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Wochenbericht, 25.5. bis 31.5. 2015

In dieser Ausgabe:

I. Allgemeiner Überblick
II. Journalistische Blamage statt Sensation: Eine Krone-„Enthüllung“ über den IS
III. Wieder einmal eine „Einigung“ im Atomstreit


I. Allgemeiner Überblick

In der vergangenen Woche erschienen in den von MENA systematisch ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen 329 Beiträge (zuletzt: 437) mit Bezugnahmen auf den Nahen Osten und Nordafrika:

Wochenbericht, 25.5. bis 31.5. 2015

Folgende Länder standen im Mittelpunkt der Berichterstattung:

Wochenbericht, 25.5. bis 31.5. 2015

In den insgesamt 97 relevanten Beiträgen (zuletzt: 127) der wichtigsten Radio- und Fernsehnachrichtensendungen des ORF wurde auf folgende Länder am häufigsten Bezug genommen:

Wochenbericht, 25.5. bis 31.5. 2015

Die ungewöhnlich starke mediale Präsenz Jordaniens und Katars war größtenteils auf die Berichterstattung über den Korruptionsskandal in der FIFA und die Wiederwahl Josef Blatters zum FIFA-Präsidenten zurückzuführen: Auch wenn die jüngsten Verhaftungen hochrangiger FIFA-Funktionäre nichts mit der umstrittenen Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft an Katar zu tun hatten, wurde das Emirat oftmals im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen erwähnt; Sepp Blatter setzte sich bei der Wahl zum FIFA-Präsidenten gegen einen jordanischen Konkurrenten durch.
 

II. Journalistische Blamage statt Sensation: Eine Krone-„Enthüllung“ über den IS

Während angesichts der jüngsten Vormärsche des Islamischen Staates (IS) im irakischen Ramadi und im syrischen Palmyra deutlich wird, dass die bisherige Strategie zu dessen Bekämpfung keine Erfolge zeitigt, wird noch immer über die Frage debattiert, wie es überhaupt zu seinem kometenhaften Aufstieg kommen konnte. In der Kleinen Zeitung versuchte Martin Gehlen die Frage zu beantworten, „(w)as die Terrormiliz stark macht“, und wärmte zu diesem Behufe die fragwürdige, aber nichtsdestotrotz sehr beliebte Theorie auf, wonach die USA und Europa heute die Rechnung für „die wohl teuerste militärische Fehlentscheidung des Westens aller Zeiten“ präsentiert bekämen:

„Denn der IS ist kein Produkt des syrischen Bürgerkrieges. Die Wurzeln liegen im Post-Saddam-Irak, den Amerikaner und andere willige Koalitionäre 2003 unter George W. Bush erzwungen haben.“ (Kleine Zeitung, 27. Mai 2015)

Nun ist nicht zu bestreiten, dass die historischen Wurzeln des heutigen IS in der irakischen al-Qaida-Filiale lagen, die nach dem Sturz Saddam Husseins alles ihr Mögliche unternahm, um den Irak in einen blutigen sektiererischen Bürgerkrieg zu stürzen. Genau so wenig ist aber zu bestreiten, dass die Vorläuferorganisation des IS in den Jahren 2007/2008 weitgehend besiegt und zu einer Terrorgruppe dezimiert wurde, die zwar noch Anschläge begehen konnte, für den Irak aber keine strategische Bedrohung mehr darstellte. Erst der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien bot der darniederliegenden irakischen al-Qaida den Nährboden, auf dem sie erneut gedeihen, große Teile Syriens und des Irak erobern und zu dem einflussreichen Akteur werden konnte, der der IS heute ist. Die Behauptung, er sei „kein Produkt des syrischen Bürgerkrieges“, mag jenen gefallen, die ihrem Lieblingshassobjekt George W. Bush nach den zigtausenden von sunnitischen und schiitischen Islamisten im Irak Ermordeten jetzt eben auch noch die Opfer des IS anhängen wollen, trägt ansonsten zur Analyse aber wenig bei.

