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Wochenbericht, 4.6. bis 10.6.2012

Die Nahostberichterstattung österreichischer Tageszeitungen stand in der vergangenen Woche im Zeichen von drei Themen: der Eskalation der Lage in Syrien, angeblich mit Atomwaffen bestückten israelischen U-Booten deutscher Provenienz und dem Vorhaben von Premier Erdogan, das Abtreibungsrecht in der Türkei massiv einzuschränken.

Allgemeiner Überblick

In den vergangenen sieben Tagen erschienen in den von MENA ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen insgesamt 196 Beiträge mit Bezug zu den Regionen Naher Osten und Nordafrika, was im Vergleich zur Vorwoche einen leichten Rückgang der Gesamtzahl bedeutet:

Wochenbericht, 4.6. bis 10.6.2012

Im Hinblick auf die geografische Fokussierung des medialen Interesses ergab sich folgendes Bild, das sehr stark dem der Vorwoche ähnelt:

Wochenbericht Tabellen - Wochenbericht - 11Jun12 - Tab2

Im Folgenden wollen wir uns mit Syrien, Israel und der Türkei als den drei Ländern beschäftigen, die in der Berichterstattung am häufigsten genannt wurden.

Syrien

In Damaskus hielt Diktator Bashar al-Assad bei der konstituierenden Sitzung des unlängst neu gewählten Parlaments eine Rede, in der er vor einem „richtigen Krieg“ warnte und gelobte, die „Schlacht gegen Terroristen“ unvermindert fortzusetzen. Assad wies jede Verantwortung für das Massaker von Houla zurück, bei dem am 25. Mai über 100 Menschen getötet worden waren. (Standard, 4. Juni 2012; Presse, 4. Juni 2012) Unterdessen treffen die Meldungen über neue Massaker in immer kürzeren Abständen ein. Am Mittwoch sollen in Mazraat al-Kubeir mindestens 80 Menschen von regierungstreuen Truppen und Milizen getötet worden sein. (Presse, 8. Juni 2012; Kleine Zeitung, 8. Juni 2012) Mitglieder der UN-Beobachtermission schafften es im zweiten Anlauf, das Dorf zu erreichen; bei ihrem ersten Versuch wurden sie in ihren deutlich als UN-Fahrzeuge markierten Autos beschossen. (Standard, 8. Juni 2008; Presse, 9. Juni 2012) Die UN-Beobachter berichteten über durch Granatenbeschuss zerstörte und abgebrannte Häuser; in den Ruinen seien „riesige Blutlachen“ zu sehen. Der über dem Dorf liegende Geruch habe darauf schließen lassen, dass vor kurzem Leichen verbrannt worden sein. Augenzeugen berichteten, dass regierungstreue Milizen die Toten vor dem Eintreffen der Beobachter „weggekarrt“ hätten. (Presse, 10. Juni 2012)

Angesichts der neuen Gewalttaten mehren sich die Warnungen vor einer weiteren Eskalation der Situation. Der UN-Sondergesandte Kofi Annan malte das „Gespenst eines totalen Krieges mit alarmierenden sektiererischen Dimensionen“ an die Wand und wies auf die Gefahr eines Übergreifens der Gewalt auf den Libanon hin. (Standard, 4. Juni 2012) Tatsächlich kam es im Norden des Libanon wieder zu Zusammenstößen zwischen pro- und anti-syrischen Kräften, bei denen mehrere Menschen ums Leben kamen. (Kurier, 6. Juni 2012) Annan warnte: „Syrien ist nicht Libyen. Es würde nicht implodieren, sondern explodieren und die ganze Region mitreißen.“ (Kleine Zeitung, 9. Juni 2012) UN-Generalsekretär Ban Ki-moon fand die Gewalttaten in Syrien „schockierend und widerwärtig“ und griff die Regierung an: „Jedes Regime, das solche Taten zulässt, hat keine Legitimität mehr.“ (Standard, 8. Juni 2012; Kurier, 8. Juni 2012)

Obwohl allerorten davon die Rede ist, dass die Situation in Syrien untragbar sei, herrscht nach wie vor große Ratlosigkeit darüber, was getan werden soll. Sinnbild waren zwei Beiträge, die beide am Samstag veröffentlicht wurden. Während der Kurier eine Kurzmeldung über Kofi Annan mit der Überschrift „Syrien. Friedensplan ‚ist nicht tot‘“ versah, betitelte die Kronen Zeitung ihre Kurzmeldung unter Berufung auf denselben Annan mit: „Friedensplan ‚tot‘“. (Kurier, 9. Juni 2012, Kronen Zeitung, 9. Juni 2012) Im Interview mit der Presse kritisierte ein syrischer Oppositioneller, der Friedensplan sei „für das Regime eine Lizenz zum Töten und kein Instrument, den Konflikt zu lösen.“ Weil der Plan auf der Zustimmung der syrischen Regierung beruhe, sei er einfach „sinnlos“ – „Wenn das Regime heute seine Versprechen bricht, wird es nur mit neuen Friedensinitiativen ‚bestraft‘“. (Presse, 5. Juni 2012)

