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Wochenbericht, 17.9. bis 23.9.2012

Die oftmals gewalttätigen Proteste gegen einen in den USA produzierten Mohammed-Film waren auch in dieser Woche das bestimmende Thema der Nahostberichterstattung österreichischer Zeitungen. Weniger Aufmerksamkeit wurde zwei anderen Geschichten entgegen gebracht: Die Eskalation des türkisch-kurdischen Konflikts sowie ein grenzübergreifender Angriff auf Israel waren österreichischen Medien (wenn überhaupt) nur Kurzmeldungen wert. Auf Kritik an ihrer Berichterstattung reagieren letztere recht unterschiedlich.

Allgemeiner Überblick

In den vergangenen sieben Tagen erschienen in den von MENA regelmäßig ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen insgesamt 251 Beiträge mit Bezug zu Nordafrika und dem Nahen Osten:

Wochenbericht, 17.9. bis 23.9.2012

Im Hinblick auf die in der Berichterstattung genannten Länder ergibt sich folgendes Bild:

Wochenbericht Tabellen - Wochenbericht - 24Sep12 - Tab2

Die Türkei wurde in der letzten Woche im Zusammenhang mit mehreren Themen erwähnt, weshalb sie das am häufigsten genannte Land ist, obwohl sie bei den anti-westlichen Protesten aus Anlass des Mohammed-Films nur eine untergeordnete Rolle spielte. Wie schon in der letzten Woche ist auch dieses Mal auffällig, dass das mediale Interesse am Nahen Osten weitaus breiter gestreut war, als das im längerfristigen Schnitt der Fall ist. Neben den fünf in der Grafik angeführten Ländern wurden auch der Libanon, Tunesien, der Irak und Libyen jeweils in rund 10 Prozent der Beiträge erwähnt.

Wir wollen uns im Folgenden auf einige typische Verzerrungen der Nahostberichterstattung konzentrieren, die sich anhand einiger aktueller Vorgänge gut illustrieren lassen und abschließend, auch dies aus aktuellem Anlass, einmal einen Blick darauf werfen, wie österreichische Zeitungen mit Kritik umgehen.

Türkei und die PKK: Hunderte Tote – und kaum jemand nimmt davon Kenntnis

In den letzten Jahren wurde in Bezug auf die Türkei des Öfteren die Hoffnung geäußert, der seit Jahrzehnten andauernde blutige Kurden-Konflikt könne endlich zu einem Ende gebracht werden. Unter der Herrschaft der islamistischen AKP machte die Türkei tatsächlich einige Fortschritte. Um nur ein besonders symbolträchtiges Thema zu erwähnen: Lange Jahre war den rund 12 Millionen Kurden im Lande die Verwendung der kurdischen Sprache untersagt; im gerade eben erst begonnenen Schuljahr können kurdische Kinder in türkischen Schulen erstmals Kurdisch als Wahlfach belegen. (Presse, 21. Sep. 2012)

Trotz mancher Fortschritte ist die Hoffnung auf ein Ende des Kurden-Konflikt aber mittlerweile wieder dahin. Anstatt ein Ende des Blutvergießens zu erreichen, ist die Auseinandersetzung im Laufe des letzten Jahres, von unseren Medien kaum zur Kenntnis genommen, wieder dramatisch eskaliert. Etliche kurdische Politiker befinden sich, zum Teil mit haarsträubenden Vorwürfen konfrontiert, in türkischen Gefängnissen. Kaum ein Tag vergeht, an dem es in den Grenzgebieten zu Syrien und dem Irak nicht zu Angriffen kurdischer Kämpfer auf türkische Sicherheitskräfte kommt; dazu kommen noch Entführungen und immer wieder auch terroristische Angriffe auf Zivilisten. Ob hinter den vermehrten Angriffen wirklich, wie von türkischer Seite immer wieder behauptet wird, der Versuch des syrischen Regimes steht, die Lage in der Türkei zu destabilisieren, ist schwer zu beurteilen.

Umgekehrt geht die türkische Armee, die nie für eine besondere Zurückhaltung in ihrem Vorgehen gegen tatsächliche oder vermeintliche kurdische „Terroristen“ bekannt war, immer wieder unter Verwendung massiver Gewalt gegen Separatisten vor, wobei sie auch vielfach bis in das Territorium des angrenzenden Irak vordringt.

