WOCHENBERICHT, 14.1. BIS 20.1.2013

I. Allgemeiner Überblick, der Krieg in Mali und doppelte Standards

In den von MENA systematisch ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen erschienen in der letzten Woche insgesamt 287 Beiträge mit Bezügen zu Nordafrika und dem Nahen Osten:

WOCHENBERICHT, 14.1. BIS 20.1.2013

Ein überaus ungewohntes Bild bietet die folgende Grafik, in der die Länder zu sehen sind, die in der Berichterstattung am häufigsten genannt wurden:

WOCHENBERICHT, 14.1. BIS 20.1.2013

Die ungewöhnliche Präsenz von Algerien und Libyen ist natürlich auf die französische Militärintervention gegen Islamisten in Mali und die anschließende Geiselnahme von hunderten Mitarbeitern einer Erdgasanlage im algerisch-libyschen Grenzgebiet zurückzuführen. Von dem Terroranschlag war auch ein österreichischer BP-Mitarbeiter betroffen, der sich auf dem Betriebsgelände vor den Geiselnehmern verstecken konnte. (Kurier, 20. Jän. 2013; Kronen Zeitung, 20. Jän. 2013) Wie viele Menschen bei der Geiselnahme bzw. während der Befreiungsaktionen der algerischen Armee ums Leben kamen, ist nach wie vor unklar. Deutlich ist dagegen mittlerweile, dass die verantwortliche Terrorgruppe „Die mit Blut unterzeichnen“ des Algeriers und Ex-Afghanistankämpfers Mokthar Belmokhtar (Standard, 19./20. Jän. 2013) die Attacke auf das Gasfeld monatelang geplant hatte (Presse, 20. Jän. 2013) und nicht als spontane Reaktion auf die französische Intervention in Mali unternahm.

Interessant ist, dass der Einsatz der französischen Armee von den Kommentatoren österreichischer Zeitungen in ungewohnter Einigkeit als richtig oder zumindest notwendig bezeichnet wurde. In der Presse warnte Christian Ultsch: „Die radikal-islamistische Herausforderung, der sich Frankreichs Armee in Mali stellt, ist nicht auf den westafrikanischen Staat beschränkt.“ Im Zuge der Aufstände in vielen arabischen Ländern hätten „Jihadisten in der Region ihre Nischen gesucht und gefunden“, durch den Krieg in Libyen seien sie zu Geld und Waffen gekommen. Frankreich verdiene jetzt Unterstützung, denn „sein Fronteinsatz gegen den aggressiven Islamismus ist für ganz Europa relevant.“ Dass man sich in Österreich „aus populistischen Gründen“ der Hilfe für Frankreich verweigert, sei „beschämend“. (Presse, 18. Jän. 2013)

In der Kleinen Zeitung versuchte Stefan Winkler darzulegen, „(w)arum der Krieg in Mali auch unser Krieg ist“. Der islamistische Vormarsch in Mali habe die Europäer aus ihrem „außenpolitischen Wolkenkuckucksheim“ gerissen, aus dem heraus sie die Umwälzungen in der arabischen Welt betrachtet hätten. Die „arabische Revolution“ habe wenig mit der „romantischen Vorstellung vom geknechteten arabischen Volk, das die Fesseln der Tyrannei abschüttelt“, zu tun gehabt. In dem Machtvakuum, das durch den Sturz der Diktatoren entstanden sei, hätten sich „vom Sinai über Libyen bis in den Maghreb und die Sahara militante islamistische Gruppierungen“ festsetzen können. „Europa darf Afrika nicht den Islamisten überlassen“ und müsse schon wegen der „eigenen Sicherheit“ eingreifen. (Kleine Zeitung, 19. Jän. 2013)

Ganz in diesem Sinne argumentierte auch Walter Friedl im Kurier: Die EU müsse „Paris auch mit Truppen helfen“. Das Geiseldrama in Algerien habe gezeigt: „Der Anti-Terror-Kampf betrifft ganz Europa“. Das „Herumeiern“ der europäischen Außenminister sei „blamabel und unerträglich“. Die „Radikal-Islamisten“ in der Sahel-Zone würden „nur die Sprache der Gewalt verstehen“. Sie seien bestens vernetzt und ausgerüstet. Sicher, der Kampf gegen sie sei „kein Spaziergang“, aber sie einfach gewähren lassen und ein „Afrikanistan“ akzeptieren sei kein gangbarer Weg. Europa müsse „die Reihen schließen, gemeinsam marschieren“ und mit afrikanischen Partnern zusammen versuchen, „dem terroristischen Spuk ein Ende zu bereiten.“ (Kurier, 18. Jän. 2013)

