Wochenbericht, 27.4. bis 3.5.2015

In dieser Ausgabe:

I. Allgemeiner Überblick
II. Ein „provokativer Akt“ und die Apologie des iranischen Regimes
III. Der „Kolonialstaat“ Israel
IV. Die Krone und Jürgen Todenhöfer: Unsinn über den Islamischen Staat

I. Allgemeiner Überblick

In der vergangenen Woche erschienen in den von MENA systematisch ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen 206 Beiträge mit Bezügen zum Nahen Osten und zu Nordafrika:

Wochenbericht, 27.4. bis 3.5.2015

Der deutliche Rückgang der Beiträge um mehr als die Hälfte – in der Vorwoche waren es noch 451 – ist darauf zurückzuführen, dass die beiden Themen, die zuletzt für viel Aufsehen gesorgt haben, wieder weitgehend aus dem Fokus der Aufmerksamkeit gerückt sind: Der 100. Jahrestag des Beginns der systematischen Verfolgung der Armenier im Osmanischen Reich ist vorüber, die damit einhergegangenen heftigen Debatten darüber, ob der Massenmord als Völkermord zu qualifizieren sei, sind wieder abgeklungen.

Wochenbericht, 27.4. bis 3.5.2015

Die Türkei war zwar mit Nennungen in 63 Beiträgen auch in dieser Woche wieder das am häufigsten erwähnte Land, gegenüber den 147 Nennungen in der Vorwoche ist aber doch ein deutlicher Rückgang bemerkbar. Und da zuletzt glücklicherweise keine neuen Katastrophen mit Flüchtlingsbooten im Mittelmeer zu vermelden waren, wurde auf die Länder weniger oft Bezug genommen, die in diesem Zusammenhang häufig erwähnt worden waren: Libyen wurde in 28 Artikeln genannt (zuletzt: 95), Tunesien in sechs (zuletzt: 30) und Algerien in drei (zuletzt: 17).

Im Hinblick auf die Nahostberichterstattung waren die vergangenen sieben Tage auch im ORF eine ausgesprochen ruhige Zeit. In den insgesamt nur 50 relevanten Beiträgen (zuletzt: 192) der wichtigsten Radio- und Fernsehnachrichtensendungen wurde auf folgende Länder am häufigsten Bezug genommen:

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II. Ein „provokativer Akt“ und die Apologie des iranischen Regimes

Erstaunlich war der Rückgang der Nahostberichterstattung in österreichischen Medien insofern, als es an brisanten Geschichten eigentlich keinen Mangel gegeben hätte. Die Presse berichtete beispielsweise in einer Kurzmeldung: „Iranisches Militär hat am Dienstag das Feuer auf ein Frachtschiff im Persischen Golf eröffnet und es geentert.“ Die MV Maersk Tigris einer dänischen Reederei sei unter der Flagge der Marshall-Inseln unterwegs gewesen. Laut iranischen Behörden habe die Aktion „keinen politischen Hintergrund“ gehabt, sondern sei im Rahmen eines „Streits“ der iranischen Hafenbehörden „und der Besatzung, der Reederei oder dem aktuellen Management des Schiffs“ erfolgt. An Bord der Maersk Tigris, die in den Hafen von Bandar Abbas verschleppt wurde, sollen sich 34 Besatzungsmitglieder befunden haben. (Presse, 29. Apr. 2015)

Brisant ist diese Geschichte, weil das Schiff erstens nicht vom Militär, sondern von iranischen Revolutionsgardisten gekapert wurde, der Angriff zweitens nicht im Persischen Golf, sondern in der strategisch ungemein bedeutenden Straße von Hormus erfolgte und die Marshall-Inseln, wenigstens in diesem Punkt lag die Presse richtig, per Assoziierungsabkommen mit den USA verbündet sind. (Ebd.) Das amerikanische Verteidigungsministerium bezeichnete die Angelegenheit als „provokativen Akt“ (Standard, 29. Apr. 2015) und lässt nun Schiffe unter US-Flagge, die die Straße von Hormus durchfahren, von Schiffen der US-Navy begleiten. Davon abgesehen scheint die Obama-Administration das iranische Regime aber noch nicht einmal aufgefordert zu haben, die Maersk Tigris und ihre Besatzung unverzüglich wieder freizulassen, wie im Zuge einer Pressekonferenz im State Departement deutlich wurde:

