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Zwischen Dunkelheit und Licht – Zeugnisse der freigelassenen Geiseln

Heimkehrende israelische Geiseln werden per Helikopter ins Spital geflogen
Heimkehrende israelische Geiseln werden per Helikopter ins Spital geflogen (© Imago Images / Xinhua)

Nach mehr als zwei Jahren sind die noch lebenden israelischen Geiseln endlich frei. Ihre Geschichten von Hunger, Folter, sexueller Gewalt und Isolation sind schwer zu ertragen.

Am 13. Oktober 2025 endete für zwanzig israelische Geiseln eine Zeit, die kaum jemand erfassen kann. Nach mehr als zwei Jahren in den Händen der Hamas wurden sie freigelassen – ausgezehrt, verängstigt, aber am Leben. Ihre Rückkehr bescherte Bilder der Erleichterung, doch die Geschichten, die sie erzählen, sind schwer zu ertragen: Geschichten von Hunger, Folter, sexueller Gewalt und Isolation.

Ihre Aussagen, medizinische Berichte und Interviews zeichnen ein präziseres Bild davon, was in den Verstecken Gazas geschah – und werfen zugleich die Frage auf, wie Israel, aber auch die internationale Gemeinschaft, mit den seelischen und politischen Folgen umgehen werden.

Hunger, Dunkelheit, Entwürdigung

Viele der freigelassenen Geiseln verbrachten ihre Gefangenschaft in unterirdischen Tunneln oder fensterlosen Kellerräumen. Sie wurden mehrfach verlegt, oft über Nacht, gefesselt und mit Augenbinde oder mit über das Gesicht gezogenen Kopfbedeckungen, um ihnen jede Orientierung zu nehmen.

Laut einem Bericht des israelischen Gesundheitsministeriums waren fast alle Überlebenden bei ihrer Freilassung unterernährt, dehydriert und psychisch schwer belastet. Systematische Methoden der physischen und psychischen Degradierung seien erkennbar gewesen.

Die Gefangenen berichten von langen Nächten ohne Schlaf, von Schlägen, Isolation, fehlender medizinischer Versorgung und der bewussten Zerstörung ihres Zeitgefühls. Einige waren monatelang allein in völliger Dunkelheit. Eine Frau sagte, sie habe mit der Hand die Wände berührt, um sich zu vergewissern, dass sie noch existiere. Auch die bereits früher freigelassenen Kinder und Jugendlichen litten unter Folterung, Drohungen und Hunger. In mehreren Fällen sei ihnen gesagt worden, ihre Familien seien getötet worden – eine Lüge, die ihre seelische Zerstörung beschleunigen sollte.

Besonders schwer wiegen Berichte über sexualisierte Gewalt. Laut Untersuchungen israelischer und internationaler Behörden kam es in Einzelfällen zu erzwungener Nacktheit, sexueller Belästigung und in mehreren dokumentierten Fällen zu Vergewaltigungen.

Die ehemalige Geisel Amit Soussana schilderte öffentlich, sie sei von einem Bewacher unter Waffengewalt missbraucht worden. »Er drückte mir die Pistole an die Stirn. Ich tat, was er verlangte, weil ich leben wollte«. sagte sie in einem Interview. Zwei jugendliche Gefangene berichteten, sie seien gezwungen worden, sexuelle Handlungen aneinander vorzunehmen. Solche Fälle zeigen: sexuelle Gewalt war kein Nebeneffekt, sondern Teil eines Systems gezielter Erniedrigung.

Beispiele menschlicher Widerstandskraft

Einige Namen stehen stellvertretend für viele. Noa Argamani, die am 7. Oktober 2023 beim Nova-Festival entführt wurde, verbrachte 245 Tage in Haft, meist in Wohnungen ohne Tageslicht. Sie berichtete von ständigem Wechsel der Orte, von dem Versuch, trotz allem »Mensch zu bleiben«. Ihr Partner Avinatan Or berichtete nach seiner Freilassung am 13.Oktober 2025, er habe die letzten zwei Jahre in vollkommener Isolation verbracht und dreißig bis vierzig Prozen seines Körpergewichts verloren. Um geistig zu überleben habe er zeitweise mit sich selbst gesprochen.

