In dieser Ausgabe:
I. Allgemeiner Überblick
II. Die „Erkundungsreise“ der Kleinen Zeitung in Sachen Islam
III. Heinz Fischer und der Antisemitismus
IV. Was Dschihadisten angeblich antreibt
V. Auszeichnung für Absurdität: Die „moderate Seite“ der Huthis
In den vergangenen sieben Tagen erschienen in den von MENA systematisch ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen 393 Beiträge (zuletzt: 551) mit Bezügen zu Nordafrika und dem Nahen Osten:
Folgende Länder standen im Mittelpunkt der Berichterstattung:
In den insgesamt 125 relevanten Beiträgen (zuletzt: 129) der wichtigsten Fernseh- und Radionachrichtensendungen des ORF wurde auf folgende Länder am häufigsten Bezug genommen:
II. Die „Erkundungsreise“ der Kleinen Zeitung in Sachen Islam
Um die „entscheidende Frage“ zu beantworten: „Wie viel Islamismus steckt im Islam?“, macht sich die Kleine Zeitung seit dem vergangenen Samstag auf eine neunteilige „Erkundungsreise“. „Was wissen wir überhaupt über die zweitgrößte Religionsgemeinschaft auf der Erde?“, lautete eine der Fragen, die am Anfang der „Annäherungen an eine fremde Welt“ stand, der Welt des Islam. (Kleine Zeitung, 30. Jan. 2015) Ging es anfangs um die Person des Propheten Mohammed (Kleine Zeitung, 31. Jan. 2015) und den Koran als das „Buch voller Rätsel“ (Kleine Zeitung, 1. Feb. 2015), so standen heute in Teil drei der Serie die vielen Spaltungen auf dem Programm, die den Islam seit dem Tod des Propheten prägen.
„Innerhalb der Sunniten“, so behauptete Wolfgang Sotill, „gibt es vier verschiedene Rechtsschulen, die sich in Fragen des weltlichen Rechts, aber auch bei rituellen Bestimmungen“ und in anderen Fragen unterschieden. „Die durch die aktuelle Politik bekanntesten sind der extrem konservative Wahhabismus, der in Saudi-Arabien die Staatsreligion ist, und der ähnlich strenge Salafismus“. (Kleine Zeitung, 2. Feb. 2015)
Nun stimmt, dass es heutzutage mit den Schafiiten, Malikiten, Hanafiten und Hanbaliten vier anerkannten Rechtsschulen des sunnitischen Islam gibt. Wahhabismus und Salafismus aber sind keine eigenen Schulen der sunnitischen Rechtsauslegung. Der auf die Lehren Muhammad ibn Abd al-Wahhab zurückgehende Wahhabismus folgt der hanbalitischen Schule, die zeitgenössischen Salafisten berufen sich oftmals auf die Denktradition des mittelalterlichen Gelehrten Ibn Taimiya, der ebenfalls der hanbalitischen Rechtsschule angehörte.
Es ist zu begrüßen, dass die Kleine Zeitung mit ihrer Serie über den Islam einen Schritt zurück von den Alltagsnachrichten machen und ihren Lesern ausführlichere Hintergrundinformationen anbieten will, die zum besseren Verständnis des Zeitgeschehens beitragen können. Dieses Vorhaben wird freilich konterkariert, wenn diese Hintergrundinformationen schlicht unzutreffend sind.
III. Heinz Fischer und der Antisemitismus
Von der Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz aus Polen nach Wien zurückgekehrt, war Bundespräsident Heinz Fischer am vergangenen Dienstag zu Gast in der ZiB 2. Dort wurde er von Moderator Armin Wolf auf die beunruhigenden Statistiken angesprochen, denen zufolge es in Österreich im vergangenen Jahr rund doppelt so viele antisemitische Vorfälle gegeben habe als noch im Jahr 2013. (Beim Forum gegen Antisemitismus gingen im Jahr 2014 insgesamt 255 Meldungen ein, darunter 57 Fälle von Sachbeschädigungen und neun tätliche Übergriffe. 2013 gab es 135 Meldungen, von denen sich aber ‚nur‘ sechs auf Sachbeschädigungen und sieben auf Übergriffe bezogen hatten.) Fischers Antwort lautete: „Ich weise nur darauf hin, das zum Beispiel auch unsere Sensibilität für Antisemitismus wesentlich gewachsen ist. Also manche Zwischenrufe oder manche Zwischenfälle, die vor 20 Jahren passiert sind, ohne dass es große Aufregung hervorgerufen hat, da wird jetzt sehr sensibel und sehr scharf reagiert, und das mag auch ein Teil dieser Steigerung von Anzeigen oder Meldungen oder Beobachtungen sein.“ (ZiB 2, 27. Jan. 2015)