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Im Klartext heißt das also, dass Eliteeinheiten des iranischen Regimes ein Schiff verschleppt haben, das unter der Flagge eines Landes unterwegs war, dessen militärische Verteidigung durch die USA vertraglich abgesichert ist, einer dänischen Reederei gehört (Dänemark ist NATO-Mitglied) und aktuell von einem deutschen Unternehmen gechartert war (auch Deutschland ist NATO-Mitglied). Dieser aggressive Schritt erfolgte nicht nur in internationalen Gewässern, sondern just in der Straße von Hormus, deren vom Iran angedrohte Schließung von US-Präsident Obama selbst in einem Brief an die iranische Führung im Januar 2012 als „rote Linie“ bezeichnet wurde, die eine sofortige militärische Antwort zur Folge haben werde. Nun blockierten die iranischen Revolutionsgardisten die Straße von Hormus nicht generell für den Schiffsverkehr, aber unweigerlich werden Erinnerungen an eine andere „rote Linie“ wach, die Obama zuerst öffentlich verkündet hatte, um sie im entscheidenden Moment zu ignorieren: jene bezüglich des Einsatzes chemischer Waffen in Syrien. (Nebenbei bemerkt: Das Assad-Regime unternimmt mittlerweile bereits routinemäßig Gas-Angriffe, ohne dass das im Westen überhaupt noch wirklich zur Kenntnis genommen wird, ganz geschweige denn nennenswerte Reaktionen zur Folge hat.)

Die Verschleppung der Maersk Tigris stellte im Grunde nichts weniger als einen kriegerischen Akt dar; die Art und Weise, wie die Obama-Administration darauf (nicht) reagierte, wird im Nahen Osten sehr genau beobachtet. Caroline Glick bemerkte dazu in der Jerusalem Post:

„If the US allows Iran to get away with unlawfully seizing a Marshall Islands flagged ship it is treaty bound to protect, it will reinforce the growing assessment of its Middle Eastern allies that its security guarantees are worthless.“

Es ist alles andere als überraschend, dass die arabischen Golfstaaten sich unter der Führung Saudi-Arabiens zur Verteidigung ihrer Interessen nicht mehr auf die USA verlassen, sondern diese unabhängig von den Vereinigten Staaten selbst in die Hand nehmen – und sei es, wie aktuell im Jemen, unter Einsatz militärischer Mittel. In wenigen Wochen will die Obama-Administration die Golfstaaten auf einer eigens anberaumten Konferenz über den Stand der Atomverhandlungen mit dem Iran informieren und den von schlichtweg allen amerikanischen Verbündeten und Freunden in der Region als gefährlich erachteten Deal mittels spezieller Sicherheitsgarantien schmackhaft machen. Das Problem dabei ist freilich: Warum sollte irgendjemand diesbezüglichen Versprechungen Obamas noch Glauben schenken? Wie Max Boot bemerkte, hat die Obama-Administration jegliche Glaubwürdigkeit verloren:

„Every day, everywhere around the world, a silent referendum is going on about the state of American power. President Obama has consistently failed that test. By demanding that Bashar Assad leave power and then letting him stay; by letting Assad cross a ‚red line‘ on chemical weapons with impunity; by talking big about ISIS (‚degrade and destroy‘) and doing little; by standing by as Iran expanded its power into Iraq, Syria, and Yemen, as Russia seized chunks of Ukrainian territory, and as China intimidated its neighbors to claim sovereignty over disputed islands, the president has dissipated the most precious commodity in the world—American credibility.“

Die Kaperung der an sich unbedeutenden Maersk Tigris durch iranische Revolutionsgardisten sei bloß ein weiteres Teilchen eines Puzzles, das sich mit vielen anderen zu einem beunruhigenden Bild verbinde.

