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Wochenbericht, 26.11. bis 2.12.2012

Die Nahostberichterstattung österreichischer Medien wurde in der vergangenen Woche von zwei Themen dominiert. Einerseits setzte sich in Ägypten die schwere politische Krise fort, die durch Präsident Mursis Versuch ausgelöst wurde, sich sämtlicher Beschränkungen seiner Autorität zu entledigen und eine neue Verfassung durchzudrücken, die von den nicht-islamistischen Kräften des Landes vehement abgelehnt wird. Andererseits galt die mediale Aufmerksamkeit der Entscheidung der Vollversammlung der Vereinten Nationen, „Palästina“ als Beobachterstaat zu akzeptieren.

Allgemeiner Überblick

In den vergangenen sieben Tagen erschienen in den von MENA systematisch ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen insgesamt 272 Beiträge mit Bezug zu Nordafrika und dem Nahen Osten:

Wochenbericht, 26.11. bis 2.12.2012

Nach dem bereits Gesagten ist keine große Überraschung, welche Länder in der Berichterstattung am häufigsten erwähnt wurden:

Wochenbericht Tabellen - Wochenbericht - 3Dez12 - Tab2

Wir wollen uns im Folgenden zunächst mit der Krise in Ägypten und sodann mit der Anerkennung „Palästinas“ als Beobachterstaat bei den Vereinten Nationen beschäftigen. Dabei werden wir in erster Linie versuchen, die in der Debatte geäußerten Argumente für diese Statusänderung einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

Ägypten

Eines lässt sich nach den Vorgängen der letzten zwei Wochen in Ägypten mit Sicherheit sagen: Präsident Mursis noch am Wahlabend verkündetes Versprechen, ein Präsident für alle Ägypter sein zu wollen, war genauso wenig ernst zu nehmen, wie die vielen Versprechen zuvor, welche die Muslimbrüder seit dem Sturz Hosni Mubaraks öffentlich gegeben hatten, nur um sie binnen weniger Wochen samt und sonders zu brechen. Mit dem letzte Woche erlassenen Dekret, mit dem sich Mursi über das Gesetz stellte und unangreifbar machen wollte, hat er eine gefährliche Spaltung des Landes hervorgerufen, die nur noch weiter vertieft wurde, als die verfassungsgebende Versammlung am Donnerstag den von den Islamisten ausgearbeiteten Entwurf im Eiltempo annahm – nicht-islamistische Kräfte waren zu diesem Zeitpunkt in dem Gremium schon längst nicht mehr vertreten. (Standard, 30. Nov. 2012; Presse, 30. Nov. 2012) Gudrun Harrer attestiert dem verabschiedeten Entwurf „autoritäre Tendenzen“, auch wenn diese „nicht islamisch formuliert“ seien. Er sei „lückenhaft wie ein Sieb: Vieles ist vage und bietet … den heute Stärksten – den Islamisten – die Deutungshoheit und die Möglichkeit zum Eingreifen.“ So werde beispielsweise dem Staat die Rolle zugeschrieben, für „Ethik und Moral“ zu sorgen, ohne dass diese Begriffe inhaltlich gefüllt wären. Es sei „eine typische Muslimbrüderverfassung“, nicht „aggressiv islamisierend, denn das werden Staat und Gesellschaft auf sanfte Art erledigen“, dafür aber „moralisierend“ und eben „autoritär“. (Standard, 3. Dez. 2012)

Am Sonntag hätten die Verfassungsrichter eigentlich über die Rechtmäßigkeit der verfassungsgebenden Versammlung entscheiden wollen, doch traten sie wegen „psychologischer Mordanschläge“ in den Streik, nachdem Tausende Anhänger des Präsidenten den Sitz des Verfassungsgerichts belagert hatten. (Ebd.) Vorgesehen wäre, den jetzt verabschiedeten Verfassungsentwurf rasch einem Referendum zu unterziehen, doch ist die Durchführung eines solchen angesichts der unvermindert andauernden Demonstrationen beider verfeindeter Lager, bei denen es immer wieder auch zu Todesopfern kommt (Kronen Zeitung, 27. Nov. 2012), zumindest im Augenblick schwer vorstellbar.

