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Zukunftsszenarien: Was erwartet Syrien nach Assad?

Wie sehen die Zukunftsszenarien für Syrien aus?
Wie sehen die Zukunftsszenarien für Syrien aus? (Imago Images / CTK Photo)

Bashar al-Assad ist zwar gestürzt, doch die Zukunft Syriens bleibt angesichts der Art der derzeitigen De-facto-Behörde und ihrer Herkunft aus Islamismus und Terror offen und ungewiss.

Am vergangenen Sonntag wurde der rasche Zusammenbruch des Regimes von Bashar al-Assad mit dem Fall der Hauptstadt Damaskus in die Hände bewaffneter Milizen unter der Führung von Hayat Tahrir al-Sham (HTS) abgeschlossen, die als al-Nusra-Front mit Al-Qaida verbunden war, bevor sie sich 2016 von ihr lossagte und sich umbenannte. Zeitgleich floh der ehemalige Präsident nach Moskau, wo er politisches Asyl erhielt.

Der rasche Zusammenbruch des Regimes, der nur wenige Tage dauerte, beendete einen vierzehn Jahre andauernden Bürgerkrieg, der die Infrastruktur und Wirtschaft des Landes zerstörte, Millionen von Einwohnern zwang, im Ausland Zuflucht zu suchen, und Syrien zu einem Zufluchtsort für terroristische Organisationen machte. Die aktuelle Situation ist jedoch auch nicht sonderlich Optimismus erweckend, da der als Abu Muhammad al-Julani bekannte derzeitige de-facto-Führer Ahmed al-Sharaa nach Assads Sturz widersprüchliche Botschaften sendet.

Vor seiner Ankunft in Damaskus sprach al-Sharaa von einem friedlichen Machtwechsel und einer neuen Ära in Syrien. Er versuchte, seine Worte mit Taten zu untermauern, indem er beispielsweise eine strenge Richtlinie über die Notwendigkeit des Erhalts der öffentlichen Einrichtungen in Syrien herausgab und es verbot, Gewalt gegen diese auszuüben. 

Zugleich sandte er jedoch auch negative Botschaften, darunter seine erste Rede in Damaskus, die er nicht in einer zivilen Einrichtung, sondern in einer Moschee hielt. In dieselbe Kategorie fällt die Ernennung des vom Gründer der Muslimbruderschaft Hassan al-Banna beeinflussten Mohammed al-Bashir zum Premierminister. Darüber hinaus sendet das syrische Fernsehen Lieder, die mit der al-Julanis Miliz Hayat Tahrir Al-Sham in Verbindung stehen, und die HTSA-Flagge wurde in offiziellen Institutionen neben die syrische Nationalfahne aufgestellt.

Übergangsszenarien

In diesem Zusammenhang ist der syrische Forscher am Omran Center for Strategic Studies Ayman Al-Dasouqi der Ansicht, dass die Eile von Hayat Tahrir al-Sham bei der Ernennung von al-Bashir zum Premierminister, die ohne Dialog oder Abstimmung mit politischen Parteien und Fraktionen erfolgte, bei den übrigen syrischen Kräften die Befürchtung erweckt, von der Verwaltung der Übergangsphase ausgeschlossen zu werden. »Es herrscht Unklarheit über die Übergangsphase, einerseits aufgrund des Mangels an politischen Vorgaben und andererseits wegen der Vielzahl von Vorschlägen, da mehrere Parteien darum konkurrieren, ihre Vision durchzusetzen.«

Darüber hinaus gibt es Befürchtungen hinsichtlich der HTS-Ideologie und deren Auswirkungen auf die Zukunft des Staats. Der ehemalige deutsche Botschafter in Damaskus, Andreas Reinecke, sagte, die Al-Qaida-Weltanschauung sei immer noch in der HTS verwurzelt, weswegen zum Beispiel auch die Zukunft die christlichen und kurdischen Minderheiten gefährdet ist.

Der Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kairo, Ikram Badr al-Din, gab sich ein wenig optimistischer, als er meinte, die Lage sei undurchsichtig und es bestehe sowohl die Chance, eine neue Regierung zu etablieren, als auch den Ausbruch neuer Wellen von Gewalt zu erleben. Zu möglichen Zukunftsszenarien sagte Badr al-Din, das eine bestehe darin, bloß die unter Saddam »herrschende Führung zu ersetzen, die staatlichen Institutionen aber aufrechtzuerhalten«, und das andere, »Syrien zwischen den Fraktionen aufzuteilen, was zu einer größeren Ausbreitung von Gewalt führen würde«. Das dritte der möglichen Szenarien, so fuhr er fort, sei seiner Meinung nach das klügste und bestehe aus einer «Übergangsphase, die sich über sechs Monate erstreckt und mit der Wahl eines neuen Präsidenten endet«.

Düstere Vision

Es gibt jedoch auch eine düstere Vision für die Zukunft Syriens, wie der internationale Sicherheitsexperte und Forscher am Europäischen Zentrum für Terrorismusbekämpfung und Geheimdienststudien, Mujahid al-Sumaidai, sagte, der die Befürchtung äußerte, terroristische Organisationen könnten Syrien kontrollieren.

Al-Sumaidi befürchtet, dass »es zu großen internen Kämpfen, der Rückkehr terroristischer Organisationen wie dem Islamischen Staat und dem Aufkommen anderer terroristischer Organisationen kommen wird«. Dies werde Syrien und die Region vor große Probleme stellen, »wenn sich die derzeitigen bewaffneten Gruppierungen nicht auf einen Fahrplan für die Verwaltung Syriens und den Übergang des Landes von einem Staat unter der Kontrolle bewaffneter Gruppierungen zu einem demokratischen Zivilstaat einigen«.

In Syrien sind Dutzende bewaffnete Gruppierungen aktiv, von denen viele Teil der von Hayat Tahrir al-Sham angeführten Koalition sind, die das Assad-Regime stürzen konnte. Zwischen diesen Gruppierungen bestehen jedoch ideologische und politische Differenzen, die in Zukunft zu einem Machtkonflikt führen könnten.

In diesem Zusammenhang schrieb der iranische Experte für internationale Beziehungen Salahuddin Khadiou in einem Artikel in der Zeitung Arman Emrooz, Damaskus erlebe zurzeit beängstigende und atemberaubende Momente, weil die dortige Situation den Ereignissen in Afghanistan im Jahr 1992 ähnelt, als der kommunistische afghanische Präsident Mohammad Najibullah zurücktrat, aber ein Bürgerkrieg ausbrach, der letztlich die Taliban an die Macht brachte.

Laut dem Experten sei die aktuelle Situation in Syrien eher mit 1992 als mit 2021 vergleichbar, als die Taliban ohne größere Kämpfe in die Hauptstadt Kabul zurückkehren konnten, wo sie bis heute die dominierende Kraft sind. So sei al-Julani zwar in Damaskus einmarschiert, habe »aber nicht die vollständige Kontrolle über alle bewaffneten Gruppen in Syrien; insbesondere, da die einflussreichen Kräfte immer noch in der Lage sind, das Spiel zu beeinflussen. Das könnte den jeweiligen Anführern, die mit al-Julani konkurrieren, den Aufstieg ermöglichen« – und so zu neuen militärischen Konflikten bis hin zu einem Bürgerkrieg führen.

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