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Grausamkeit als System: Zeugnisse aus dem syrischen Foltergefängnis Sednaya

Das berüchtigte Foltergefängnis Sednaya des Assad-Regimes in Syrien
Das berüchtigte Foltergefängnis Sednaya des Assad-Regimes in Syrien (© Imago Images / ABACAPRESS)

Mit dem Sturz des Assad-Regimes öffneten sich die Tore syrischer Haftanstalten. Sednaya galt als eine der brutalsten.

Fährt man mit dem Auto von Damaskus Richtung Norden, fällt nach etwa zwanzig Kilometer ein stark befestigter Betonbau auf. Umgeben von Mauern, Stacheldraht und Wachtürmen erhebt sich hier die berüchtigte Haftanstalt Sednaya. Erbaut in den frühen 1980ern für zehn- bis zwanzigtausend Häftlinge, besteht die Anlage aus einem Hauptbau, das sogenannte Rote Gebäude, und einem Nebentrakt, das Weiße Gebäude, im dem Militärpersonal inhaftiert war.

Wie viele Personen in Sednaya ermordet wurden oder an Krankheit und Unterernährung zugrunde gingen, kann nicht mit Gewissheit geklärt werden. Laut einem Bericht von Amnesty International sollen zwischen März 2011 und August 2016 mehr als 17.000 Menschen gestorben sein, überwiegend oppositionelle Zivilisten.

Weggesperrt ohne Urteil

In die Schlagzeilen westlicher Zeitungen kam das Gefängnis bereits im Sommer 2008. Damals wurde ein Protest von Gefangenen gegen die unzumutbaren Haftbedingungen blutig niedergeschlagen.

Seit Ausbruch der syrischen Revolution im Jahr 2011 füllte sich die Haftanstalt mit immer mehr politischen Gefangenen. Die Inhaftierungen erinnerten in ihrem Ablauf an Entführungen: Die Menschen wurden an Checkpoints, am Arbeitsplatz oder auf der Straße festgenommen und verschwanden spurlos. Oft dauerte es Monate, bis deren Angehörigen erfuhren, wohin sie gebracht worden war.

Wie ein Bericht der Vereinigung von Häftlingen und Vermissten des Sednaya-Gefängnisses darlegt, wurden die Inhaftierten vor Militärgerichten verurteilt, die nicht verpflichtet waren, im Einklang mit den geltenden Gesetzen zu handeln. Die Prozesse dauerten in der Regel kaum länger als einige Minuten; zahlreiche Urteile wurden auf der Grundlage von durch Folter erpressten Geständnissen gefällt.

Wie aus dem Report der Vereinigung hervorgeht, war die überwiegende Mehrheit der Inhaftierten zum Zeitpunkt der Verhaftung unter 37 Jahre alt (88,2 Prozent) und berufstätig (81,9 Prozent). Die meisten von ihnen waren verheiratet und verfügten über einen Hochschulabschluss (58 Prozent). Der größte Anteil der Gefangenen stammte aus Homs, Idlib und Aleppo (jeweils mehr als 15 Prozent). Unter den Gefangenen befanden sich Angehörige verschiedener Sekten und Ethnien, die überwiegende Mehrheit bildeten aber Sunniten (98,7 Prozent).

Gerüchte

Doch nicht alles, was nach dem Ende des Assad-Regimes über Sednaya an die Öffentlichkeit gelangte, entspricht der Realität. Wie die Deutsche Welle recherchierte, wurden etwa jene Behauptungen widerlegt, wonach es versteckte unterirdische Zellen gegeben habe. Anfang Dezember führte ein Team der Weißhelme – einer Freiwilligenorganisation, die mit den regierungsfeindlichen Rebellen verbunden ist – mithilfe von Suchhunden eine Untersuchung der Haftanstalt durch. Nach der gründlichen Inspektion sämtlicher Belüftungsschächte, Abwassersysteme, Wasserleitungen, elektrischen Verdrahtungen und Überwachungssysteme konnten keine versteckten oder versiegelten Bereiche ausgemacht werden.

