Die von Israel entdeckten Dokumente des getöteten Hamas-Anführers Yahya Sinwar enthalten präzise Anleitungen und Strategien, wie die israelische Gesellschaft durch Gewalt und Terror zum Kollaps gebracht werden soll.
Ronen Itsik
Während sich der Krieg im Gazastreifen seinem Ende nähert und das von US-Präsident Donald Trump vermittelte Waffenstillstandsabkommen zwischen Israel und der Hamas umgesetzt wird, haben die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) kürzlich ein in Gaza beschlagnahmtes handschriftliches Memorandum von Yahya Sinwar veröffentlicht, der als Drahtzieher der Terroranschläge vom 7. Oktober 2023 im Süden Israels gilt. Die Aufzeichnungen des Hamas-Führers, der vor rund einem Jahr von den IDF getötet wurde, beschreiben in erschreckenden Details das sorgfältig geplante Massaker.
Eine Analyse des Dokuments ergibt, dass der Angriff auf akribische Weise geplant wurde, wobei Militärdoktrinen aus der Sowjetzeit angewendet wurden, um ein tiefes Eindringen in israelisches Gebiet zu erzielen. Noch erschreckender ist die explizite Absicht, Massenmorde an israelischen Zivilisten zu begehen, und der klare Wunsch, alle Fronten, einschließlich der internen, d. h. die arabischen Bürger Israels, gegen die israelische Gesellschaft zu vereinen.
Sinwar skizzierte aus Militärdoktrinen abgeleitete Methoden zur Infiltration Israels mittels mehrerer Durchbruchsversuche, definierte Angriffswellen und legte fest, was die erste bzw. zweite Ebene ausmachte – genauso, wie die sowjetische Armee ihre Durchbruchsdoktrin skizziert hatte, die später von der syrischen Armee übernommen wurde.
Unter Sinwars Führung entwickelte die Hamas einen militärischen Plan, der auf Massenmord, die Verbreitung von Angst und Terror, den Einsatz klar definierter Elemente der psychologischen Kriegsführung inklusive der Übertragung ihrer Gräueltaten in Echtzeit abzielte, um den Schock, den die israelische Gesellschaft erleiden würde, noch zu verstärken.
Seine Definition der Positionen der Kommandeure und der Missionen der Angriffseinheiten unterstreicht das Ausmaß des Versagens des israelischen Geheimdienstes. Dies war keine hastig beschlossene Operation; die Vorbereitungen und Aufgabenzuweisungen belegen, dass sie lange vorbereitet wurde und sich auf die Informationen der Hamas über israelische Militäroperationen und zivile Routinen stützte.
Erschreckende Planung
Es ist erschreckend zu lesen, wie Sinwar den direkten Schaden für die Zivilbevölkerung als Teil des Kampfes um die Wahrnehmung und die Ausweitung der Kämpfe konzipierte und die Reaktion auf die Gräueltaten als Mittel zur Etablierung der religiös-ideologischen Legitimität für Massenmord verstärkte. Jene Einheiten, die er mit mörderischen Überfällen auf israelische Zivilisten beauftragte, erinnern an die deutschen Einsatzgruppen, die während des Zweiten Weltkriegs die Ukraine, Polen und Russland durchkämmten, um Juden zu vernichten.
Noch erschreckender ist, dass Sinwars Plan vollständig umgesetzt wurde. Allerdings unterschätzte er die Widerstandsfähigkeit der israelischen Gesellschaft, insbesondere des Systems der IDF-Reservisten, wie er auch irrte, israelische Araber für den Kampf mobilisieren zu können. Auch seine iranischen Verbündeten, insbesondere die Hisbollah, handelten nicht mit der von ihm erwarteten kämpferischen Intensität. Dennoch gelang es Sinwars Truppen, Massenmorde zu begehen und zahlreiche Geiseln zu nehmen: Die Hamas im Gazastreifen führte so gut wie jede geplante Operation durch.