Die bei ihrer Entführung neunzehnjährige Liri Albag überlebte 477 Tage Haft. Sie versuchte, Spannungen zwischen den Gefangenen zu entschärfen und erlebte, wie manche ihrer Mitgefangenen psychisch zusammenbrachen. Nach ihrer Freilassung sagte sie: »Ich weiß nicht, ob ich stark war. Ich hatte einfach keine Wahl.«

Eli Sharabi erklärte in seiner Rede vor dem UN-Sicherheitsrat er habe gesehen, wie Hamas-Milizen Kisten mit UN- und UNRWA-Symbolen in Tunnel getragen haben: „Die Hamas speist wie die Könige, während die Geiseln hungern«, erzählte er vom Missbrauch der humanitären Hilfe und der bewussten vernchlässigung durch die Terrorgruppe. Nach offiziellen Berichten litten die freigelassenen Geiseln unter schwerer Unterernährung, abnehmender Muskelmasse, Herzproblemen und Infektionen.

All diese Stimmen zeigen einen starken Willen zum Überleben, den schlichten Wunsch trotz Allem weiterzuleben und die Hoffnung auf Freiheit und ein Ende des Krieges. Sie zeigen ein starkes Vertrauen in die israelische Bevölkerung, das israelische Militär und die politische Gemeinschaft.

Therapie, Pflege, Neubeginn

Die Rehabilitation der freigelassenen Geiseln beginnt unmittelbar nach ihrer Rückkehr. Ärzteteams führen umfangreiche Untersuchungen durch, um körperliche Schäden wie Mangelernährung, Organstress, Infektionen oder neurologische Schädigungen zu erfassen. Laut Jerusalem Post wird bereits in den ersten Tagen ein Unterstützungsnetzwerk aus Ärzten, Psychologen und Ernährungsspezialisten bereitgestellt, um körperliche und psychische Wunden zu versorgen.

Israel hat im Rabin Medical Center eine eigene Abteilung für zurückgelehrte Geiseln eingerichtet – eine spezialisierte Abteilung, die langfristige Rehabilitation ermöglichen soll. Dort arbeiten Physiotherapeuten, Psychotherapeuten und Ernährungsmediziner zusammen, um nicht nur akute Schäden zu behandeln, sondern nachhaltige Gesundung zu fördern. Die britische Zeitung Guardian berichtet, dass diese Einheit für viele der Rückkehrer über Monate, wenn nicht Jahre, aktiv sein wird.

Parallel zur medizinischen und psychologischen Betreuung wird auch die soziale Reintegration vorbereitet: Familien werden im Umgang mit Traumata geschult, ehemalige Geiseln erhalten Unterstützung beim Rückkehrprozess in Beruf, Ausbildung oder ziviles Leben. Einige ehemalige Gefangene engagieren sich zudem selbst in Bildungs- oder Aufklärungsprogrammen – teils als Teil ihres eigenen Heilungsprozesses.

Die Geschichten der Überlebenden sind mehr als Schlagzeilen – sie zeugen von systematischer Gewalt und kollektiver Verantwortung. Der Waffenstillstand und der Gefangenenaustausch bedeuten für die Betroffenen keinen Frieden per se, sondern den Beginn eines langen Weges zurück ins Leben.

Viele Rückkehrer kämpfen mit körperlichen und seelischen Folgen, erhalten jedoch medizinische und psychologische Unterstützung. Trotz der Schwere ihrer Erfahrungen zeigen sie Entschlossenheit, wieder Vertrauen und Normalität zu finden. Es liegt nun an Politik, Gesellschaft und Medien, ihre Stimmen zu bewahren und die Grausamkeiten den 7.Oktobers nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

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