Zahlreiche andere Fälle von Folter sind aber eindeutig belegt: Wie aus von Amnesty International gesammelten Zeugenaussagen hervorgeht, verbachten die Insassen ihre Zeit großteils in Dunkelheit und Stille. Wer sprach, wurde von den Wachen bestraft. Die Inhaftierten waren in überfüllte Zellen gepfercht. Um schlafen zu können, mussten sie sich beim Sitzen abwechseln. Essen gab es nur einmal am Tag, sodass sie ständig hungrig waren, berichtete ein Ex-Häftling: »Es gab keine Essensreste. Wir aßen alles, selbst Eierschalen und Olivenkerne.«

Ein anderer erzählte davon, dass die Stille oft von ohrenbetäubend lauter Musik unterbrochen wurde, um den Gefangenen den Schlaf zu rauben. Für jede noch so kleine Erleichterung im Gefängnisalltag – eine Dusche, ein bisschen Sonne im Gefängnishof, der Besuch von Angehörigen – wurden die Inhaftierten bestraft.

Ein von der Wiener Zeitung befragter Ex-Häftling namens Mahmoud gab zu Protokoll: »Wir trugen nur dünne Gefängnisuniformen, die ständige Kälte machte uns krank.« Betten habe es keine gegeben, nur schmutzige Decken am kalten Betonboden und eine kleine Toilette in der Ecke. »In unserer Zelle wurden wir regelmäßig verprügelt. Einer der Offiziere kam und rief: Hierher, ihr Hurensöhne!« Dann mussten sie niederknien, die Köpfe am Boden, und der Offizier drosch mit einem Schlagstock auf ihre Rücken und Nieren ein. Einmal wurde ihnen tagelang Wasser vorenthalten. Als dann der Offizier mit einem Kübel Wasser kam, befahl er ihnen, sich wie Schafe zu verhalten und zu blöken. »Wir taten, was er sagte und machten ›Baa‹. Wir waren am Verdursten.«

Neben diesen alltäglichen Prügeln und Nahrungsentzügen wurde systematisch Folter angewendet. Offiziere kamen in die Zelle und riefen die Nummern einzelner Häftlinge auf. Diese wurden weggeführt und gefoltert; ihre Gesichter gezielt verstümmelt, mit Stöcken vergewaltigt, mit kochendem Wasser übergossen, ihr Fleisch mit heißen Metallwerkzeugen verbrannt. Andere Häftlinge berichten von ausgerissenen Nägeln, Elektroschocks, ständigen Prügeln und Fußtritten.

Ein Mithäftling Mahmouds wurde so schwer gefoltert, dass er innere Blutungen erlitt: »Er urinierte Blut und starb bald darauf«, zitierte die Wiener Zeitung Mahmoud. Die Wachen ließen den Toten in der Zelle liegen, bis die Leiche sich aufblähte, so Mahmoud: »Wir baten sie immer wieder, die Leiche zu entfernen, doch sie sagten nur: Weckt ihn doch auf, er schläft sicher nur!« Nach zehn Tagen durften sie den Toten in eine Decke wickeln und aus der Zelle tragen.

Zu den physischen und psychologischen Narben der Sednaya-Überlebenden kamen oft enorme finanziellen Belastungen hinzu. Um Informationen über das Schicksal ihrer Angehörigen zu erhalten, einen Besuch zu erwirken oder ihre Haftbedingungen ein wenig erträglicher zu machen, zahlten Familien Unsummen; Autos, Grundstücke und Häuser wurden verkauft, um das nötige Geld aufzustellen.

Traumata

Als im Dezember letzten Jahres die auf Damaskus vorrückenden Rebellen die Tore von Sednaya öffneten, waren die verantwortlichen Offiziere längst geflohen. Wie Augenzeugen berichteten, hob kurz zuvor ein Hubschrauber vom Gelände ab.

Wie alle Gesellschaften, die Jahrzehnte des Kriegs, der Massengewalt und des Missbrauchs hinter sich haben, wird auch Syrien nur dann Frieden finden, wenn es seine Traumata aufarbeitet. Zu den zahlreichen Kriegsverbrechen seitens des Regimes als auch der Rebellen zählen auch jene in Sednaya begangenen. Jetzt, da das Regime gestürzt ist, müssen daher die Verantwortlichen strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, einschließlich des ehemaligen syrischen Präsidenten Baschar al-Assad.

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