Man kann sich kaum vorstellen, wie ein kombinierter Angriff aus dem Westjordanland und dem Libanon mit der gesamten Streitmacht der Hisbollah am 7. Oktober 2023 ausgegangen wäre; ein solches Szenario hätte eine unmittelbare existenzielle Bedrohung für Israel dargestellt. Die schnelle Reaktion und die Mobilisierung der IDF vereitelten einen Gesamtplan, dessen einziges Ziel die Vernichtung Israels war – eine Frage von nur wenigen Stunden in beide Richtungen.
Alarmzeichen
Sinwars Operation ist kein bloßes Warnsignal, sondern ein echtes Alarmzeichen für den gesamten Nahen Osten und sogar für die ganze Welt. Ein dschihadistischer Angriff dieser Art kann in jedem Land stattfinden, in dem es Terrororganisationen gibt und in dem interne soziale oder ideologische Spaltungen bestehen. Der Islamische Staat (IS) hat Syrien und den Irak auf diese Weise gestürzt; Jordanien, Saudi-Arabien oder jeder andere arabische Staat, einschließlich des schiitischen Irans, könnten auf ähnliche Weise fallen. In Europa wären schlafende Zellen radikaler Islamisten in der Lage, ganze Nationen lahmzulegen.
Sinwars Aktionen inspirieren weltweit dschihadistische Bewegungen; einige planen wahrscheinlich bereits die nächste Stufe, da sie erkannt haben, dass eine besser koordinierte Operation Israel in unmittelbare existenzielle Gefahr bringen könnte. Diese Inspiration muss betont werden; sie ist eine manifeste Bedrohung für den heiklen Prozess, den US-Präsident Trump vorantreiben will. Staaten, die nicht in der Lage sind, dschihadistischen Bedrohungen, einschließlich innerer Subversion, entgegenzuwirken, könnten wie ein Kartenhaus zusammenbrechen.
Die Gründung Israels als Militärstaat mit »Bürger-Soldaten« stellte den entscheidenden Wendepunkt dar. Zivilisten verwandelten sich innerhalb von Minuten in Soldaten, rückten ohne Befehl an die Front vor, stabilisierten die Fronten, stoppten die Bedrohung und ermöglichten entscheidende Operationen, die der iranisch-schiitischen Achse, einschließlich der Hamas, schwere Schläge versetzten. Nur wenige Länder verfügen über ein solches Militärmodell. Die meisten, insbesondere im Westen, verlassen sich auf kleinere Armeen, und die Mehrheit ihrer Bürger weiß nicht, wie man Waffen einsetzt, um sich selbst oder ihre Gemeinden zu verteidigen.
Die nächste Stufe des von Ägypten und Katar vermittelten Abkommens muss rasch zur Entmilitarisierung des Gazastreifens, zur Auflösung der Hamas und zur Deradikalisierung der palästinensischen Gesellschaft führen. Ohne solche Schritte werden das Weltbild, der Einfluss und die Fähigkeiten der Hamas, insbesondere die Massenmobilisierung, innerhalb weniger Jahre erneut existenzielle Gefahren darstellen – und zwar nicht nur für Israel.
Die Welt muss den dschihadistischen Organisationen klarmachen, dass Aktionen wie die von Sinwar konzipierten und geleiteten zur vollständigen Zerstörung der Organisation, ihrer Mitglieder, ihrer Ressourcen und ihrer Existenz führen werden. Die Nürnberger Prozesse gegen Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg sind ein würdiger Präzedenzfall. Derzeit scheint dies jedoch nicht die Richtung zu sein, in die sich die Dinge entwickeln: Anstatt die Hamas-Führer durch die internationale Gemeinschaft zu verfolgen, wurden Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs wegen Kriegsverbrechen für den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu und den ehemaligen israelischen Verteidigungsminister Yoav Gallant ausgestellt. Das ist absurd.
Die Welt muss die Gefahr des Dschihads und die Inspiration erkennen, die Dschihadisten weiterhin aus Sinwars Operationen und Plänen ziehen. Ohne die Absicht, entschlossen gegen diese Kriminellen vorzugehen, ist die nächste Dschihad-Operation nur eine Frage der Zeit.
Ronen Itsik ist ehemaliger Kommandeur des Panzerkorps der israelischen Streitkräfte und Autor des Buches A Man in a Tank. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)