Die Israelitische Kultusgemeinde gab daraufhin in einer Presseaussendung ihr „Befremden“ über Fischers Aussagen zu Protokoll. Die steigenden Zahlen antisemitischer Vorfälle bloß auf gestiegene Sensibilisierung zurückzuführen, zeuge von einem „eklatanten Mangel an Einfühlungsvermögen, aber auch von einer bewussten Verdrängung des Problems“. In der sonntäglichen ORF-Pressestunde erläuterte IKG-Präsident Oskar Deutsch, dass eine zunehmende Sensibilisierung bezüglich antisemitischer Vorfälle ein über mehrere Jahre und somit einen längeren Zeitraum hinwegreichender Prozess sei und kaum den sprunghaften Anstieg der Meldungen binnen eines Jahres erklären könne. Der Bundespräsident relativiere das Ansteigen der Zahl antisemitischer Vorfälle. (Pressestunde, 1. Jan. 2015)
Das sollte freilich niemanden mehr überraschen, hat Fischer doch in einem Kurier-Interview im vergangenen Mai völlig unmissverständlich seinen Willen zum Ausdruck gebracht, die vom Judenhass ausgehende Bedrohung zu verharmlosen, und sich von nichts davon abbringen zu lassen. Damals meinte er: „Ich sage aus voller Überzeugung, dass Antisemitismus in Österreich nicht zunimmt. Ich lasse mir diese Überzeugung durch einzelne Schmierereien, die ich schärfstens verurteile, nicht rauben. … Antisemitismus ist in Österreich ein auf wenige Unverbesserliche reduziertes Problem.“ (Kurier, 18. Mai 2014)
An dieser Haltung des Präsidenten änderten offenbar auch die während des Gaza-Kriegs in mehreren österreichischen Städten abgehaltenen antisemitischen Aufmärsche sowie der tätliche Angriff auf Spieler des israelischen Fußballvereines Maccabi Haifa nichts, die im Rahmen eines Trainingslagers in Bischofshofen zu Gast waren. Und vermutlich wird auch die antisemitische Attacke nichts an der Haltung Fischers ändern, die sich nur wenige Tage nach seinem jüngsten Fernsehinterview in Wien ereignet hat: Vier bis fünf junge, offenbar rechtsextreme Männer sollen in der Nacht des umstrittenen Akademikerballs der FPÖ auf der Kärntner Straße zwei Menschen als „Scheißjuden“ beschimpft und mit Pfefferspray attackiert haben. (Standard, 2. Feb. 2015)
IV. Was Dschihadisten angeblich antreibt
Seit den islamistischen Anschlägen von Paris haben Erklärungen darüber Hochkonjunktur, was um alles in der Welt junge Männer (von den Frauen ist seltener die Rede) dazu bringt, sich einer Terrorgruppe wie dem „Islamischen Staat“ (IS) anzuschließen, nach Syrien oder in den Irak in den Krieg zu ziehen oder Blutbäder in europäischen Städten anzurichten. So unterschiedlich die einzelnen Erklärungsmuster auch im Detail sein mögen, dem überwiegenden Teil der angebotenen Theorien ist doch eines gemein: Die Täter, die in Wahrheit von Idealismus angetrieben würden, werden zu Opfern erklärt, die Schuld für ihre Taten wird dem Westen im Allgemeinen und den USA im Besonderen aufgebürdet.
In den Salzburger Nachrichten kam beispielsweise der „Jesuit und führende Sozialethiker“ Friedhelm Hengsbach zu Wort, der in der vergangenen Woche in Salzburg zu Gast war, um sein Buch „Teilen, nicht töten“ zu bewerben. Er warf den Medien und der Öffentlichkeit vor, in der aktuell „aufgeheizten Stimmung … politische, wirtschaftliche und historische Hintergründe“ für den Terrorismus und die Kriege im Nahen Osten zu verschweigen. „Dschihadisten“, so führte Hengsbach aus, „sind Menschen, die extrem zugespitzt auf den internationalen Nord-Süd- und West-Ost-Konflikt reagieren. Ihre Rebellion ist die Gegengewalt gegen die Vorherrschaft des Westens, hinter der der hegemoniale Anspruch der USA steht.“ Es finde „kein Kampf der Kulturen statt, sondern ein Kampf um eine faire Verteilung der Güter dieser Erde“. Wie man es auch dreht und wendet, für Leute wie Hengsbach kommt stets dabei heraus, dass der „angeblich freie Westen“ (Salzburger Nachrichten, 27. Jan. 2015) und die von ihm beförderte Weltordnung die Verantwortung für Krieg und Terror trägt.
Die Wirklichkeit kommt in dieser Welterklärung nur am Rande vor, würde sie doch einige schwierige Aufgaben präsentieren. Was soll zum Beispiel der Kunde eines jüdischen Supermarktes in Paris mit dem Nord-Süd-Konflikt zu tun haben? Wie könnte die ungerechte „Verteilung der Güter dieser Erde“ mit der Ermordung einer französischen Streifenpolizistin zusammenhängen? Büßte der Fahrer eines Busses in Tel Aviv, den ein palästinensischer Attentäter mit Messerstichen zu töten versuchte, für den „hegemonialen Anspruch der USA“? Und ist es nicht vielleicht schlicht obszön, die Versklavung und Massenvergewaltigung jesidischer Frauen und Mädchen im Irak durch die Barbaren des IS als einen Fall von „rebellischer Gegengewalt“ gegen die „Vorherrschaft des Westen“ zu rationalisieren?
