Im Unterschied zu den letzten Wochen, in denen vielfach ein einzelnes Land oder Ereignis die Berichterstattung österreichischer Zeitungen über den Nahen Osten dominierte, bot diese Woche ein anderes Bild. In den Ländern, über die am meisten berichtet wurde, waren es immer mehrere unterschiedliche Themen, die das mediale Interesse erweckten. Das gilt insbesondere für den Iran, dem dieses Mal eindeutig am meisten mediale Aufmerksamkeit zuteilwurde.
Im Hinblick auf die Verteilung auf die verschiedenen von MENA regelmäßig ausgewerteten Tageszeitungen wies die Berichterstattung in dieser Woche kaum nennenswerte Unterschiede zur der der Vorwoche auf:
Große Unterschiede tun sich allerdings auf, wenn man sich ansieht, welche Länder am häufigsten Eingang in die Berichterstattung fanden. Beherrschten letzte Woche noch die Vorgänge in Syrien die Auslandsteile der österreichischen Zeitungen, so wurden diese Woche nur mehr halb so viele Beiträge über das weiterhin vom brutalen Vorgehen der regimetreuen Sicherheitskräfte gegen die Opposition bestimmte Land veröffentlicht. Dafür stieg die Berichterstattung über den Iran sprunghaft an:
Für die Prominenz des Iran in österreichischen Tageszeitungen war ein Bündel verschiedener Faktoren verantwortlich. Zu einem führten iranische Raketentests sowie Manöver der iranischen Marine zu deutlichen Spannungen am Persischen Golf. (Standard, 3. Jan. 2012; Presse, 3. Jan. 2012) Dazu trugen auch die iranischen Warnungen bei, im Falle einer weiteren Verschärfung der Sanktionen gegen die iranische Ölindustrie die als internationaler Schifffahrtsweg geltende Straße von Hormus zu sperren. Und um den Konflikt mit den USA noch weiter auf die Spitze zu treiben, warnte der Iran die US-Navy, die es als ihre Aufgabe betrachtet, weltweit die Freiheit der Schifffahrt auf sensiblen Routen zu garantieren, keine Flugzeugträger mehr in den Persischen Golf zu entsenden. (Presse, 4. Jan. 2012; Standard, 4. Jan. 2012) Ebenfalls kein Beitrag zur Entspannung der Lage war die Erklärung des Regimes in Teheran, seine Wissenschaftler seien jetzt in der Lage, selbst Atombrennstäbe für einen Forschungsreaktor herzustellen. (Standard, 3. Jan. 2012; Kronen Zeitung, 3. Jan. 2012)
Während von einem „Säbelrasseln aus Teheran“ die Rede war (Kleine Zeitung, 5. Jan. 2012), einigten sich die EU-Staaten auf ein Öl-Embargo gegen den Iran, ohne sich vorerst auf einen genauen Zeitpunkt für den Beginn dieser Blockade verständigen zu können. (Kurier, 5. Jan. 2012; Standard, 5. Jan. 2012) Das setzte wiederrum eine Debatte darüber in Gang, welche Folgen ein Ölembargo oder die angedrohte Sperrung der Straße von Hormus auf die Entwicklung des Ölpreises haben könnte. (Standard, 4. Jan. 2012; Kurier, 4. Jan. 2012; Presse, 8. Jan. 2012) Die EU zeigte sich darüber hinaus „besorgt“ über die Tatsache, dass im Iran im vergangenen Jahr 600 Menschen staatlicherseits hingerichtet wurden. (Kurier, 7. Jan. 2012)
Schließlich trug auch die Exil-iranische Regisseurin Marjane Satrapi dazu bei, dass der Iran in österreichischen Medien in dieser Woche so oft Erwähnung fand: Nach dem Erfolg ihres Zeichentrickfilmes „Persepolis“ aus dem Jahre 2007 kommt jetzt mit „Huhn mit Pflaumen“ ihr zweiter Film ins Kino. (Standard, 4. Jan. 2012; Presse, 8. Jan. 2012)