Kofi Annan hat mittlerweile jedenfalls eine neue Idee geboren: Nachdem sich niemand an den nach ihm benannten Friedensplan hält, will er jetzt eine neue „Kontaktgruppe“ für Syrien einrichten, der neben den fünf ständigen Sicherheitsratsmitgliedern auch die nahöstlichen Rivalen Iran, Saudi-Arabien, Katar und die Türkei angehören sollen. (Standard, 8. Juni 2012) Dass das etwas bringen würde, ist mehr als zweifelhaft. Die UN-Vetomächte sind auch ohne die Beteiligung von so „konstruktiven“ Akteuren wie dem Iran nicht in der Lage, sich auf einen Kurs in Bezug auf Syrien zu einigen. Zwar hagelt es einen Appell nach dem anderen, dass Russland und China doch ihre Haltung überdenken mögen, doch die derart Angesprochenen denken nicht im Traum daran, von ihrem bisherigen Standpunkt abzuweichen. Ganz im Gegenteil: Erst diese Woche zementierten sie ihre Positionen auf einem Treffen der Shanghaier Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (SCO) noch einmal ein. Bei den „autokratischen Festspiele(n) von Peking“ (Presse, 8. Juni 2012) wurde kein Zweifel daran gelassen, dass Russland und China niemals einer militärischen Intervention in Syrien zustimmen werden; nicht einmal an eine Verurteilung des syrischen Regimes durch den Sicherheitsrat sei zu denken.

In der Presse argumentierte Christian Ultsch deswegen, der Westen sollte „ernsthaft eine Militärintervention erwägen“, da sich sonst „der Blutrausch nicht stoppen“ lassen werde. „Assads perfide Strategie“, das Land in einen Bürgerkrieg zu stürzen, hinterlasse „verbrannte Erde“. Solange es nicht zumindest eine militärische Drohkulisse gebe, „wird Assad nicht ans Aufgeben denken.“ (Presse, 10. Juni 2012)

Israel

Die Berichterstattung über Israel wurde in der letzten Woche von der Meldung dominiert, die deutsche Bundesregierung sei seit langem darüber informiert, dass von Deutschland gelieferte U-Boote in Israel mit Atomwaffen bestückt würden. Dies behauptete jedenfalls das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel in der Titelgeschichte seiner letztwöchigen Ausgabe (Der Spiegel, Nr. 23/2012), die auch in österreichischen Zeitungen ausgiebig rezipiert wurde. (Standard, 4. Juni 2012; Presse, 4. Juni 2012; Kurier, 4. Juni 2012; Kronen Zeitung, 4. Juni 2012) Einzig der Kleinen Zeitung war die Geschichte nicht einmal eine Kurzmeldung wert.

In Deutschland geht es bei der Debatte neben dem politischen auch um den rechtlichen Aspekt, ob die Bundesregierung die U-Boote liefern dürfe, wenn sie von der Stationierung von Atomwaffen darin wüsste. Abgesehen wirkt die Aufregung ein wenig gekünstelt: Selbst wenn die Israelis (mit Ausnahme eines Versprechers von Ex-Premier Ehud Olmert) sich nie dazu bekannt haben, geht jeder vernünftige Beobachter davon aus, dass Israel seit mehreren Jahrzehnten über Atomwaffen verfügt. Und genauso klar ist, dass erst die atomare Bewaffnung seiner U-Boote Israel sogenannte Zweitschlagkapazität verleiht, den wesentlichen Bestandteil jeder Doktrin nuklearer Abschreckung. Deswegen konnte schon bisher kaum Zweifel daran bestehen, womit Israel die U-Boote wohl bewaffnet, sobald sie die deutschen Werften verlassen ihren neuen Heimathafen in Haifa angelaufen haben.

Israel war noch durch ein anderes Thema erstaunlich prominent in den Zeitungen vertreten: Gleich fünf Mal wurde darüber berichtet, dass eine in Tel Aviv geplante Aufführung mit Musik von Richard Wagner nach Protesten von Holocaust-Überlebenden zunächst abgesagt wurde, nun aber doch stattfinden soll. (Presse, 6. Juni 2012; Kurier, 6. Juni 2012; Kleine Zeitung, 6. Juni 2012; Presse, 8. Juni 2012; Kurier, 8, Juni 2012)