Glaubt man einem anderen Verharmloser dschihadistischer Gewalt, dem französischen Islamexperten Olivier Roy, hat der islamistische Terror überhaupt nichts mit Religion und schon gar nichts mit dem Islam zu tun. Wenn die Mörder von Paris während ihrer Taten Allah priesen, so sei das bloß ein „Schlachtruf, eine leere Formel, ohne theologisches Konzept dahinter“ gewesen. Das Vorbild der Attentäter sei „der amerikanische Superhero“ gewesen. Für den Großteil der Dschihadisten „besteht der Islam nur aus Kampfparolen und aus Taten. Das sind reine Aktivisten, für die die religiöse Praxis keine Rolle spielt.“ Sie wollten „für eine große, globale Sache kämpfen“. (Kleine Zeitung, 31. Jan. 2015)
Roy reihte sich in die Reihe derer ein, die den Dschihadismus gewissermaßen als aktuelle Form der Jugendrevolte betrachten. Ließ man sich früher aus Protest die Haare lang wachsen, gehe man heute eben nach Syrien und schlage gelegentlich ein paar Menschen den Kopf ab. Jeglicher inhaltlicher Bezüge entkleidet, wird alles eins: Die Nazis der 1930er-Jahre unterschieden sich demnach nicht sonderlich von denen, die beispielsweise nach Spanien gingen, um gegen den Faschismus zu kämpfen – und alle zusammen kaum von den Hippies der 60er-, den Politaktivisten der 70er- oder den Jugendbewegungen der 80er-Jahre. „Salafismus ist der neue Punk“, sagt Alexander Osman von der Muslimischen Jugend Österreichs. (Kurier, 2. Feb. 2015)
Die Vorteile dieser jegliche politischen und ideologischen Zusammenhänge leugnenden Sichtweise liegen auf der Hand: Die Ausbreitung totalitärer Ideologien wie des Islamismus, der bisweilen tödliche antisemitische Hass und die Verachtung der Zivilisation bieten weit weniger Anlass zur Sorge, wenn es sich in Wahrheit doch nur um juvenilen Leichtsinn bzw. um die idealistische Sehnsucht nach einer besseren Welt handle, die im Grunde doch eigentlich zu befürworten sei. „Meine Erklärung für den Jihadismus ist, dass der Islam die politische Ideologie der Unterdrückten geworden ist“, verklärt der von einer Fernsehtalkshow zur nächsten tingelnde „Islamophobie“-Experte Farid Hafez die Barbarei des IS zu einem Ausdruck des Sehnens nach Gerechtigkeit. (Standard, 12. Jan. 2015) Über die islamistische Ideologie und die religiös legitimierte Hasspropaganda, durch die junge Muslime in Europa radikalisiert werden, braucht man dann bequemerweise nicht mehr zu sprechen.
Und wenn dann doch einmal die Gewalt zur Sprache kommt, dann in Form von Vorwürfen gegen den Westen und die USA. Zugegeben, die „religiöse Radikalisierung“ habe „in muslimischen Milieus“ größere Formen angenommen. Aber, so Olivier Roy: „(W)enn wir von kollektiver Gewalt sprechen, möchte ich anmerken, dass die US-Militärintervention im Irak auch extrem gewalttätig war und viel mehr Menschenleben gefordert hat als der islamistische Terror.“ (Kleine Zeitung, 31. Jan. 2015) An diesem Punkt werden die Verkehrung der Wirklichkeit und die Verharmlosung der islamistischen Gewalt schamlos und infam: Zweifelsohne wurden im Irak seit 2003 enorm viele Menschen getötet, doch waren für den weit überwiegenden Teil nicht etwa US-Truppen verantwortlich, sondern die islamistischen Mörderbanden, die Moscheen, Schulen, Krankenhäuser und Märkte in die Luft jagten sowie Zivilisten verschleppten, folterten und massakrierten. (Iraq Body Count schätzt den Anteil der zwischen 2003 und 2011 im Irak durch US-Truppen getöteten Zivilisten auf rund 13 Prozent.) Nicht die US-Intervention hat so viele Menschenleben gefordert, sondern genau der islamistische Terror, den Roy so hartnäckig zu verharmlosen sucht.
V. Auszeichnung für Absurdität: Die „moderate Seite“ der Huthis
Würden Preise für besondere Absurditäten in der Nahostberichterstattung verliehen, so stünde schon jetzt ein heißer Anwärter für die höchste Auszeichnung fest, obwohl das neue Jahr gerade einmal einen Monat alt ist: Die Standard-Beilage New York Times International Weekly brachte es heute fertig, einen Bericht über die neuen starken Männer im Jemen zu veröffentlichen, in dem – extra hervorgehoben – zu lesen war, dass die vom iranischen Regime unterstützten Huthis Israel, Amerika und die al-Qaida hassten. Und wie lautete die Überschrift? Sehen Sie selbst: