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Wochenbericht, 14.5. bis 20.5.2012

In den vergangenen sieben Tagen spielten Nordafrika und der Nahe Osten in der Berichterstattung österreichischer Tageszeitungen eine eher bescheidene Rolle – bis Verteidigungsminister Darabos sich am Wochenende aus heiterem Himmel heraus genötigt sah, in einem Interview mit der Presse gegen Israel vom Leder zu ziehen, die Bedrohung des jüdischen Staates und des Westens durch den Iran zu verniedlichen sowie ein Mitglied der israelischen Regierung in aller Öffentlichkeit zu beleidigen.

Allgemeiner Überblick

Darabos‘ Auftritt einmal ausgeklammert, setzte sich in der Nahostberichterstattung österreichischer Zeitungen die Tendenz der Vorwoche fort: Im Vergleich zum längerfristigen Schnitt erschienen unterdurchschnittlich wenige relevante Beiträge. Dies wurde insbesondere im Fall des Standard durch den feiertagsbedingten Wegfall einer Ausgabe nur noch verstärkt:

Wochenbericht, 14.5. bis 20.5.2012

Ursächlich für die vergleichsweise niedrige Zahl relevanter Beiträge dürfte die Latenzphase sein, in der sich die Auseinandersetzung um das iranische Atomprogramm derzeit befindet – nach den Verhandlungen der so genannten P5+1 mit dem Iran in Istanbul Mitte April scheinen alle Beteiligten auf die nächste Verhandlungsrunde zu warten, die demnächst in Bagdad stattfinden soll. Vorbereitende Gespräche dafür fanden in dieser Woche in Wien statt. (Standard, 15. Mai 2012; Kurier, 16. Mai 2012) Am Wochenende wurde bekannt gegeben, dass Spitzenvertreter der IAEO, darunter IAEO-Chef Amano, zu weiterführenden Gesprächen nach Teheran eingeladen wurden. (Kurier, 19. Mai 2012)

Im Hinblick auf die geografische Fokussierung des medialen Interesses bot die vergangene Woche ein durchaus gewohntes Bild:

Wochenbericht Tabellen - Wochenbericht - 21Mai12 - Tab2

Bevor wir uns mit den umstrittenen Aussagen von Verteidigungsminister Darabos beschäftigen, werfen wir wie üblich einen Blick auf die drei in der Berichterstattung am häufigsten erwähnten Länder.

Türkei

Obwohl die Türkei in den österreichischen Zeitungen am prominentesten vertreten war, wurde sie bei den beiden wichtigsten Themen oftmals eigentlich nur am Rande erwähnt. Dabei handelte es sich einerseits wieder einmal um die in Österreich geführte Integrationsdebatte (Presse, 16. Mai 2012; Kurier, 18. Mai 2012, Kronen Zeitung, 18. Mai 2012), und andererseits um die Schwierigkeiten des von der OMV mit-betriebenen Pipelineprojekts Nabucco, das jetzt aufgrund des Ausstiegs einstmals wichtiger Partner (Standard, 15. Mai 2012) vermutlich, wenn überhaupt, so nur in einer deutlich abgespeckten Version umgesetzt werden dürfte. (Kurier, 17. Mai 2012; Presse, 18. Mai 2012)

Nicht unerwähnt bleiben sollte schließlich noch, dass in der Türkei weiter gegen missliebige Journalisten vorgegangen wird. Dieses Mal ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen einen oppositionellen Journalisten wegen der Veröffentlichung einer Karikatur, in der hohe Militärangehörige als Schoßhunde der Regierung dargestellt wurden. (Presse, 28. Mai 2012)

Syrien

Bei den Berichten über das am zweithäufigsten genannte Land des Nahen Ostens drehte es sich um verschiedene Aspekte des andauernden Blutvergießens in Syrien.

Wie schon lange zu befürchten war, scheint der syrische Bürgerkrieg nun öfter auf den benachbarten Libanon überzugreifen (Standard, 14. Mai 2012; Kurier, 14. Mai 2012), was im Zedernstaat die Angst vor einer Eskalation der ohnehin vorhandenen massiven Spannungen zwischen den verschiedenen religiösen Bevölkerungsgruppen steigen lässt. Wer für die in der Vorwoche in Syrien verübten blutigen Anschläge verantwortlich war, die über 70 Tote und 400 Verletzte zur Folge hatten, ist heftig umstritten. Während die syrische Opposition wieder einmal das Regime der Inszenierung der Attentate bezichtig, gaben die syrische Regierung und zuletzt auch UN-Generalsekretär Ban Ki-moon der sunnitischen Terrororganisation al-Qaida die Schuld. (Presse, 16. Mai 2012)

Wie Thomas von der Osten-Sacken richtigerweise feststellt, hat das syrische Regime diesbezüglich einen bemerkenswerten Kurswechsel vollzogen: Im Jahre 2003, „als noch jeder Jihadist, der gegen die Amerikaner im Irak kämpfen wollte, Syrien als Transitland nutzen konnte und dort großzügige Unterstützung für seine Mission erhielt“, war Bashar al-Assad noch davon überzeugt, dass eine Organisation namens al-Kaida gar nicht existiere, sondern es sich dabei um eine Erfindung Washingtons handelte, um die Muslime in ein schlechtes Licht zu rücken. „Und heute? Wird noch jeder Demonstrant, der gegen Assad auf die Straße geht, von der syrischen Staatspropaganda als Terrorist und Anhänger von Al-Qaida denunziert. So ändern sich die Zeiten.“

Während der Standard berichtete, die USA würden „offenbar verstärkt bei der Bewaffnung der syrischen Rebellen“ helfen (Standard, 18. Mai 2012), bietet die syrische Opposition weiter ein trostloses Bild. Der von den Muslimbrüdern dominierte Syrische Nationalkongress (Syrian National Council/SNC), der zum wichtigsten Ansprechpartner des Auslands geworden ist, ist intern so zerstritten, dass dessen Vorsitzender Burhan Ghalioun seinen Rücktritt ankündigte. Gudrun Harrer stellte dazu fest: „Dass Bashar al-Assad wegmuss, darin stimmen alle überein. Aber keiner traut dem SNC zu, dass er die Lage danach auch nur annähernd kontrollieren kann.“ (Standard, 19./20. Mai 2012)

Bei aller Unklarheit darüber, was in Syrien nach einem möglichen Ende des Assad-Regimes passieren würde, sollte eines nicht vergessen werden: In Ägypten war nach dem Sturz Mubaraks an einem enormen Machtzuwachs der Islamisten nicht zu zweifeln. In Syrien war die Lage anders. Die syrische Opposition hat trotz aller gegen sie eingesetzten Gewalt lange den Weg des friedlichen Protests verfolgt. Sollten hier jetzt tatsächlich Terroristen von al-Qaida am Werke sein oder Islamisten die Macht übernehmen, so ist dafür einzig das Regime von Bashar al-Assad verantwortlich zu machen, das seit vierzehn Monaten alles nur Erdenkliche getan hat, um die syrische Gesellschaft in den Abgrund zu treiben – und damit den Extremisten erst das Feld bereitet hat, die es in seiner Propaganda als Verursacher der Gewalt darzustellen versucht.

Ägypten

Die Berichterstattung über Ägypten stand ganz im Zeichen der für diesen Mittwoch anberaumten ersten freien Präsidentenwahl nach dem Sturz Hosni Mubaraks. Vier Kandidaten haben sich als Favoriten herauskristallisiert: der ehemalige Außenminister und spätere Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Moussa; der ehemalige Moslembruder Monein Abul Futuh; der letzte Premier unter Mubarak, Ahmed Shafik; und Mohamed Mursi, der als offizieller Kandidat der Muslimbrüder antritt. (Standard, 18. Mai 2012) Trotz aller möglichen vorhandenen Unterschiede gibt es einen Punkt, in dem sich alle Kandidaten einig sind: Für alle ist der „Populismus“ – man könnte auch sagen: der Hass – gegen Israel „ein gefundenes Fressen im Wahlkampf“. (Standard, 19./20. Mai 2012) Im Gegensatz dazu stehen in diesem Zusammenhang die Gedanken des ehemaligen Armeegenerals Sameh Seif Elyazal, zumal wenn sie auch nur annähernd den Ansichten des nach wie vor regierenden Militärrates entsprechen sollten. Im Presse-Interview auf Israel angesprochen, antwortete er: „Es gibt einen Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel. Vergessen Sie einmal, was die Leute auf der Straße denken … Wenn es um die nationale Sicherheit geht, muss man die Dinge ausbalancieren und darf nicht immer auf das hören, was die Straße sagt.“ (Presse, 19. Mai 2012)

Das Darabos-Interview

Am meisten Aufsehen erregte in der vergangenen Woche ein Interview mit dem österreichischen Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ), das die Presse in ihrer Sonntagsausgabe veröffentlichte. (Presse, 20. Mai 2012) Darin bezeichnete er zunächst israelische Angriffsdrohungen gegen iranische Atomanlagen als „entbehrlich“, warnte vor einem „Flächenbrand“ in der Region im Falle eines Angriffs, und behauptete dann: „Es entstünde ein Solidareffekt mit dem Iran. Auch arabische Staaten, die dem Regime in Teheran kritisch gegenüberstehen, schlügen sich auf die Seite des Iran.“

An diesem Punkt des Interviews dürften sich nicht nur Experten des Heeresnachrichtenamtes, des dem Bundesheer angehörenden österreichischen Auslandsnachrichtendienstes, vor Verwunderung die Augen gerieben haben. Denn was arabische Staaten, die dem Iran „kritisch gegenüberstehen“, von militärischen Angriffen auf das iranische Atomprogramm wirklich halten, das sollte Verteidigungsminister Darabos spätestens seit den WikiLeaks-Veröffentlichungen wissen; jenen Depeschen, in denen die USA von Mitgliedern verschiedener Herrscherhäuser der arabischen Halbinsel mehrfach dazu aufgefordert wurden, der „iranischen Schlange“ den „Kopf abzuhacken“. Worauf sich Darabos‘ Behauptungen stützen, bleibt unklar. Dass aber beispielsweise Saudi-Arabien sich im Falle eines Angriffes mit dem Iran solidarisieren würde, hat er sicher nicht den Analysen des zu seinem eigenen Haus gehörenden Nachrichtendienstes entnommen.

Doch des Verteidigungsministers Ahnungslosigkeit über die Haltung eines Großteils der arabischen Staaten zum iranischen Atomwaffenprogramm war nicht der Grund, weshalb sein Interview noch einige Tage lang für Gesprächsstoff sorgen wird. Verantwortlich dafür waren vielmehr seine daran anschließenden Bemerkungen über Israel. Auf die Feststellung des Journalisten, Darabos habe „offenbar ein grundsätzliches Problem mit der israelischen Regierung“, legte der Minister los:

„Ich bin froh, dass die Kadima-Partei in die israelische Regierung eingetreten ist. Das könnte die Radikalisierung vermeiden. Insgesamt ist die israelische Politik für mich schwer nachzuvollziehen.“ Weil aber das Eingeständnis, etwas nicht zu verstehen, noch selten einen Politiker davon abgehalten hat, trotzdem darüber zu sprechen, setzte Darabos fort: „Ich sehe Verbesserungspotenzial in der Siedlungspolitik. Zudem stellt Israel offenbar Außenfeinde wie den Iran oder die Palästinenser in den Vordergrund, um von inneren Problemen abzulenken.“ Und einmal in seiner Biertisch-Außenpolitik-Analyse so schön in Fahrt gekommen, gab es jetzt kein Halten mehr: „Und wenn Sie mich so offen fragen: Ein Herr Lieberman (Außenminister, Anm.) ist für mich als Mitglied der israelischen Regierung unerträglich.“

Zu den verdutzten Mitarbeitern des Heeresnachrichtenamtes dürften sich an dieser Stelle jene des Außenministeriums gesellt haben. Wie um alles in der Welt kommt ein bislang durchgängig gescheiterter österreichischer Minister, dessen Beliebtheitswerte letzten Umfragen zufolge (profil Nr. 21/2012) noch weit hinter denen von Sympathieträgern wie Johanna Mikl-Leitner, Maria Fekter, Josef Cap, Josef Bucher oder Fritz Neugebauer liegen, dazu, ein Mitglied einer ausländischen Regierung als „unerträglich“ zu bezeichnen? Wie kommt Darabos überhaupt auf die Idee, von der Zusammensetzung einer ausländischen Regierung derart betroffen sein zu können, dass sie ihm nichts weniger als „unerträglich“ sei? Die Anmaßung ist umso erschreckender, als Darabos bislang noch keinen anderen Politiker der Welt auf vergleichbare Weise abqualifiziert hat. Nie hat er die Herrschaft eines Ali Khamenei, eines Kim Jong-il, eines Alexander Lukaschenko oder eines Ramsan Khadyrow als „unerträglich“ bezeichnet. Als Muammar al-Gaddafi den 40. Jahrestag seiner Machtergreifung feierte, schickte Darabos zu Ehren des Diktators gar eine Kapelle des österreichischen Bundesheeres nach Libyen.

Wer Diktatoren wie Gaddafi die Ehre erweist, aber demokratisch gewählte Politiker in Israel als „unerträglich“ empfindet, dessen moralischer und politischer Kompass hat offenkundig einen ernsthaften Schaden. Wer sich in der Zurschaustellung seines Problems und in Überschreitung seiner Kompetenzen darüber hinaus aber noch in die Angelegenheiten eines fremden Staates einmischt, die ihn nichts angehen, der sollte sich vielleicht doch einmal überlegen, ob er geeignet ist, ein verantwortungsvolles Amt zu bekleiden. Wem schließlich zu den ständigen gegen einen Staat (Israel) ausgesprochenen Vernichtungsdrohungen eines anderen, nach Atomwaffen strebenden Staates (Iran) sowie zur Bedrohung durch Terrorismus und zigtausende Raketen (durch die Palästinenser) nichts Besseres einfällt, als darin eine Ablenkung von „inneren Problemen“ zu sehen, der ist zumindest als Verteidigungsminister völlig fehl am Platze.

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