Bemerkenswert an dem Vorfall in der Straße von Hormus ist, dass österreichische Medien ihn fast völlig ignorierten. In Standard, Presse und Kurier wurde er jeweils in Kurzmeldungen abgehandelt, in den anderen von MENA systematisch ausgewerteten Medien (Salzburger Nachrichten, Kleine Zeitung, Kronen Zeitung und ORF) kam er aber überhaupt nicht vor.

Dafür fand sich in der Presse ein Gastkommentar des ehemaligen Spitzendiplomaten und Generalsekretärs des österreichischen Außenministeriums, Albert Rohan, in dem dieser behauptete, ein „positiver Abschluss der Atomgespräche würde allen Beteiligten nützen“ und ein „Tauwetter mit dem Iran wäre ein Gewinn für alle“. Die ständigen Vernichtungsdrohungen der iranischen Führung gegen Israel betrachtete er nicht etwa als den wiederholten Aufruf zur Auslöschung eines Mitgliedsstaats der Vereinten Nationen, sondern verharmloste sie als bloß „aggressive Rhetorik“, mit der „die Würde von Staaten wie Israel laufend verletzt“ werde. „Gegenseitige Beschuldigungen“ (!) wären konstruktiven Beziehungen zum Iran „wenig dienlich“.

Genau um solch konstruktive Beziehungen ging es Rohan. Mit dem „Lausanner Grundsatzübereinkommen“ sei ein wichtiger Schritt gesetzt worden, ein „gewisser Optimismus“ sei angebracht. „Mit Beendigung der Sanktionen würde der Iran den internationalen Paria-Status verlieren und könnte seinen natürlichen Reichtum voll ausschöpfen.“ Rohan ließ geflissentlich beiseite, dass der „internationale Paria-Status“ des Iran nicht allein mit dessen Atom(waffen)programm in Verbindung steht, sondern sich vom iranischen Regime seit der islamischen Revolution 1979 auf vielen Gebieten redlich erarbeitet wurde: als islamistisch-totalitäres Regime von Holocaust-Leugnern, das die Menschenrechte der eigenen Bürger mit Füßen tritt, aktuell gerade im eigenen Land eine selbst für iranische Verhältnisse erschreckende Exekutionswelle durchführt – allein 1000 Hinrichtungen durch Erhängen in den vergangenen eineinhalb Jahren –, der weltweit wichtigste staatliche Unterstützer des Terrorismus ist, die Regime fast aller Länder der Region zu untergraben und durch lokale Stellvertreter zu ersetzen versucht und sich damit brüstet, bereits in vier arabischen Hauptstädten das Sagen zu haben.

Hätte Rohan nur aus wirtschaftlichen Gründen die Werbetrommel für eine Annäherung an dieses Regime gerührt – „Europäische Unternehmen könnten auf gute Geschäfte hoffen“ –, hätte man seinen Gastkommentar als Beispiel für die Art unmoralischen Denkens zur Kenntnis nehmen können, bei dem Geschäftsinteressen einfach über alles gehen. Doch ihm ging es nicht nur um wirtschaftliche Belange, behauptete er doch: „Eine Normalisierung der Beziehungen mit dem Iran würde sich auch auf den gesamten Mittleren Osten positiv auswirken.“ (Presse, 30. Apr. 2015) Da es einem ehemaligen Spitzendiplomaten an den nötigen Informationen nicht fehlen dürfte, muss man angesichts dieses Satzes an seinem Urteilsvermögen zweifeln. Man kann zweifellos einen wachsenden regionalen Einfluss des iranischen Regimes als „positiv“ betrachten – vorausgesetzt, man findet den schon jetzt großen Einfluss der vom Iran kontrollierten Hisbollah im Libanon genauso „positiv“ wie das Morden des vom Iran tatkräftig unterstützten Assad-Regimes in Syrien, das Vordringen vom Iran geförderter schiitischer Mörderbanden im Irak, den Vormarsch der laut einem Report der Vereinten Nationen seit 2009 mit Waffenlieferungen unterstützten Huthi-Milizen im Jemen oder die Unterstützung für islamistische palästinensische Terrorgruppen wie die Hamas oder den Palästinensischen Islamischen Dschihad. Wer all das also „positiv“ findet und dank des Geldregens, der nach einer Aufhebung der Wirtschaftssanktionen auf das iranische Regime niederprasseln wird, noch viel mehr davon sehen will, der kann über die Aussicht frohlocken, dass die islamistische Diktatur ihren schwer verdienten „Paria-Status“ verlieren könnte. Darin aber einen „Gewinn für alle“ zu sehen, ist mehr als bedenklich und entspricht hoffentlich nicht der Haltung des österreichischen Außenamtes, für das Rohan so lange tätig war.
 

