WOCHENBERICHT, 22.4. BIS 28.4.2013

I. Allgemeiner Überblick

In der vergangenen Woche erschienen in den von MENA systematisch ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen insgesamt 258 Beiträge mit Bezug zum Nahen Osten und zu Nordafrika:

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In der Berichterstattung standen folgende Länder im Mittelpunkt des Interesses:

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In den wichtigsten Nachrichtensendungen des ORF-Radios und Fernsehens wurden in den vergangenen sieben Tagen insgesamt 54 relevante Beiträge veröffentlicht, die sich vor allem mit folgenden Ländern beschäftigten:

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Das dominierende Thema der letzten Woche waren eindeutig Meldungen, wonach es erstmals konkrete Belege für einen Einsatz von Chemiewaffen im syrischen Bürgerkrieg gebe. Den Anfang machte am Dienstag Itai Brun vom israelischen Militärgeheimdienst, der auf einer Konferenz des Israelischen Instituts für Nationale Sicherheit in Tel Aviv mit der Aussage aufhorchen ließ: „Soweit wir es beurteilen können, gab es einen tödlichen Einsatz von Chemiewaffen. Welche? Wahrscheinlich Sarin.“ (Standard, 24. Apr. 2013) Zwei Tage später bestätigte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel, dass auch amerikanische Geheimdienste davon ausgingen, dass in Syrien „in kleinem Maßstab“ chemische Waffen eingesetzt worden seien, wahrscheinlich vom syrischen Regime. Aus dem britischen Außenministerium verlautete: „Wir verfügen über begrenzte, aber überzeugende Informationen aus verschiedenen Quellen, die zeigen, dass chemische Waffen in Syrien eingesetzt wurden, einschließlich Sarin.“ (Standard, 26. Apr. 2013) Der Einsatz chemischer Waffen ist von US-Präsident Obama in der Vergangenheit mehrfach als Überschreitung einer „rote Linie“ bezeichnet worden, die eindeutige Reaktionen nach sich ziehen würde. Was man sich darunter genau vorzustellen habe, blieb jedoch immer vage und ist auch jetzt nicht klar, wo es offenbar Belege für den Einsatz dieser todbringenden Waffen gibt.

Bevor wir uns im Folgenden ausführlicher mit einigen Fragen beschäftigen, die mit den aktuellen Ereignissen in Syrien zusammenhängen, sei noch eine kurze Nebenbemerkung gestattet: Nach all dem Rummel um die umstrittene Ernennung Chuck Hagels zum Verteidigungsminister ist schon erstaunlich, dass Karim El-Gawhary in seinem taz-Artikel über den vermuteten Chemiewaffeneinsatz in Syrien von Hagel als „US-Außenminister“ sprach und ihn als „Amerikas oberster Diplomat“ bezeichnete. Von MENA per Twitter auf diesen sonderbaren Fehler aufmerksam gemacht, wurde er auf der taz-Homepage stillschweigend korrigiert. Für die Presse kam die Korrektur aber zu spät: In El-Gawharys Beitrag vom Samstag firmierte Hagel erneut als „US-Außenminister“. (Presse, 27. Apr. 2013)