In den Kommentarspalten österreichischer Medien wurde den Muslimbrüdern attestiert, sich „verkalkuliert“ zu haben. Wäre es ihnen wirklich darum gegangen, Überreste des alten Regimes zu entfernen, „wäre es ein Leichtes gewesen, dafür ein breites politisches Bündnis aufzustellen“. Stattdessen hätten sie sich „diktatorische Rechte“ verliehen, von denen niemand wüsste, ob sie sie jemals wieder abgeben werden. (Presse, 26. Nov. 2012) Anstatt mit „klugen Präzisionsdekreten“ Mitstreiter an Bord zu holen, hätten Mursis „Keulendekrete“ ihm nur den Vorwurf „pharaonischer Machtgier“ eingebracht und der politischen Opposition eine Einigkeit beschert, die zuvor nicht existiert habe. (Kleine Zeitung, 28. Nov. 2012)

Im starken Widerstand gegen die Machtusurpation der Muslimbrüder vermochten einige Kommentatoren jedoch einen positiven Aspekt zu erkennen. Für Karim El-Gawhary haben die letzten Tage bewiesen, „dass die Mehrheit keinen neuen Pharao mehr zulassen wird“. Für die demokratische Entwicklung Ägyptens könne das eine „gute Nachricht“ sein. (Presse, 26. Nov. 2012) Sein Presse-Kollege Helmar Dumbs sah das ähnlich, weil die Demonstrationen gezeigt hätten, „wie lebendig der Arabische Frühling in Ägypten weiterhin ist“. Die Menschen seien 2011 nicht gegen eine Diktatur auf die Straße gegangen, „nur um sie durch eine andere ersetzt zu sehen“. Die Transformation von der Diktatur zur Demokratie könne nicht von heute auf morgen geschehen, aber es gebe in Ägypten eine „kritische Masse“, die das Ziel der Demokratisierung „nicht aus den Augen verloren hat.“ (Presse, 1. Dez. 2012)

Ein besonderes Zuckerl hat das profil diese Woche zu bieten: ein Interview mit einem „Chefberater der regierenden Muslimbrüder“, der seine etwas eigene Sicht der Dinge zum Besten gibt. Nein, Ägypten stehe nicht vor einem Bürgerkrieg; in Wirklichkeit würden nur verhältnismäßig wenige Menschen gegen den Präsidenten demonstrieren, und die „Konfrontation zwischen Muslimbrüdern und der Opposition ist ein Zeichen von lebendigem Parlamentarismus, wie es ihn überall auf der Welt gibt.“ Und er versichert dem profil: „Glauben Sie mir: Die Muslimbrüder sind politisch pragmatisch, suchen nicht den Konflikt, sondern den Kompromiss.“ (profil 49/2012) Wenn man das liest, werden unweigerlich Erinnerungen an jenen unvergesslichen Informationsminister wach, der einst erklärte, es gebe keine amerikanischen Soldaten in Bagdad, während die Bilder amerikanischer Panzer in der irakischen Hauptstadt bereits um die Welt gingen…

Die Palästinenser bei den Vereinten Nationen

Am Donnerstag stimmten 138 von 193 Staaten in der UN-Vollversammlung in New York dafür, „Palästina“ den Status eines Beobachterstaats bei den Vereinten Nationen zu verleihen. 41 Länder enthielten sich der Stimme, nur neun Staaten stimmten dagegen (darunter als einziges EU-Land die Tschechische Republik). Bis zuletzt hatten vor allem die USA noch versucht, die Palästinenser von ihrem Gang vor das versammelte UN-Plenum abzubringen, blieben aber erfolglos. (Standard, 30. Nov. 2012; Kurier, 30. Nov. 2012)