Schließlich gab es noch vereinzelte Stellungnahmen im Rahmen der Darabos-Debatte. Der oberösterreichische SPÖ-Chef Josef Ackerl mokierte sich darüber, dass die SPÖ-Spitze sich nicht hinter den umstrittenen Verteidigungsminister gestellt hat. Wie es scheint, gibt die Debatte vielen Menschen die Gelegenheit, sich mit Aussagen bestenfalls fragwürdiger Relevanz ins Rampenlicht zu drängen. Beispiel Ackerl: „Wenn Norbert Darabos sagt, der israelische Außenminister Avigdor Lieberman ist unerträglich, dann ist Darabos kein Antisemit.“ Das musste einfach einmal gesagt werden! Wem, das ist freilich nicht so klar, denn niemand hat den Verteidigungsminister deswegen als Antisemiten bezeichnet. „Es ist“, so Ackerl weiter, „eine Einschätzung der Politik, die dazu führt, dass noch immer kein Frieden gelingen kann.“ (Standard, 4. Juni 2012) Hier wird die Sache albern: Jemanden „unerträglich“ zu nennen, kann wohl schwerlich als „Einschätzung einer Politik“ bezeichnet werden, sondern ist ein persönlicher Angriff, der in einer politischen Debatte nichts verloren hat. Wie dieser persönliche Angriff nun damit in Verbindung zu bringen sein soll, dass „noch immer kein Frieden gelingen kann“, das wird Josef Ackerl dann sicher auf dem nächsten Landesparteitag der SPÖ-Oberösterreich erklären, wo bekanntlich immer bahnbrechende Vorschläge zur Lösung des Nahostkonflikts debattiert werden.

Nur wenig besser als um die Bemerkungen Ackerls steht es um eine Wortmeldung des ehemaligen Außenministers und ÖVP-Vorsitzenden Alois Mock: „Darabos Antisemit zu nennen, weil er vor einem Angriff Israels auf den Iran warnt, ist lächerlich und schlimm.“ (Presse, 6. Juni 2012) Richtig, und der Hinweise wäre sicher ganz wichtig, wenn irgendjemand Darabos deswegen als Antisemiten bezeichnet hätte.

Um diesen Punkt noch einmal zu verdeutlichen: Der Vorwurf des Antisemitismus wurde gegen Darabos erhoben, weil er von allen Staaten dieser Welt einzig den jüdischen und von allen Politikern dieser Welt einzig einen israelischen als Ziel seiner Angriffe auserkoren hat. Nicht dass der Verteidigungsminister vor einem Angriff auf den Iran gewarnt oder den israelischen Außenminister persönlich angegriffen hat, hat ihm den Vorwurf des Antisemitismus eingebracht – den übrigens nur Wenige erhoben haben –, sondern dass er bei der Bewertung israelischer Politik und israelischer Politiker offenkundig andere Standards anlegt, als bei der Bewertung anderer Länder und ihrer Politiker.

Türkei

Der türkische Premierminister Erdogan nimmt auf seinem angekündigten Weg, die Türkei „islamischer“ zu machen, die nächste Hürde: Er hat angekündigt, das bisher relativ liberale türkische Abtreibungsrecht massiv zu verschärfen.

Erdogan hatte unlängst Schwangerschaftsabbrüche als „Mord“ bezeichnet, weil es ihm gleich sei, ob ein Kind vor oder erst nach der Geburt getötet werde. Beistand bekam er dabei vom staatlichen Amt für Religionsangelegenheiten; laut Presse sei es das erste Mal, dass sich diese Behörde in die „Debatte um ein geplantes Gesetz ungefragt einmischt“. Der türkische Gesundheitsminister will Abtreibungen überhaupt verbieten, selbst im Falle von Vergewaltigungsopfern. (Presse, 5. Juni 2012) Geplant sein soll laut Standard entweder, die Frist für Abtreibungen von zehn auf nur vier Wochen zu verkürzen, oder aber sie außer in medizinischen Notfällen ganz zu verbieten. (Standard, 9./10. Juni 2012) Doch nach Angaben türkischer Frauenverbände käme eine Verkürzung der Frist auf vier Wochen de facto einem Verbot gleich, da Schwangerschaften oft erst später entdeckt werden. (Kurier, 5. Juni 2012)

Den Islamisten von Erdogans AKP geht es freilich nicht nur um Moral, denn der „Regierungschef sieht die Abtreibungen auch im Zusammenhang mit der Bevölkerungspolitik und der wirtschaftlichen Zukunft der Türkei.“ Immer wieder proklamiert Erdogan das Ziel der Schaffung einer jungen, dynamischen Bevölkerung, weshalb jede Türkin mindestens drei Kinder bekommen soll; auf Zypern sollen es nach Erdogans Vorstellungen gar mindestens vier Kinder sein. (Presse, 5. Juni 2012) Im Hinblick auf die Bevölkerungspolitik wird Erdogan darüber hinaus auch von Verschwörungstheorien getrieben. Mehrfach, so Diba Nigar Göksel, die Chefredakteurin des Politik-Journals Turkish Policy Quarterly, soll er gesagt haben, Abtreibungen seien Teil einer ausländischen Verschwörung zur Schwächung des Landes. (Kurier, 5. Juni 2012)

Es wird interessant sein, wie die Erdogan-Apologeten unter Österreichs Journalisten reagieren werden. Dass in der islamistisch geführten Türkei etliche ihrer Berufskollegen wegen haarsträubender Vorwürfe inhaftiert sind, hat sie bislang nicht davon abgehalten, die Türkei als glänzendes Vorbild für Demokratie und Menschenrechte zu bejubeln. Werden sie Erdogans Anschlag auf das Recht türkischer Frauen auf Selbstbestimmung auch nur mit einem uninteressierten Achselzucken zur Kenntnis nehmen?

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