III. Der „Kolonialstaat“ Israel

Eines der Kennzeichen des Umgangs mit Israel hierzulande besteht darin, dass der kleine jüdische Staat von etlichen Landsleuten für fast alles verantwortlich gemacht wird, was im Nahen Osten an Schlechtem geschieht. Deshalb taucht Israel in öffentlichen Debatten selbst dann auf, wenn es mit den gerade diskutierten Themen herzlich wenig zu tun hat.

Anschauliche Beispiele dafür boten sich in der aktuellen Diskussion über die europäische Flüchtlingspolitik. So kam am Ende einer ORF-Diskussionssendung der Professor für Internationales Recht und Menschenrechte Manfred Nowak auf die Verantwortung zu sprechen, die „wir“ für das Elend der Flüchtlinge trügen. Neben der kolonialistischen Vergangenheit Europas, seinem Beitrag zum Klimawandel und seinen Waffenexporten erwähnte Nowak auch den Nahen Osten:

„Auch der wurde von europäischen Mächten beherrscht, aufgeteilt und so weiter. Und wir haben sehr, sehr wenig beigetragen z. B. den Palästinenserkonflikt wirklich zu lösen, und der ist so a bissl an der … der Kern von vielen Auseinandersetzungen, mit denen der Nahe Osten heute konfrontiert ist.“ (Im Zentrum, 26. Apr. 2015)

Nowaks Bemerkung über den „Palästinenserkonflikt“ war besonders symptomatisch für diese Art des verzerrenden Blicks, weil die israelisch-palästinensische Auseinandersetzung mit dem Flüchtlingselend im Mittelmeer kaum etwas zu tun hat. Denn einerseits kommt die weit überwiegende Mehrzahl der Flüchtlinge, mit denen Europa und Österreich konfrontiert sind, nicht aus dem Nahen Osten, sondern aus verschiedenen Staaten Afrikas. (Salzburger Nachrichten, 30. Apr. 2015) Und andererseits trägt Israel keine Verantwortung für die Konflikte des Nahen Ostens, die dort aktuell für Fluchtbewegungen sorgen: Die Kriege in Syrien und im Irak, die Millionen Menschen in die Flucht getrieben haben, sind genauso wenig Israels Angelegenheit wie der Bürgerkrieg im Jemen. Nowaks Behauptung, dass Israel bzw. der israelisch-palästinensische Konflikt der „Kern von vielen Auseinandersetzungen“ sei, mit denen der Nahe Osten konfrontiert ist, entbehrt schlicht jeder Grundlage.

Eine andere Art des de-realisierenden Blicks auf Israel bot ein Leserbriefschreiber in der Kleinen Zeitung. Im Anschluss an die ORF-Diskussion, an der Nowak teilgenommen hatte, stellte sich ein „DI Soleiman Ali“ die Frage, ob Europa Schuld an der Flüchtlingstragödie trage, und kam zu folgender Antwort:

„JA. Vor allem durch die Kolonialmächte. Israel ist noch immer seit 70 Jahren eine europäische Kolonie auf palästinensischem Boden und hat durch ihre Besatzungs- und Siedlungspolitik viele Probleme und Leid international ausgelöst: Das ist die Realität!“ (Kleine Zeitung, 28. Apr. 2015)

Der Vorwurf, Israel sei eine „europäische Kolonie“ ist insbesondere unter Linken weit verbreitet und verfolgt eine klare Absicht: Die Klassifizierung als Kolonialstaat soll dazu dienen, dem jüdischen Staat jede Legitimität zu entziehen. Der Kolonialismus war ein politisch und moralisch verwerfliches Unterfangen, das mit allerlei an den Kolonialvölkern begangenen Verbrechen einherging. Wäre Israel ein Kolonialstaat, wäre es somit genauso abzulehnen wie seine vermeintlichen historischen Vorgänger zuvor.

Das Problem dieser Sichtweise ist jedoch, dass der Vorwurf des Kolonialismus abseits seiner Praktikabilität für israelfeindliche Propaganda völlig unhaltbar ist. Wie Alexander Yakobson und Amnon Rubinstein in ihrer Studie über „Israel and Family of Nations. The Jewish nation-state and human rights“ eindrücklich darlegen, fehlen beim Zionismus sämtliche Merkmale, die Kolonialismus ausmachten: Er war nicht ökonomisch motiviert, sondern eine Nationalbewegung; Ziel der Ansiedlung war keineswegs die wirtschaftliche Ausbeutung anderer in der Region lebender Völker; die europäischen Juden, die ins spätere Israel gingen, entflohen der Not und dem Elend, die ihren Alltag im antisemitischen Europa prägten, und kamen keineswegs als Kolonialherren, sondern als Flüchtlinge; die „Rückkehr nach Zion“ war seit tausenden Jahren Bestandteil der historischen Identität des jüdischen Volkes; es gab kein koloniales Mutterland, das die Siedler entsendet hätte (die Mehrzahl der Auswanderer aus Europa kam aus Russland – selbst eingefleischte Antizionisten würden deshalb nicht auf die Idee kommen, Israel als russische Kolonie zu bezeichnen); und der Staat Israel wurde gegen den Willen einer tatsächlichen Kolonialmacht, Großbritannien, gegründet. Vom Vorwurf des Kolonialismus bleibt einzig die banale Tatsache übrig, dass viele Angehörige der Gründergeneration Israels woanders geboren worden waren – reichlich wenig für all die Verdammung, die mit der Bezeichnung Kolonialismus einhergeht.

Die Diffamierung als Kolonialstaat beinhaltet freilich auch die Forderung, dass Israel eines Tages den Weg aller anderen Kolonialstaaten gehen und vom Erdboden verschwinden müsse. Genau das propagierte beispielsweise Jassir Arafat, der die Palästinenser stets mit den Algeriern gleichsetzte, die sich gegen die Kolonialmacht Frankreich erhoben und diese aus dem Land vertrieben hatten. Würde man die Israelis nur ausreichend terrorisieren, so seine Überlegung, würden auch diese eines Tages das Land wieder verlassen. Darin lag die große Täuschung Arafats: Die französischen Kolonialisten hatten die Möglichkeit, in ihr Mutterland Frankreich zurückzugehen. Die jüdischen Israelis hatten kein Mutterland, in das sie gehen hätten können. Israel war ihr zu Hause, aus dem sie sich auch vom beständigen Terror von Arafat und seinen Mitstreitern nicht vertreiben ließen. Das Missverständnis Israels als kolonialer Staat trug mit dazu bei, dass die Palästinenser auf Terror und Gewalt setzten. Das hat, um mit dem Leserbriefschreiber der Kleinen Zeitung zu sprechen, allerdings viel Leid und große Probleme bewirkt – nicht zuletzt für die Palästinenser selbst.
 

IV. Die Krone und Jürgen Todenhöfer: Unsinn über den Islamischen Staat

Am Freitag berichtete die Krone auf ihre übliche reißerische Art über die ein Pärchen, das auf seiner „Hochzeitsreise“ in den Dschihad nach Syrien am Flughafen Schwechat festgenommen wurde. In Syrien, so war zu lesen, habe der 24-jährige Mann „die Al-Kaida nahe al-Nusra-Front“ unterstützen wollen. Zur Illustration wurde ein „Symbolfoto“ beigefügt:

Wochenbericht, 27.4. bis 3.5.2015

Dumm nur, dass auf dem Foto nicht die Fahne der al-Nusra-Front zu sehen ist, sondern die, die heute vom Islamischen Staat (IS) vor sich hergetragen wird. Damit bei der al-Nusra-Front aufzutauchen wäre angesichts der bitteren Feindschaft zwischen den beiden Gruppen womöglich der letzte Fehler gewesen, den der Dschihadist aus Österreich hätte begehen können.

In der Kleinen Zeitung fand sich am Sonntag eine Rezension des neuen Buches des deutschen Ex-Politikers und Publizisten Jürgen Todenhöfer. Ingo Hasewend meint darin, der Bericht über die Reise des Autors in das Gebiet des IS im Irak sei „ein Dokument des Grauens, das gemischte Gefühle auslöst und viele Fragen aufwirft.“ Zu diesen gehöre, ob Todenhöfer sich „zum unfreiwilligen Botschafter der Terroristen und ihrer Weltanschauung“ mache. Wer sich mit 72 Jahren freiwillig in die Hände des IS begebe, „muss schon verrückt sein“. Daher stelle sich auch die Frage, ob Todenhöfer „zwar verrückt, aber für die Aufklärung nützlich“ sei. (Kleine Zeitung, 3. Mai 2015)

So berechtigt diese Fragen Hasewends sind, so sehr hat er in seiner Rezension vergessen, auf den wesentlichen Punkt hinzuweisen, den man über Todenhöfers „Inside IS“ festhalten muss: Das Buch ist in erster Linie ein nur schwer erträgliches Dokument der Selbstdarstellung seines Autors; eine schier endlose anti-westliche Litanei, die mit Fakten höchstens tangential in Berührung kommt, dafür aber mit so essentiellen Sätzen wie: „Milde erfasste mich“ gespickt ist und gelegentlich ein bedenkliches Maß an Selbstüberschätzung an den Tag legt. So etwa, wenn Todenhöfer behauptet, niemand habe je zuvor eine so „gnadenlose Abrechnung“ mit dem IS unternommen oder seinen Lesern allen Ernstes weismachen will, er hätte mit Assad einen Frieden verhandeln können, aber die bösen Amerikaner hätten davon nichts wissen wollen. In einer Rezension des Buches gab Jan Fleischhauer Todenhöfers Erklärung für seine Reise wieder: Seine Feinde könne man nur besiegen, wenn man sie kenne. Fleischhauer kommentierte das nüchtern mit den Worten: „Wenn das der Beweggrund ist, war er ohnehin am falschen Ort. In seinem Fall hätte eine Israel- oder USA-Reise völlig ausgereicht.“ Denn das „Wunderbare“ an Todenhöfers Sicht der Dinge sei: „Am Ende sind immer die Amis schuld.“

Im Bericht über eine Präsentation des Buches war in der Berliner Morgenpost zu lesen, dass Todenhöfer fünf Eigenschaften aufweise, die ihn unangenehm auffallen ließen. Erstens sei er überzeugt, die absolute Wahrheit zu kennen, zweitens verbreite er Verschwörungstheorien, drittens argumentiere er unsachlich und polemisch, viertens zeige er Anflüge von Größenwahn und fünftens spreche er wie ein besessener Prediger, der die Beherrschung verliere und herumschreie. Diese „unerträgliche Mischung“ mache ihn unglaubwürdig, was schade sei, weil das Buch zumindest einen „beklemmenden Einblick in die Welt der Dschihadisten“ biete.

Unter den vielen Büchern, die in letzter Zeit über den IS veröffentlicht wurden, ist Todenhöfers Buch mit Abstand der größte Schund. Ohne Zweifel wird es dennoch ein Verkaufshit werden, bedienen sein Anti-Amerikanismus, seine Israelfeindlichkeit und seine Islam-Apologie doch ein breites Publikum. Wer aber weniger seine eigenen Ressentiments bestätigt haben, als etwas über den IS erfahren möchte, dem seien andere Publikationen zur Lektüre empfohlen, wie zum Beispiel das äußerst aufschlussreiche Buch „ISIS: Inside the Army of Terror“ von Michael Weiss und Hassan Hassan.

 

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