Einen gänzlich absurden Beitrag zur Debatte, warum die Dschihadisten des Islamischen Staates so mächtig werden konnten, präsentierte die Kronen Zeitung in ihrer Sonntagsbeilage. „Die Entstehung des IS war vom Westen gewollt“, lautete die reißerische Überschrift zu einem Artikel, in dem eine wahre Sensation enthüllt werden sollte: Um das Assad-Regime zu stürzen, habe der Westen die „Oppositionsmilizen“ unterstützt. „(D)ass man damit dem Terror zum Aufstieg verhilft, wurde nicht nur hingenommen. Laut einem US-Geheimdokument war er sogar gewollt!“

Was dem „bislang streng geheime(n) US-Pentagon-Dokument“ zu entnehmen sei, sei „erschütternd und eigentlich nicht zu glauben“. Die Amerikaner hätten bereits 2012 gewusst, „dass die Aufstände in Syrien von Terror-Organisationen und anderen Extremisten wie der Muslimbruderschaft angeführt wurden“ und diese die „Errichtung eines islamischen Staates“ im Sinne hätten, „koste es, was es wolle.“ Krone-Journalist Klaus Loibnegger zitierte Passagen des Geheimdienstdokuments, in denen von der „strategische(n) Chance der Schaffung eines Salafisten-Hoheitsgebiets“ in Syrien die Rede ist. Das sei „genau das, was die Unterstützer der (syrischen, Anm. der Redaktion) Opposition wollen …“ Das bedeute: „Man hat nicht nur tatenlos zugesehen, man hat den Aufstieg der Terrormiliz Islamischer Staat sogar unterstützt“, auch wenn in dem Geheimdienstbericht nicht ausgeführt werde, welche Form diese Unterstützung gehabt habe. Zustimmend zitierte Loibnegger abschließend Jürgen Todenhöfer, der sich „in seinem Internet-Blog“ – gemeint ist Todenhöfers Facebook-Seite – zu dem „Geheimpapier“ geäußert hatte: „Ein Friedensnobelpreisträger als Terror-Pate! Das Dokument verschlägt einem die Sprache – es ist ein politischer Skandal, ein terroristisches Watergate“. (Kronen Zeitung, 31. Mai 2015)

Macht man sich die Mühe, das angeblich sprachlos machende Dokument selbst zu lesen, so wird schnell deutlich, dass hier weniger ein politischer Skandal, als vielmehr eine journalistische Blamage ersten Ranges vorliegt.

Denn bei dem Bericht des US-Verteidigungsministeriums handelte es sich nicht um ein Strategiepapier für die Regierung, sondern um eine bloße Bestandsaufnahme. Der oder die Verfasser schilderten in knappen Worten die Lage in Syrien und diskutierten mögliche Auswirkungen auf den Irak. Dass der Westen, die Golfstaaten und die Türkei die Opposition unterstützten, während sich Russland, China und der Iran hinter das Regime stellten, war wahrlich kein Geheimnis und hätte sich mittlerweile sogar bis zur Krone herumsprechen können. Die Defense Intelligence Agency (DIA), die den Bericht verfasste, war in der Tat der Ansicht, dass Salafisten, Muslimbrüder und al-Qaida die wichtigsten Kräfte unter den Aufständischen darstellten. Ob das zum damaligen Zeitpunkt eine zutreffende Einschätzung war, darüber ließe sich trefflich streiten.