II. Chemiewaffen in Syrien (1): Der Vergleich mit dem Irak

Wie den Grafiken zu entnehmen ist, wurde in dieser Woche auch der Irak in der Berichterstattung über den Nahen Osten oft erwähnt, und das stand in engem Zusammenhang mit den Nachrichten über den Einsatz von Chemiewaffen in Syrien. Allgegenwärtig war der Verweis auf den Irakkrieg 2003, der nicht zuletzt damit begründet wurde, die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen beenden zu wollen, die man allgemein im Besitz des Regimes von Saddam Hussein glaubte, die dann aber nach der Invasion nicht gefunden wurden. Typisch z. B. ein Bericht im ORF, in dem es hieß, Präsident Obama sei vorsichtig geworden, denn, „(s)chon einmal haben sich die USA wegen falscher Beweise über Massenvernichtungswaffen“ in einen Krieg gestürzt. (ZiB 20, 26. Apr. 2013) Der Verweis auf die negativen Erfahrungen im Irak fand sich auch tags darauf im Ö1-Mittagsjournal: „(E)inen Fehler, wie vor dem Irakkrieg, als die USA ja von Chemiewaffen Saddam Husseins gesprochen haben, die dann nie gefunden wurden, einen solchen Fehler will sich Washington nicht noch einmal erlauben.“ (Mittagsjournal, 27. Apr. 2013) In der Presse fühlte sich Karim El-Gawhary an „Saddams irakische Massenvernichtungswaffen“ erinnert, die „vor zehn Jahren zwar einen Krieg ausgelöst haben, aber am Ende niemals gefunden wurden.“ (Presse, 27. Apr. 2013). Ebenfalls in der Presse meinte Oliver Grimm, der Irakkrieg sei „auf Basis von teils mutwillig gefälschten Angaben über angebliche Massenvernichtungswaffen in den Händen von Saddam Hussein“ begonnen worden. (Presse, 26. Apr. 2013) In der Kronen Zeitungbehauptete Christian Hauenstein schließlich, „die chemischen Waffen von Saddam Hussein, die damals als Kriegsgrund hatten herhalten müssen, hat es nie gegeben.“ (Kronen Zeitung, 28. Apr. 2013. Dass es diese Waffen im Irak „nie gegeben“ habe, ist einfach falsch. Sehen Sie dazu den MENA-Leserbrief „Iraks chemische Waffen“.)

So beliebt es also ist, anlässlich der Entwicklung in Syrien Parallelen zu den Geschehnissen im Irak zu ziehen, so fragwürdig ist der Vergleich aus zumindest zwei Gründen. Erstens bestanden die Informationen im Falle des Irak im Wesentlichen nicht aus gesicherten Erkenntnissen, sondern aus einer Reihe von Indizien, auf deren Basis so gut wie alle Geheimdienste dieser Welt vor zehn Jahren den falschen Schluss zogen, das Regime Saddam Husseins verfüge noch immer über Massenvernichtungswaffen. Richard Spencer bemerkte dazu im Telegraph: „The claims about Iraq’s WMDs were based on snippets of information from agents, ambiguous satellite imagery, and the like. None of the raw data was clear”.

Im Falle Syriens sieht die Sache anders aus: „This time we have a very specific claim, with scientific evidence – they have soil samples which they say have tested positive for sarin, a nerve gas.” Sowohl in Großbritannien als auch in den USA basierten die jüngsten offiziellen Meldungen über den Einsatz von Chemiewaffen auf Untersuchungen, die an Proben aus Syrien vorgenommen wurden. Karim El-Gawhary irrte, wenn er in der Presse meinte, die Geheimdienste seien uneins darüber, ob wirklich schlüssige Beweise vorlägen. (Presse, 27. Apr. 2013) Der Grund für die teils vorsichtigen offiziellen Formulierungen ist nicht etwa, dass die Untersuchungen zu mehrdeutigen Ergebnissen geführt hätten, sondern dass im Einzelnen nicht genau nachvollziehbar ist, von wann und woher die untersuchten Proben stammen, wie sie genommen wurden, und wie sie letztlich ihren Weg nach England und in die USA fanden. Darüber hinaus lässt sich aus den Proben nicht erschließen, wer für den Einsatz chemischer Waffen die Verantwortung zu tragen habe. Diese Lücken würden die Proben für ein ordentliches Gerichtsverfahren als Beweismittel unbrauchbar machen, sind aber für die übergeordnete Frage, ob in Syrien Chemiewaffen eingesetzt wurden, zweitrangig. Die von den britischen Behörden gewählte Formulierung – „begrenzte, aber überzeugende Informationen“ – trägt diesem Umstand Rechnung.