Auch in jüngster Vergangenheit wurde aus der Türkei wieder über Gewaltakte berichtet. Vor rund zwei Wochen sprengte ein Selbstmordattentäter eine Polizeistation in Istanbul in die Luft. (Kurier, 12. Sep. 2012) Letzte Woche kamen bei Sprengstoffanschlägen auf Polizei- und Armeeeinrichtungen mindestens zwölf Menschen ums Leben. Die Regierung macht dafür die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK verantwortlich. (Standard, 17. Sep. 2012; Presse, 17. Sep. 2012) Wenige Tage später attackierten kurdische Angreifer im Osten der Türkei einen Militärkonvoi, wobei zehn türkische Soldaten getötet und mindestens 70 weitere verletzt wurden. (Standard, 19. Sep. 2012) Der türkische Premier Erdogan brüstete sich dagegen damit, dass allein im vergangenen Monat 500 kurdische Rebellen getötet worden seien. (Kurier, 18. September). Bereits Anfang September sprachen internationale Beobachter von über 800 Toten in den letzten vierzehn Monaten. Insgesamt sind in dem türkisch-kurdischen Konflikt schätzungsweise bereits über 45.000 Menschen ums Leben gekommen. (Standard, 4. Sep. 2012)

Sieht man sich die mediale Berichterstattung über den türkisch-kurdischen Konflikt an, so wäre deren Charakterisierung als „zurückhaltend“ noch fast eine Untertreibung. In den vergangenen zwei Wochen etwa waren die Auseinandersetzungen in der Türkei der Kronen Zeitung nicht einen einzigen Bericht wert, in der Kleinen Zeitung war nur eine Kurzmeldung zu finden. (Kleine Zeitung, 12. Sep. 2012) Dieser weitgehende Mangel an Interesse österreichischer Medien ist aber nur Ausdruck dessen, dass allgemein dem türkisch-kurdischen Konflikt wenig Beachtung geschenkt wird. Im Vergleich mit dem allgemeinen Interesse am israelisch-palästinensischen Konflikt wird der Unterschied deutlich: Obwohl in der Türkei von Hunderten Toten allein in den letzten paar Monaten die Rede ist, gab es bislang keine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates oder des UN-Menschenrechtsrates, was so gut wie immer der Fall ist, wenn Israel sich gegen Terroristen aus dem Gazastreifen oder Attacken aus dem Libanon zur Wehr setzt; niemand fand es notwendig, eine Fact-Finding-Mission in den Südosten der Türkei zu schicken; der Wiener Gemeinderat hat noch keinen einstimmigen Beschluss gefasst, in dem das türkische Vorgehen gegen kurdische Terroristen auf das Schärfste verurteilt wurde (wie er es nach der Stürmung eines blockadebrechenden Schiffes durch israelische Soldaten im Mai 2010 getan hat); in Wien fanden keinen Demonstrationen statt, auf denen Politiker feurige Reden gegen den „türkischen Staatsterrorismus“ gehalten haben (so wie der SPÖ-Politiker Omar al-Rawi es ebenfalls im Mai 2010 getan hat, als er öffentlich verkündete, den Weg der an Bord der Mavi Marmara getöteten Dschihadisten fortsetzen zu wollen); noch niemand hat wegen des Vorgehens der Türkei in den Kurdengebieten zu einem Boykott türkischer Waren oder einem Ende der Kooperation mit türkischen Wissenschaftler und Universitäten aufgerufen – wie etwa die Sozialistische Internationale, die zuletzt, wie Christian Ortner es polemisch formulierte, „heroisch zum Boykott jüdischer Südfrüchte“ aufrief (Presse, 7. Sep. 2012); und so weiter und so fort.

Ganz kurz: Israel tötet

Dabei wäre es falsch, den Medien und der politisch interessierten Öffentlichkeit pauschal zu unterstellen, immer völlig überzogen auf Nachrichten aus Israel zu reagieren. Denn es geht auch ganz anders – dann nämlich, wenn Israel nicht als Aggressor dargestellt werden kann, sondern Opfer eines Angriffs wurde. So beispielsweise am vergangenen Freitag, als vom Sinai aus operierende Terroristen einen Angriff auf israelische Soldaten an der ägyptisch-israelischen Grenze unternahmen und dabei einen 20 Jahre alten Israeli töteten. Wie die Times of Israel berichtete, handelte es sich um einen besonders perfiden Angriff: „A preliminary IDF probe revealed that the gunmen exploited the presence of the group of African asylum seekers — to whom several of the Israeli soldiers were offering basic humanitarian assistance — in order to approach the border from their hiding-place and open fire on the soldiers”.