Der von Todenhöfer und der Krone skandalisierte Teil des Papiers besteht aus der Diskussion möglicher zukünftiger Szenarien. Demnach drohe der Konflikt zu einem in Syrien ausgetragenen Stellvertreterkrieg zu werden, in dem einige Teile des Landes vom Regime, andere dagegen von Rebellen kontrolliert würden. „Western Countries, the Gulf States and Turkey are supporting these efforts“, stellte die DIA fest, um fortzufahren:

„This hypothesis is most likely in accordance with the data from recent events, which will help prepare safe havens under international sheltering, similar to what transpired in Libya when Benghazi was chosen as the command center of the temporary government.“

Wie sich gezeigt hat, war diese Prognose falsch: Der Westen hat nicht in Syrien interveniert, um Schutzzonen für die Aufständischen zu schaffen, sodass diese und die Zivilbevölkerung bis heute den mörderischen Angriffen der syrischen Luftwaffe ausgeliefert sind und immer wieder auch mit Giftgas angegriffen werden. Todenhöfer und die Krone ignorierten diese Passage völlig – wie unter Verschwörungstheoretikern üblich, nehmen sie nur den Teil der Realität zur Kenntnis, den sie mit ihren kruden Fantasien in Einklang bringen können und blenden alles aus, was dem widerspricht. So interessierten sie sich auch nicht für den Abschnitt, in dem vor der Übernahme von Grenzstationen durch Aufständische gewarnt wurde:

„The Iraqi border guard forces are facing a border with Syria that is not guarded by official elements which presents a dangerous and serious threat.“

Im Gegensatz zur Behauptung der Krone, wonach die Machtübernahme durch Islamisten gewollt gewesen sei, konstatierte der Geheimdienst also eine gefährliche und ernste Bedrohung. Und wie sah es mit der Errichtung eines islamischen Staates aus, der von Amerika angeblich als „strategische Chance“ gesehen worden sei?

„If the situation unravels there is the possibility of establishing a declared or undeclared salafist principality in eastern Syria …, and this is exactly what the supporting powers to the opposition want, in order to isolate the Syrian regime, which is considered the strategic depth of the Shia expansion (Iraq and Iran).“

Auch wenn das wenigstens Ähnlichkeiten mit dem hatte, was laut Todenhöfer und der Krone in dem Papier angeblich zu lesen ist, ist deren Interpretation völlig abwegig. Erstens ist nirgends davon die Rede, dass eine solche Entwicklung als „strategische Chance“ gesehen wurde – diese Formulierung hat die Krone einfach erfunden. Zweitens besteht kein Zweifel daran, dass die DIA die Entstehung eines von Salafisten kontrollierten Gebiets als große Gefahr betrachtete. Wörtlich ist zu lesen: „The deterioration of the situation has dire consequences on the Iraqi situation“. Als eine der Gefahren wurden die Möglichkeiten gesehen, die sich al-Qaida im Irak öffnen würden. Und weiters:

„ISI [der Islamische Staat im Irak, Anm. MENA] could also declare an Islamic State through its union with other terrorist organizations in Iraq and Syria, which will create grave danger in regards to unifying Iraq and the protection of its territory.“

In diesen deutlichen Warnungen vor der Ausrufung eines islamischen Staates den Beweis dafür zu sehen, dass die USA die Schaffung eines solchen Staates gewollt und bewusst unterstützt hätten, ist eine wahrlich beachtliche Leistung. Man kann sie wohl nur erbringen, wenn man, wie Todenhöfer, von einem geradezu pathologischen Anti-Amerikanismus angetrieben wird, der sich die Realität eben immer so zurechtlügt, dass am Ende die USA schuld sind. Wir können nicht beurteilen, ob Krone-Journalist Loibnegger von einem ähnlichen Hass beseelt ist, oder unter Außerachtlassung sämtlicher Grundsätze seiner Zunft nur den Unsinn weiterverbreitet hat, den Todenhöfer ihm ins Ohr gesetzt hat. Sicher ist aber: Der Abdruck einer so haarsträubend falschen Geschichte durch die Krone stellt einen journalistischen Tiefpunkt dar.
 