Schon im Vorfeld gab es keinen Zweifel an einer Mehrheit für den palästinensischen Antrag. Allein die Bewegung der Blockfreien Staaten, die unlängst erst den Iran zu ihrem Vorsitzstaat gekürt hat, ist für 120 der 138 Stimmen verantwortlich. Trotzdem sorgte das Ergebnis zum Teil für Aufsehen. Frankreich, Spanien und Italien stimmten für den palästinensischen Antrag, Deutschland enthielt sich nur, anstatt wie eigentlich erwartet mit Nein zu votieren. Wie Außenminister Spindelegger am Mittwoch in einem ZiB 2-Interview erklärte, hätten er, Bundeskanzler Faymann und Bundespräsident Fischer gemeinsam den Entschluss gefasst, in New York mit Ja zu stimmen.

Wir wollen im Folgenden zwei Fragen auf den Grund gehen: Erstens wollen wir Bilanz darüber ziehen, wie die Abstimmung über den palästinensischen Antrag in österreichischen Medien kommentiert wurde. Zweitens wollen wir die Argumente kritisch betrachten, die in der Debatte vorgebracht wurden, um die österreichische Ja-Stimme zu begründen.

Wie urteilten österreichische Medien?

Im Standard zeigte sich Gudrun Harrer in erster Linie froh darüber, „dass es vorbei ist.“ Sie bemängelte, dass Mahmud Abbas es an kritischer Selbstreflexion habe missen lassen und seine Rede in New York nicht zum Anlass nahm, „Versäumnisse und schwere Fehler der Palästinenser anzusprechen“. Israel sollte das Stimmverhalten mehrerer EU-Staaten zu denken geben; insbesondere die deutsche Enthaltung sei ein Zeichen dafür, dass „der Ärger über Israels Siedlungspolitik wächst.“ Die Deutschen hätten mit ihrem Votum auch die Absicht verfolgt, den zuletzt im Zuge des Gaza-Krieges völlig marginalisierten und „wankenden Abbas zu stärken, ihn auch zu schützen vor Israel und den USA.“

Anders als UN-Generalsekretär Ban Ki-moon war Harrer nicht der Ansicht, dass sich die Perspektiven für einen Friedensprozess verbessert hätten. (Ban hatte wenige Tage zuvor in einem Standard-Interview erklärt, die Krise zwischen der Hamas und Israel sollte die Chancen für eine politische Lösung des Konflikts erhöht haben. Allerdings hatte er nicht einmal den Versuch unternommen, diese Behauptung auch nur ansatzweise zu begründen. Standard, 27. Nov. 2012) Weder sei Abbas jetzt bereit, seinen Landsleuten „klare Wahrheiten wie die Unumsetzbarkeit des Rückkehrrechts“ zuzumuten, noch werde die Hamas die Vorherrschaft der PLO anerkennen. Und Israels Regierung werde sich nur schwerlich dazu durchringen, dass es im Westjordanland nicht um ein „umstrittenes“, sondern um „besetztes“ Gebiet gehe. Entscheidend sei ohnehin einzig, ob US-Präsident Obama in seiner zweiten Amtszeit etwas „für den Nahen Osten im Sinn hat.“ (Standard, 1./2. Dezember 2012)

In der Presse war Wieland Schneider der Meinung, Österreich hätte in New York „etwas mehr Neutralität gutgetan“. Die Haltung Österreichs, das sich „sonst oft zurückhaltend hinter seiner Neutralität versteckt“, sei dem in der Vergangenheit immer wieder angespannten Verhältnis zu Israel „nicht gerade dienlich“. Die Gründung Israels sei eine Folge des Massenmordes an den europäischen Juden gewesen, nicht wenige „ältere Bürger des heutigen Israel sind Menschen, die aus Österreich vertrieben wurden oder nur knapp der NS-Tötungsmaschinerie überlebten, in der auch viele Österreicher aktiv waren.“ Einige „arabische und iranische Politiker“ würden diese Menschen am liebsten aus der „neuen Heimat Israel“ vertreiben. Österreich hätte nicht unbedingt gegen den palästinensischen Antrag stimmen müssen, sich aber „im Sinne einer kollektiven, staatlichen Verantwortung“ enthalten können.