Dieser grenzüberschreitende Angriff einer al-Qaida-nahen Gruppe ließ Weltöffentlichkeit und österreichische Medien eher kalt: Im Standard war unter der Rubrik „Ganz kurz“, in der Nachrichten veröffentlicht werden, die nicht einmal Kurzmeldungen wert sind, zu lesen, israelische Soldaten seien an der Grenze zu Ägypten „unter Feuer genommen worden.“ Von dem ermordeten israelischen Soldaten konnte man nichts erfahren, dafür aber: „Drei schwer bewaffnete Angreifer wurden … getötet“ (Standard, 22./23. Sep. 2012) – sogar in diesem Fall kam der Standard also auf eine Formulierung, in der das Töten eine Sache israelischer Soldaten ist.

Ähnlich „ausgewogen“ war die Kurzmeldung in der Presse. Unter dem Titel „Tödlicher Sturm auf israelische Grenze am Sinai“ war zu lesen: „Israelische Soldaten haben am Freitag an der Grenze zu Ägypten drei Angreifer erschossen“, die „nach israelischen Angaben“ nach Israel eingedrungen seien. „Auch auf israelischer Seite soll es Opfer gegeben haben.“ (Presse, 22. Sep. 2012) Der „tödliche Sturm“ in der Überschrift bezog sich somit nicht auf die Ermordung des israelischen Soldaten (auf israelischer Seite „soll“ es ja nur Opfer geben haben), sondern auf den Tod der Angreifer.

Die Überschrift der Kurzmeldung im Kurier ließ überhaupt offen, wer eigentlich wen angegriffen hatte: „Israel. Angriff an der Grenze zu Ägypten“, um erst im ersten Satz zu vermelden: „Israelische Soldaten haben am Freitag drei schwer bewaffnete Angreifer an der Grenze zu Ägypten erschossen“, die eine israelische Militäreinheit attackiert hatten (Kurier, 22. Sep. 2012). Hier war selbst von nur möglichen israelischen Opfern keine Rede, sondern ausschließlich von tötenden israelischen Soldaten.

Kleine Zeitung und Kronen Zeitung berichteten überhaupt nicht über den Vorfall. Dafür räumte die Kleine Zeitung am Sonntag einem Bericht gleich zwei Seiten ein, in dem über die Mission der „EAPPI“ berichtet wurde. Falls Sie mit dieser enorm bedeutenden Organisation nicht vertraut sein sollten: Das Kürzel steht für das „Ökumenische Begleitprogramm in Israel und Palästina“, das „vom Weltkirchenrat als Antwort auf die Gewalt rund um die zweite Intifada gegründet“ wurde. Was die „zweite Intifada“ war und vom wem darin die Gewalt ausging, mit solchen Hintergrundinformationen mochte Monika Schachner ihre Leser nicht belasten. Stattdessen präsentierte sie die üblichen Anklagen über „unmenschliche Bedingungen“ und „Schikanen durch israelische Soldaten“ an den Checkpoints im Westjordanland. Dass diese Checkpoints ein Ergebnis des palästinensischen Terrors der Jahre 2000ff. sind und es Israelis in Tel Aviv oder Haifa ermöglichen, nicht mehr unter „unmenschlichen Bedingungen“ leben zu müssen, in denen jeder Einkaufsbummel oder jeder Besuch einer Cafeteria dank palästinensischer Selbstmordattentäter der letzte sein konnte, das wiederrum verschwieg Schachner in ihrer eindringlichen Erzählung. Das Muster ist ganz einfach: Man lasse einfach den historischen Kontext einer Geschichte beiseite, und schon werden aus Anstrengungen der israelischen Armee, das Leben unschuldiger Menschen zu retten, „Schikanen durch israelische Soldaten“ und „unmenschliche Bedingungen“.

Dazu gesellt sich dann noch die eine oder andere Erfindung: Die Palästinenser, so zitiert Schachner eine EAPPI-Mitarbeiterin, müssten auf dem Weg zur Arbeit die Checkpoints passieren, „die entlang der 700 Kilometer langen Mauer zwischen Israel und Palästina errichtet worden sind.“ (Kleine Zeitung, 23. Sep. 2012) Wo auch immer die Dame eine „700 Kilometer lange Mauer“ gesehen haben will, zwischen Israel und dem Westjordanland gibt es das jedenfalls nicht.

