Angehörigen seien schon vor Monaten darüber informiert worden, dass der damalige Hamas-Chef Yahya Sinwar befohlen habe, die gefangenen Männer auszuhungern und zu misshandeln. »Wieso sagt ihr jetzt, dass ihr das nicht wusstet?«
Angesichts des furchtbaren Zustands der zuletzt freigelassenen drei Geiseln hat Israels Premier Benjamin Netanjahu sofort mit »entsprechenden Maßnahmen« gedroht. Doch niemand weiß, was das konkret bedeutet. Netanjahu bleibt dabei, dass alle von ihm gesetzten Kriegsziele erreicht werden müssten: »Die Hamas eliminieren, alle unsere Geiseln heimholen, sicherstellen, dass Gaza nie wieder eine Bedrohung für Israel sein wird.« Doch weil die Hamas Israel erpressen kann, solange sie Geiseln in der Hand hat, scheinen diese Kriegsziele unvereinbar.
Einerseits ist jetzt klarer denn je, dass die Geiseln keine Zeit mehr haben. Das Abkommen, durch das über Monate verteilt immer wieder jeweils nur einige wenige Geiseln freikommen würden, sieht nun völlig absurd aus. Man müsste alle Geiseln sofort herausbekommen. Der Preis dafür wäre eine israelische Garantie, dass der Krieg gegen die Hamas beendet ist. Andererseits ist auch klarer denn je, dass die Hamas ein Monstrum ist, das die Israelis in ihrer Nachbarschaft nicht dulden können. Das Dilemma, das von Anfang an bestanden hat, ist durch den Schock vom letzten Samstag noch größer geworden.
"'These weren't tears of joy,' she said. 'It looked like they came from the world of the dead. We really wanted to rejoice, but it was a hard moment. I hope their appearance will be the turning point for everyone.'" #UntilTheLastHostage https://t.co/INHzx1omYM
— Anne Rethmann (@AnneRethmann) February 10, 2025
Not “killed”. Murdered.
Eli Sharabi’s scream upon learning his wife and daughters’ fate will haunt all those responsible all the way to hell.
Earlier today, during the Gaza “ceremony”, Hamas had already gleefully told him that his brother was dead. https://t.co/LfvqXT44sp— Fania Oz-Salzberger 🇮🇱🟣⚖️ פניה עוז-זלצברגר (@faniaoz) February 8, 2025
Recently freed hostages suffer from malnutrition, infection, and severe psychological trauma. Those still in captivity have been chained, burned, and starved.
Is Hamas stalling because of an alleged ceasefire “violation”? Or because they can’t stage their usual PR stunt? pic.twitter.com/QnrumzR7Zd
— HonestReporting (@HonestReporting) February 11, 2025