Lässt man einmal die martialische Rhetorik derartiger Verlautbarungen beiseite, muss man die Frage stellen, wo die von Friedl so eindringlich propagierte moralische und politische Klarheit bleibt, sobald es nicht um ein drohendes „Afrikanistan“ in der Sahelzone geht, sondern um das höchst real existierende „Hamastan“ im Gazastreifen? Wieso haben viele Kommentatoren kein Problem, die Notwendigkeit des „Anti-Terror-Kampfes“ in Mali oder Algerien zu erkennen, während sie in aller Regel Israels Versuche, „dem terroristischen Spuk“ entgegenzutreten, irgendwo zwischen ‚schlimmer Fehler‘ und ‚Verbrechen‘ verorten? Wo bleibt die Einsicht in das Wesen islamistischen Terrors, wenn es nicht um eine Geiselnahme auf einem algerischen Gasfeld, sondern um Palästinenser geht, die sich unter ‚Allahu akbar‘-Rufen vor einer Diskothek in Tel Aviv in die Luft jagen, eine Cafeteria in Haifa sprengen oder Raketen aus dem Gazastreifen in der Hoffnung abfeuern, ein möglichst großes Blutvergießen unter der israelischen Bevölkerung anzurichten?

II. Vor den Wahlen in Israel

Viele österreichische Zeitungen berichteten in der vergangenen Woche über die Schlussphase des israelischen Wahlkampfes vor der morgen stattfindenden Parlamentswahl. Qualitativ war dabei so ziemlich alles vertreten, von der nüchternen und seriösen Berichterstattung Ben Segenreichs im Standard (16. Jän. 2013; 18. Jän 2013) bis hin zur Kronen Zeitung, die sich zum allgemeinen Urteil genötigt sah, dass „haarsträubende Fehler … in der israelischen Politik üblich sind“ – offenbar im Unterschied zur Politik anderer Länder wie Österreich. (Kronen Zeitung, 19. Jän. 2013) Aber die Krone hatte auch knallharte Fakten zu bieten: In einem Artikel über „Israels neue(n) Rechtsaußen“ glaubte sie mit dem Wissen aufwarten zu können, der „Senkrechtstarter“ des israelischen Wahlkampfs, Naftali Bennett, komme zwar aus der Siedlerbewegung, wohne aber „in Raanana nordwestlich von Tel Aviv“ (ebd.) – eine überraschende Behauptung insofern, als sich „nordwestlich von Tel Aviv“ ausschließlich das Mittelmeer befindet.

Aufschlussreicher war da schon die Wahlkampfberichterstattung in der Presse. Die hatte zwar auch mit den Fakten ihre liebe Mühe – so bezeichnete sie die von Ex-Außenministerin Livni gegründete Partei „Hatnua“ an einem Tag gleich mehrfach als „Hatuna“ (Presse, 18. Jän. 2013) –, bot ihren Lesern dafür aber am Sonntag einen interessanten Beitrag ihrer Israel-Korrespondentin Susanne Knaul über die Frage, „(w)arum Israel nach rechts rückt“. (Presse, 20. Jän. 2013) Knaul begann ihre „persönliche Betrachtung“ mit der Aussage, „für Frieden mit den Palästinensern interessiert sich kaum noch jemand“. Sie präsentierte die Position des oben bereits erwähnten Naftali Bennett, des Chefs der Partei „HaBayit Hajehud“, der aus seiner Ablehnung einer Zwei-Staaten-Lösung kein Geheimnis macht und offen für eine Annexion von rund 60 Prozent des Westjordanlandes eintritt. Wenn man den Umfragen glauben kann, wird Bennetts Partei morgen bis zu 15 Mandate erreichen und damit zur drittstärksten Kraft im israelischen Parlament aufsteigen. Doch ist damit keineswegs gesagt, dass die Israelis kein Interesse mehr an einem Frieden hätten. Vielmehr trifft zu, was Knaul selbst schreibt: „Immer weniger glauben an Frieden mit den Palästinensern.“ [Hrvg. v. MENA]