Wie Medien auf Kritik reagieren

Zu den Aufgaben von MENA gehört es, sich immer wieder mit Zuschriften an die verschiedenen Zeitungsredaktionen zu wenden und sie auf Fehler oder fragwürdige Behauptungen in ihrer Berichterstattung über den Nahen Osten aufmerksam zu machen. In der Regel reagieren österreichische Journalisten darauf sehr korrekt. Mit manchen entspinnen sich interessante Debatten, andere versuchen ihren Standpunkt zu erläutern, bedanken sich für die Hinweise oder gestehen Fehler ein, die ihnen unterlaufen sein mögen. Anhand zweier aktueller Beispiele wollen wir zeigen, wie unterschiedlich die Reaktionen ausfallen können.

Am vergangenen Mittwoch, mitten in der heißen Phase der Proteste anlässlich des Mohammed-Filmes, veröffentlichte der Standard einen Artikel, in dem er über die von Islamisten gegen die Produzenten des Films verlautbarten Mordaufrufe berichtete. Daneben druckte er ein Foto des mutmaßlichen Filmverantwortlichen ab und schrieb darunter: „Das soll Produzent Nakoula Basseley Nakoula sein.“ MENA schrieb daraufhin einen Leserbrief an den Standard, in dem die Veröffentlichung dieses Bildes angesichts der Mordaufrufe gegen Nakoula als unverantwortlich kritisiert wurde.

Der Standard antwortete darauf: „Wir haben diese Frage ausführlich diskutiert und sind zur Ansicht gekommen, dass wir hier eine Berichtspflicht erfüllen. Eine erhöhte Gefährdung des Herrn haben wir nicht erkennen können, weder ist das Bild aussagekräftig genug noch gehen wir davon aus, dass eine Veröffentlichung im Standard in der muslimischen Welt als jener Hinweis angesehen wird, auf den man dort möglichweise gewartet hat. … Wir haben uns die Frage der Gefährdung vorgelegt. Wir sind nicht in die Veröffentlichung gestolpert, es lässt sich aber diskutieren, ob wir die richtige Entscheidung getroffen haben.“

Es ist anzunehmen, dass andere Redaktionen auch vor der Frage gestanden sind, ob das Bild des Mohammed-Film-Produzenten veröffentlicht werden sollte oder nicht. Soweit uns bekannt ist, hat sich der Standard als einzige österreichische Zeitung für eine Veröffentlichung des Fotos entschieden. Einer „Berichtspflicht“ nachgekommen zu sein, ist eine etwas fragwürdige Begründung, denn es ist nicht ersichtlich, welchen Informationsgewinn die Leser des Standard von der Veröffentlichung des Bildes haben. Auf unserer Facebook-Seite stellte ein Leser die gleichermaßen kurze wie richtige Frage: „Und was bringt es dem Leser, das Foto zu veröffentlichen?“ Der Standard ist also, wenn man ihm Glauben schenken will, nach längerer Debatte zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Publikation von Nutzen ist, räumt aber ein, dass man über diese Entscheidung geteilter Meinung sein kann.

Eine ganz andere Art von Reaktion hat MENA diese Woche vom Kurier erhalten. Ebenfalls am vergangenen Mittwoch haben wir in einem Leserbrief an die Kurier-Redaktion darauf hingewiesen, dass Konrad Kramar in einem Artikel über den amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf die falsche Behauptung aufgestellt hat, der Republikaner Mitt Romney habe Präsident Obama für den Tod des amerikanischen Botschafters in Libyen verantwortlich gemacht.

Kramar antwortete darauf, die Einwände gegen seinen Artikel „mögen im Detail korrekt gewesen sein“, ignorierten aber die Reaktionen, die Romney in den USA geerntet habe. Kramar habe die Debatte über Romneys Äußerung „präzise wider(ge)spiegelt“. Die von MENA geäußerten Einwände seien also „faktisch korrekt, zur Bewertung der politischen Situation sind sie aber irrelevant.“

Diese Antwort war überraschend, denn wir hatten in unserer Zuschrift an den Kurier mit keinem Wort von der Debatte über die Statements des republikanischen Präsidentschaftskandidaten gesprochen, sondern allein auf den faktischen Fehler in dem fraglichen Artikel hingewiesen. Die Antwort Kramars, dass das zwar „faktisch korrekt“, aber trotzdem irrelevant sei, ist doch ein wenig beunruhigend: Sollten die Leser ihren Zeitungen nicht das Vertrauen entgegenbringen können, dass Fakten, unabhängig von deren späterer Interpretation, zunächst einmal wahrheitsgemäß wiedergegeben werden?

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