Dass das syrische Regime im Besitz von biologischen und chemischen Waffen ist, wird von niemand Ernstzunehmenden bezweifelt. Die neuen Untersuchungen der Briten und Amerikaner (und wahrscheinlich auch der Israelis, die sich diesbezüglich aber bedeckt hielten) belegen, dass manche davon auch eingesetzt wurden. Dafür gibt es auch noch einen weiteren Beleg: Einer der Vorfälle, bei dem chemische Waffen eingesetzt worden sein sollen, ereignete sich am 19. März. Gudrun Harrer schrieb darüber imStandard: „Für den Einsatz einer Substanz, die Chlorgas gewesen sein könnte, geben Regime und Rebellen einander gegenseitig die Schuld.“ (Standard, 24. Apr. 2013) Die Frage nach der Verantwortung überdeckt einen wesentlichen Punkt: Wenn beide Seiten sich gegenseitig beschuldigen, heißt das auch, dass beide Seiten den Einsatz der fraglichen Substanzen nicht bestreiten.

Der Fall Syrien unterscheidet sich zweitens in einem entscheidenden Punkt von dem des Irak vor zehn Jahren: Nach dem 11. September waren die vermuteten Massenvernichtungswaffen für die Bush-Administration Grund genug, die Konfrontation mit dem Regime Saddam Husseins zu suchen, das vor die Alternative gestellt wurde, klein beizugeben und mit der internationalen Gemeinschaft zu kooperieren, oder aber die Konsequenzen für seine Verweigerungshaltung tragen zu müssen. Die vermuteten irakischen Massenvernichtungswaffen waren somit der Grund, der letztlich zum Krieg geführt hat. Nun mag man über die Syrien-Politik der Obama-Administration geteilter Meinung sein, aber niemand wird ernsthaft den Vorwurf erheben wollen, Obama benutze die chemischen Waffen als Legitimation, um endlich in den Syrienkrieg eingreifen zu können. Seit mehr als zwei Jahren unternimmt der US-Präsident im Gegenteil alles ihm Mögliche, um sich so weit wie möglich aus dem syrischen Bürgerkrieg herauszuhalten. Nichts läge im ferner, als nach einem Interventionsgrund für einen Militäreinsatz zu suchen, den er nicht zuletzt deshalb um alles in der Welt vermeiden will, weil es heute eigentlich kaum mehr aussichtsreiche Handlungsoptionen gibt.

Mögen in den Medien also noch so oft Parallelen zwischen dem syrischen Bürgerkrieg und dem Irakkrieg 2003 gezogen werden, in der Realität gibt es weitaus mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Das gilt auch gerade für die Frage, wie mit der Existenz von Massenvernichtungswaffen umgegangen bzw. auf deren Verwendung reagiert werden könnte.

III. Chemiewaffen in Syrien (2): Muster der Eskalation

Sobald die Nachrichten über den Einsatz von Giftgas in Syrien um die Welt gingen, waren Experten gefragt, die sich mit derartigen Waffen auskennen. Sowohl der Standard als auch die Salzburger Nachrichten fanden ihren diesbezüglichen Ansprechpartner im Toxikologen und Chemiewaffen-Experten Ralf Trapp, der auf die aktuellen Meldungen aus Syrien skeptisch reagierte.

Nachdem Anfang der Woche aus dem israelischen Militärgeheimdienst auf den Einsatz von Sarin hingewiesen wurde, erklärte Trapp dem Standard: „Was ich bisher gesehen habe, lässt für mich nicht den Schluss zu, dass da chemische Waffen eingesetzt wurden.“ (Standard, 24. Apr. 2013). Auch die britischen und amerikanischen Erklärungen änderten wenig an Trapps Skepsis: „Die bisher publizierten Informationen machen eine abschließende Einschätzung sehr schwierig. … Als abschließende Beweise für den Einsatz von Giftgas reichen sie aber nicht aus.“ (Salzburger Nachrichten, 27. Apr. 2013) In beiden Interviews erklärte Trapp, warum er einen Chemiewaffeneinsatz in Syrien für unwahrscheinlich hielt. Der „Einsatz hätte keinen militärischen Sinn“ lautete schon die Überschrift im Standard. In den Salzburger Nachrichten führte er aus: „Chemische Waffen werden in der Regel sehr massiv eingesetzt.“ Dass das Regime einen begrenzten Einsatz chemischer Waffen als Testballon vornehmen könnte, um zu sehen, wie der Westen auf diese Grenzüberschreitung reagieren würde, hielt Trapp für „eher unwahrscheinlich.“ Militärisch habe das „überhaupt keinen Sinn. Sarin ist eine höchst effektive Flächenwaffe. Man würde auf einer großen Fläche sehr viele Menschen töten.“