III. Wieder einmal eine „Einigung“ im Atomstreit

Weniger als ein Monat bleibt den P5+1 und dem Iran noch Zeit, um einen abschließenden Deal im Atomstreit zu verhandeln. In den jüngst geführten Gesprächen scheint nicht viel weitergegangen zu sein. Wie die Presse berichtete, weigert sich das iranische Regime weiterhin, internationalen Inspektoren Zugang zu militärischen Anlagen zu gewähren, in denen atomwaffenrelevante Experimente durchgeführt worden sein sollen. (Presse, 1. Juni 2015. Eine dieser Anlagen wurde als „die südöstlich von Teheran am Kaspischen Meer gelegene Militärbasis Parchin“ beschrieben. Wer über ein wenig geographische Kenntnisse verfügt, kann sich über diese Angaben nur wundern: Wenn Teheran südlich des Kaspischen Meeres und Parchin südöstlich von Teheran liegt, wie soll Parchin dann „am Kaspischen Meer“ liegen können? Tatsächlich befindet sich die umstrittene Militäranlage rund 125 Kilometer vom Kaspischen Meer entfernt.)

Verwunderung löste die Lektüre eines Beitrags im Standard aus, in dem es um einen anderen noch nicht gelösten Streitpunkt bei den Atomverhandlungen ging. „Einigung zu Iran-Sanktionen“, lautete die Optimismus verbreitende Überschrift, der allerdings schon nach der Lektüre des erstens Satzes des darunter folgenden Artikels wieder arg gedämpft wurde: Bei den Gesprächen in Genf hätten sich „die sechs Staaten, die mit Teheran verhandeln, auf einen Mechanismus zur Wiederherstellung von Sanktionen geeinigt. Sollte der Iran das ausverhandelte Abkommen brechen, werden die im Zusammenhang mit einem Atomdeal gelockerten UN-Sanktionen erneut verhängt werden.“

Man mag es bereits als Fortschritt erachten, wenn sich die P5+1 im Hinblick auf die für den Fall iranischer Vertragsverletzungen versprochene Wiedereinsetzung von Sanktionen wenigstens untereinander einigen können – Russland hatte sich zuletzt in diesem Punkt stets quergelegt und die Behauptung der Obama-Administration, dass iranische Vergehen einen sofortigen Snap-back der Sanktionen zur Folge haben würden, mit einem simplen „Njet“ quittiert.

Aber worauf haben sich die P5+1 nun geeinigt? „Ein eigenes Sondergremium soll die potenziellen Verstöße des Iran bewerten und nichtverbindliche Empfehlungen aussprechen.“ Das bestätigt freilich nur die Befürchtungen der Kritiker des sich abzeichnenden Deals: Bei „potenziellen“ Verstößen wird erst einmal ein Sondergremium mit der Angelegenheit befasst, was vermutlich sehr viel Zeit in Anspruch nehmen wird. Und sollten in diesem Gremium, über dessen Zusammensetzung in dem Standard-Artikel kein Wort zu finden war, tatsächlich einmal iranische Verstöße festgestellt werden, wird es „nichtverbindliche Empfehlungen“ aussprechen. Man muss kein Prophet sein, um erahnen zu können, was mit diesen Empfehlungen passieren wird. Und noch ein vielleicht nicht ganz unwichtiges Detail war in dem Artikel zu finden: „Die Zustimmung des Iran zu dem Verfahren ist noch ausständig.“ (Standard, 1. Juni 2015)

„If Iran violates the deal, sanctions can be snapped back into place“, hatte US-Präsident Obama Anfang April anlässlich der Lausanner Übereinkunft versprochen, um Kritiker des Deals zu beschwichtigen, mit dem er in die Geschichte eingehen will. Und das ist daraus in nicht einmal zwei Monaten geworden: Die Ankündigung der Schaffung eines Gremiums, das im besten Fall nach langwierigem Hin und Her nichtbindende Empfehlungen abgeben wird. Und obwohl das iranische Regime diesem Procedere noch nicht einmal zugestimmt hat, versucht der Standard seinen Lesern dieses magere Ergebnis als „Einigung zu Iran-Sanktionen“ schönzureden.

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