Auch im Falle Ägyptens sind gleich mehrere Themen für dessen häufige Erwähnung in den österreichischen Tageszeitungen verantwortlich. Einerseits setzte sich bei der nächsten Runde der Parlamentswahlen, die wieder von sporadischen Gewaltausbrüchen begleitet wurde (Standard, 3. Jan. 2012), der Triumphzug der islamistischen Parteien ungemindert fort. (Kurier, 4. Jan. 2012; Kronen Zeitung, 6. Jan. 2012) Andererseits wurde der Prozess gegen den gestürzten Diktator Hosni Mubarak fortgesetzt, gegen den die Staatsanwaltschaft nun wegen der Erteilung des Schießbefehls gegen Demonstranten zu Beginn der Proteste die Verhängung der Todesstrafe fordert. (Kronen Zeitung, 6. Jan. 2012; Presse, 7. Jan. 2012) Weitere Themen, die nicht gerade zum guten Image Ägyptens beitragen dürften, waren die Thematisierung der Verfolgung von Christen in der islamischen Welt (Presse, 2. Jan. 2012; Presse, 5. Jan. 2012) sowie Berichte über die Aufstellung einer „Religionspolizei“ nach saudischem Vorbild, die für die Einhaltung „islamischer Moral“ auf Ägyptens Straßen sorgen soll. (Kronen Zeitung, 7. Jan. 2012)
An dritter Stelle der Nennungen befand sich in dieser Woche wieder die Türkei, wobei auch hier, wie in Ägypten, eindeutig negative Meldungen dominierten. Nach Jahren der Hochkonjunktur scheint das türkische Wirtschaftwunder zu Ende zu gehen: Die türkische Zentralbank unternimmt große Anstrengungen, um Inflation und eine Währungsabwertung zu verhindern. Der Standard fasste die Ursache der wirtschaftlichen Probleme kurz und bündig zusammen: „Das Land hat gerade im Boom 2011 massiv auf Pump gelebt.“ Nach mehr als acht Prozent im vergangenen Jahr geht der IWF für 2012 von nur mehr zwei Prozent Wachstum aus. (Standard, 5. Jan. 2012) Neben den zunehmenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten setzen sich auch die politischen Turbulenzen in der Türkei fort. Neuester Höhepunkt der Repressionswelle gegen Gegner der herrschenden islamistischen AKP war die Verhaftung des ehemaligen Armeechefs – wahrlich nicht der erste Armeegeneral, der in den letzten Jahren als Angehöriger einer angeblich existierenden Geheimorganisation wegen subversiver Tätigkeiten gegen die Regierung ins Gefängnis gesteckt wurde. (Presse, 7. Jan. 2012)
Politisch bemerkenswert war in dieser Woche aber vor allem der Türkeibesuch des Hamas-Chefs aus dem Gazastreifen: Ismail Haniyeh, der „Premierminister“ der palästinensischen Terrororganisation, wurde bei seiner Visite von Premierminister Erdogan mit Applaus und vom türkischen Parlament mit stehenden Ovationen empfangen. (Presse, 4. Jan. 2012; Kleine Zeitung, 3. Jan. 2012) Dass die Kronen Zeitung dies zum Anlass nahm, gegen einen möglichen EU-Beitritt der Türkei anzuschreiben, ist angesichts ihrer Haltung zur EU und zur Türkei nicht weiter überraschend. Aber sie hat immerhin als einzige Zeitung einem Problem einen Kommentar gewidmet („Erdogan-Türkei nicht mehr zu EU“, Kronen Zeitung, 7,. Jan. 2012), über das in Medien und Politik gerne geschwiegen wird: dass nämlich die Türkei, angeblich ein Verbündeter des Westens, ganz offen eine Terrororganisation hofiert, die Israel vernichten will und deren Antisemitismus dem der Nationalsozialisten in nichts nachsteht. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch der Kurier: Während alle anderen Zeitungen in der einen oder anderen Form über den Türkeibesuch Haniyehs berichteten, fand sich im Kurier kein einziges Wort über den türkischen Jubel für antisemitische Terroristen – einer Zeitung wohlgemerkt, die sich ansonsten bemüßigt fühlt, bei jeder noch so kurzen Meldung darauf hinzuweisen, dass Israels Siedlungen „das größte Hindernis für den Frieden“ im Nahen Osten seien. Auch so sehen doppelte Standards aus.
Folgende Beiträge sind im Laufe dieser Woche neu auf www.mena-watch.com erschienen:
Wochenbericht, 26.12.2011 bis 1.1.2012.
Alles ist relativ (II). Die ägyptischen Muslimbrüder werden immer “moderater” – zumindest in den Augen des ORF (3. Januar 2012).
Völlig weggetreten: Michael Lüders im ORF. Über einen “Experten” der besonderen Art (4. Januar 2012).
Das kommende Kalifat. Missing Link über den Chef der (laut ORF immer “moderateren”) ägyptischen Muslimbrüder, der überzeugt ist: bald kommt das Kalifat (6. Januar 2012).