Abgesehen davon, dass es in mehreren der Verdachtsfälle durchaus auch militärisch sinnvoll gewesen sein mag, in einem nur sehr begrenzten Umfang chemische Kampfstoffe einzusetzen (sehen Sie dazu den aufschlussreichen Artikel „Crossing the Line“ von Michael Weiss), würde ein derartig eingeschränkter Einsatzmodus auch ganz dem Muster entsprechen, das sich seit Beginn des Krieges in Syrien bemerken lässt, wie Joseph Holliday in seiner lesenswerten Analyse „Assad’s Chemical Romance“ ausführt: „Over the course of the conflict, each regime escalation has started with military necessity and expanded to brutal punishment of the Syrian population. Assad has established a clearmodus operandi for ramping up the battle without triggering international intervention: toe the line, confirm Western inaction, and then ratchet up the violence further.”

Holliday führt einige Beispiele dieses bereits einstudierten Musters an: Im Februar 2012 begannen Assad-treue Truppen die Stadt Homs mit schweren Waffen zu beschießen, nachdem es ihnen nicht gelungen war, Rebelleneinheiten von dort zu vertreiben. Anfangs erfolgte der Beschuss noch relativ vorsichtig. „Once Assad confirmed that artillery would not trigger an international response, the shelling expanded to target opposition civilian neighborhoods each day – without any attempt to retake these areas with ground forces.” Da der Beschuss von Wohnvierteln in Homs keine nennenswerten internationalen Reaktionen hervorrief, hatten bald auch andere Städte Syriens das gleiche Schicksal zu erleiden.

Als dem Regime im Juni 2012 klar wurde, dass es ihm nicht gelingen würde, die Rebellen nur mit dem Einsatz von Bodentruppen zu besiegen, traten zum ersten Mal die syrischen Luftstreitkräfte in Aktion. „Assad did not have the troops necessary to respond to rebel advances in northern Aleppo and Latakia, and therefore employed limited helicopter strikes against rebel military targets. By August of last year, Assad had confirmed that his air offensive would not trigger a U.S.-imposed no-fly zone, which allowed him to deploy Syrian Air Force jets against rebel-held neighborhoods in Aleppo, punishing an innocent population for the rebels’ gains.”

Als es den Rebellen erstmals gelang, Hubschrauber und Flugzeuge vom Himmel zu holen, wiederholte sich das Muster beim Einsatz ballistischer Raketen: „The strikes began in December 2012, with small numbers of Scud missiles fired at an explicitly military target, a base overrun by rebel forces. Once again, Assad waited to see what the reaction would be. And once again, it was Western silence. By restricting the initial targets to rebel forces and limiting the number of strikes, Assad desensitized the U.S. and international community to the introduction of a new, strategic weapon that could later be turned against the Syrian people. By January of this year, the missile strikes had expanded to include consistent attacks against densely populated urban areas in Aleppo and Damascus.”

Der begrenzte Einsatz chemischer Waffen ist nur die bislang letzte Stufe der zunehmenden Eskalation der Gewalt von Seiten des Regimes. „Much like the strategy employed with artillery, air power, and ballistic missiles, Assad’s introduction of weapons of mass destruction intends to pave the way for more lethal and wide-ranging chemical attacks against the Syrian people in the future.”

Das syrische Regime wird sich leider nicht daran orientieren, dass seine bereits mehrfach erprobte Vorgehensweise für den Chemiewaffenexperte Trapp „militärisch keinen Sinn“ ergibt und er sie daher für „eher unwahrscheinlich“ hält.

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