Abbas habe mit seinem Gang vor die UN versucht, sich in der innerpalästinensischen Konkurrenz wieder in die erste Reihe zu rücken. Sein Sieg sei aber nur ein symbolischer, weil er an den realen Machtverhältnissen nichts ändere – „ohne die Zustimmung der dominierenden Kraft Israel ist ein funktionierender Palästinenserstaat auch weiterhin Zukunftsmusik. An Verhandlungen … führt deshalb kein Weg vorbei.“ Israel habe recht, wenn es Abbas des Bruchs bisheriger Vereinbarungen bezichtige, aber auch der Ausbau israelischer Siedlungen verstoße gegen die Abkommen. Eine Lösung des Konflikts sei „auch im Sinne Israels“, doch sei das nicht in Sicht. (Presse, 30. Nov. 2012)

Im Kurier wies Helmut Brandstätter darauf hin, dass man in Deutschland bei Aussagen von Politikern zu Israel stets die „historische Verantwortung“ spüre. Anders in Österreich, denn „bei uns mogelt sich die Politik gerne daran vorbei.“ (Kurier, 29. Nov. 2012) Im Gegensatz zu Standard und Presse, die das österreichische Stimmverhalten irgendwo zwischen skeptisch und eher ablehnend betrachteten, ergriff der Kurier klar Partei auf Seiten der Bundesregierung: „Österreichs Ja zu Palästina ist richtig“, verkündete Walter Friedl seine Unterstützung für die „mutige Entscheidung der österreichischen Außenpolitik“. Das Ja werde das Verhältnis zu Israel weiter belasten, sei aber trotzdem richtig. Es gebe zwar in Österreich und Deutschland eine „besondere Verantwortung gegenüber dem jüdischen Volk“, doch könne dies keinen „Blanko-Scheck“ für die israelische Politik bedeuten. „Die Palästinenser“, so Friedl, „kämpfen seit 65 Jahren mit legalen und illegalen Mitteln für ihren Staat – sie sollten ihn schon längst haben.“ Die Statusaufwertung bei der UNO bringe sie diesem Ziel zwar „keinen Millimeter“ näher, sei aber immerhin ein symbolischer Sieg. Der Stillstand im Friedensprozess könne nur überwunden werden, wenn „die Welt ihren Beobachterstatus in dem Konflikt aufgibt und beide Seiten in die Verantwortung zwingt.“ (Kurier, 30. Nov. 2012)

(Bemerkenswert an Friedls Kommentar war, dass er gar nicht vorgab, den Palästinensern ginge es um den Kampf gegen die israelische „Besatzung“ oder um israelische Siedlungen im Westjordanland. Aktuell schreiben wird das Jahr 2012. Ziehen wir davon die 65 Jahre ab, welche die Palästinenser seiner Aussage zufolge schon mit „legalen und illegalen Mittel“ kämpfen, so landen wir im Jahre 1947. Damals gab es aber keine besetzten Gebiete und auch keine Siedlungen. Nicht einmal der Staat Israel existierte zu diesem Zeitpunkt – der wurde erst im Mai 1948 ausgerufen. Was es aber sehr wohl gab, war der arabische Kampf gegen die Juden und der Versuch, die Etablierung eines jüdischen Staates mit allen Mitteln zu verhindern. Friedl sprach somit (ungewollt) den entscheidenden Punkt an: Es ging von Anfang an nicht um die Schaffung eines palästinensischen Staates, sondern um die Verhinderung bzw. Vernichtung des jüdischen.)

Für Ingo Hasewend in der Kleinen Zeitung wolle Österreich nichts anderes als Mahmud Abbas: „eine Zweistaaten-Lösung, verhandelte Grenzen, ein geteiltes Jerusalem und damit Frieden im Nahen Osten.“ Österreichs Ja zum palästinensischen Antrag sei „verständlich und durchaus weitsichtig“, denn damit werde Abbas „im Bruderkampf mit der Hamas“ gestärkt. Mit der Aufwertung bei der UNO sei Abbas selbst aufgewertet worden. Diese Aufwertung gehe aber auch mit mehr Verantwortung einher. „Es liegt nun sehr stark an ihm, diese verantwortungsvolle Rolle im Friedensprozess auch auszuspielen.“ (Kleine Zeitung, 30. Nov. 2012)

Die Kronen Zeitung entzog sich einer Bewertung des palästinensischen Antrags und der österreichischen Haltung. Sie sah in der mangelnden Einheit bei der UN-Abstimmung vor allem eine Niederlage der gemeinsamen EU-Außenpolitik (Kronen Zeitung, 30. Nov. 2012) und bilanzierte, dass das Match Hamas vs. Fatah jetzt unentschieden bei 1:1 stehe. (Kronen Zeitung, 1. Dez. 2012)

Tragfähige Argumente?

Insgesamt liegen längere Ausführungen von zweien der drei Politiker vor, die nach Angaben von Außenminister Spindelegger an der Entscheidungsfindung bezüglich des palästinensischen Antrags beteiligt waren: Spindelegger selbst gab am Vorabend der Abstimmung in New York ein Interview in der ZiB 2, Bundespräsident Fischer stand am Sonntag in der Presse Rede und Antwort. (Presse, 2. Dez. 2012) Lediglich Bundeskanzler Faymann hat sich öffentlich nicht ausführlicher zur Sache geäußert. Wir wollen uns im Folgenden auf die Ausführungen von Außenminister Spindelegger konzentrieren.

In seinem Fernsehinterview vom 28. November ließen sich fünf Argumente identifizieren, welche die österreichische Haltung begründen sollten. Erstens sei Österreich immer dafür gewesen, „eine Zwei-Staaten-Lösung zu etablieren, d. h. neben den Staat Israel, dessen Existenz auch garantiert werden muss, einen neuen Staat Palästina dazu zu stellen.“ So gut wie alle Beobachter waren sich einig, dass die Abstimmung in New York die Konfliktparteien keinen Schritt näher zur Verwirklichung der Zwei-Staaten-Lösung bringen werde, da diese, sollte sie überhaupt je umgesetzt werden, nun einmal nicht durch UN-Voten, sondern ausschließlich durch Verhandlungen erreicht werden könnte. Sollte es überhaupt einen Zusammenhang zwischen dem Votum bei den Vereinten Nationen und der Schaffung eines palästinensischen Staates an der Seite Israels geben, dann eher umgekehrt: Sowohl Israel als auch die USA bezeichneten Abbas’ Gang zur UN-Vollversammlung als kontraproduktiven Schritt. Spindeleggers Argument Nummer eins tut somit wenig zur Sache.

Zweitens gehe Österreich „immer konsequent vor. Wir haben bei der UNESCO dafür gestimmt und werden das auch jetzt tun.“ Weil wir uns schon damals so verhalten haben, tun wir es jetzt auch – das kann im Grunde gar nicht als ernst zu nehmendes Argument betrachtet werden.

Drittens habe „Präsident Abbas erklärt …, er wird keine Vorbedingungen mehr für Verhandlungen stellen, wenn in der UNO dieser Antrag abgestimmt ist und pro Palästina ausgeht. Und das ist schon ein wichtiges motivierendes Zeichen, dass Verhandlungen endlich starten können.“ Dieses Argument kann nur glauben, wer mit einem gehörigen Maß Naivität an die Sache herangeht. Viel wahrscheinlicher ist nämlich folgendes Szenario: Nachdem die UN „Palästina“ in den „Grenzen von 1967“ als Beobachterstaat akzeptiert hat, werden die Palästinenser erst recht einen völligen Stopp israelischer Bautätigkeiten nicht nur im Westjordanland, sondern auch in den jüdischen Vierteln Ostjerusalems fordern – wenn Israel „Grenzen“ verletze, die selbst von der UN-Vollversammlung „gezogen“ wurden, wie könnten die Palästinenser dann an den Verhandlungstisch zurückkehren? Alles spricht dafür, dass das Votum vom vergangenen Donnerstag die palästinensische Haltung weiter verhärten wird, erst wieder zu Verhandlungen bereit zu sein, wenn Israel bereits im Vorhinein zu aus seiner Sicht nicht akzeptablen Vorleistungen bereit sei.

Das vierte von Spindelegger vorgebrachte Argument war das bei Weitem zweifelhafteste des gesamten Interviews: Dem Friedensprozess müsse neuer Schwung verliehen werden, weil der israelisch-palästinensische Konflikt „der Grund für viele andere Konflikte im Nahen Osten“ sei. Die hier vertretene Position ist zwar weit verbreitet, entbehrt aber dennoch jeglichen Realitätsbezuges. Glaubt Spindelegger wirklich, dass der erbitterte Streit um die Zukunft Ägyptens beigelegt würde, sobald Israelis und Palästinenser Frieden schließen? Dass das Blutvergießen in Syrien aufhören würde? Dass die konfessionellen Spannungen im Libanon dann der Vergangenheit angehören würden? Dass die blutigen Auseinandersetzungen im Jemen ein Ende hätten? Dass die Spannungen zwischen dem Iran und den Golfstaaten sich in Wohlgefallen auflösten? Anders als Spindelegger zu meinen scheint, haben unzählige Konflikte des Nahen Osten nichts mit den Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinensern zu tun; sein Argument entbehrt jeder realen Grundlage.

Fünftens war der Außenminister der Ansicht, eine Unterstützung des palästinensischen Antrags sei „eine Stärkung auch von Präsident Abbas, der jetzt auch wieder Motivation für seine vielen Palästinenser braucht“. Dies ist das wohl am öftesten vorgebrachte Argument der Debatte gewesen: Um den Friedensprozess wieder in Gang zu bringen, sei eine Stärkung von Abbas nötig, die nun eben auf dem Umweg über die Vereinten Nationen erfolgen sollte.

Leider kommt dieses Zeichen der Unterstützung für Abbas aber zu einem Zeitpunkt, da dieser im Begriff ist, sich von seinen vermeintlich „moderaten“ Positionen zu verabschieden und in Riesenschritten auf die Hamas zuzubewegen. Früher war von ihm gelegentlich noch taktische Kritik an den Raketenangriffen der Islamisten aus dem Gazastreifen auf Israel zu hören – eine grundsätzliche Ablehnung der Gewalt gegen Israel war schon damals von ihm nicht zu haben. Während des jüngsten Gaza-Krieges war aus seinem Mund jedoch kein Wort der Kritik an den Raketen der Hamas zu hören. Sobald die Waffen schwiegen, stimmte er in den Jubel über den angeblichen Sieg gegen Israel ein. Khaled Abu Toameh, der langjährige Jerusalem Post-Korrespondent für die palästinensischen Gebiete fragte deshalb unlängst: „Is Abbas About To Join Hamas?“

Und auch Abbas‘ Rede vor der UN-Vollversammlung am vergangenen Donnerstag lies nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig. Als „heftige Kritik an Israel“ bezeichnete der Standard die Ansprache des PA-Präsidenten (Standard, 30. Nov. 2012), die jeder lesen sollte, der der Meinung ist, dieser Mann sei ein „moderater“ Politiker, dem es um den Frieden mit Israel gehe.

Ein sechstes Argument wurde schließlich in einem Kurier-Artikel hervorgehoben, in dem zu lesen war: „Entscheidend für Österreichs Zustimmung sei für Spindelegger vor allem gewesen, dass der Resolutionstext von den Palästinensern noch geändert wurde. Es gehe jetzt nur mehr um den Beobachterstatus in der Vollversammlung, nicht aber in anderen Organisationen.“ (Kurier, 28. Nov. 2012) Dieses Argument hat sich binnen kürzester Zeit in heiße Luft aufgelöst – die Palästinenser haben sich explizit geweigert, ihrem Antrag diesbezügliche Einschränkungen hinzuzufügen.

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