Das hier vorliegende Missverständnis ist charakteristisch für einen großen Teil der österreichischen Berichterstattung über die politische Entwicklung in Israel: Die Desillusionierung über den Friedensprozess, die traurige Einsicht, dass keine noch so großen israelischen Zugeständnisse zu einem Frieden mit den Palästinensern führen würden, wird oftmals als Ausdruck dessen gesehen, dass die Israelis keinen Frieden mehr wollten. Doch widerspricht dies allen empirischen Befunden: Trotz all der Rückschläge, trotz der Jahre der verheerenden Selbstmordanschläge und des ständigen Raketenbeschusses, trotz der ungebrochenen anti-israelischen Hetze auf palästinensischer Seite, trotz der de facto Aufkündigung des Oslo-Friedensprozesses durch Mahmud Abbas‘ Gang zu den Vereinten Nationen, würden aktuellen Umfragen zufolge nach wie vor zwei Drittel der Israelis einem Friedensvertrag und der Schaffung eines palästinensischen Staates zustimmen, darunter beispielsweise auch 57% der Likud-Wähler. Lee Smith fasst zusammen: „As much as Israelis want peace with the Arabs, they are skeptical of that happening anytime soon.”

Knaul schreibt zwar, „(d)er Erfolg der Rechten beruht auf dem Misserfolg der bisherigen Verhandlungen“, beklagt aber auf der anderen Seite, dass keine der in der Knesset vertretenen Parteien eine „ernsthafte Friedenspolitik“ verfolge. Sie schreibt, „(s)eit den Verhandlungen in Camp David im Sommer 2000 gab es in Jerusalem keine Regierung mehr, die den Friedensprozess ernsthaft vorangetrieben hätte“, sagt aber nicht klar und deutlich, was nach Camp David und in den folgenden Jahren geschehen ist. Eine Ewigkeit sei es her, dass Ehud Barak 1999 „neue Hoffnungen auf neue Verhandlungen“ geweckt habe. Barak habe seine Wähler, die auf die Straße gegangen waren, um ihn „in seiner Friedenspolitik zu bestärken“, enttäuscht: „Kein Frieden mit Syrien und kein Frieden mit den Palästinensern.“ Dass beides nicht an Barak gescheitert ist, sondern am Nein Assads bzw. Arafats ist Knaul nicht der Erwähnung wert. „Die Palästinenser, die nicht vom Widerstand abließen“ – so lautet die Formulierung, mit der Knaul den von Arafat im Herbst 2000 losgetretenen Terrorkrieg gegen Israel im Nebulösen belässt –„waren für Israel so wenig ein Partner wie umgekehrt Israel, das nicht vom Siedlungsbau abließ“, beide seien für das Scheitern verantwortlich – weil ja tausendfacher Mord und das Bauen von Häusern, bei dem niemand zu Schaden kommt, offenbar auf einer Stufe stehen und gleichermaßen den Frieden behindern würden.

III. Mursis Antisemitismus

Nach einer beachtlichen zeitlichen Verzögerung haben auch österreichische Medien die antisemitischen Hetztiraden des ägyptischen Präsidenten Mursi zur Kenntnis genommen. So titelte die Presse: „USA empört über Mursis antisemitische Hetzparolen“. (Presse, 17. Jän. 2013) Hat sich damit endlich ein realistischeres Bild über den Charakter der islamistischen Muslimbrüder durchgesetzt? Wohl kaum: „Mursi, der heute für einen Dialog mit Israel eintritt“, fantasiert die Presse über den ägyptischen Präsidenten, der mit buchstäblich keinem einzigen Wort je für einen „Dialog mit Israel“ eingetreten ist. Die Wortwahl Mursis, so war zu lesen, sei einem Sprecher des US-Außenministeriums zufolge „zutiefst beleidigend“; der Präsident müsse die Aussagen „umgehend zurücknehmen.“ (Ebd.)

Wer so über die Hetze Mursis spricht, hat nicht die geringste Ahnung davon, was Ideologie heißt. Wenn man eine unbedachte Aussage macht, von der sich jemand beleidigt fühlt, kann man diese zurücknehmen. Mursis antisemitische Ausfälle können aber nicht als „Beleidigung“ verstanden werden: Die Muslimbrüder sind seit ihrer Gründung in den 1920er-Jahren eine durch und durch antisemitische Gruppierung. Mursi hat nichts anderes getan, als Überzeugungen ungeschminkt von sich zu geben, die zum ideologischen Grundgerüst seiner Bewegung gehören und denen er selbst seit Jahrzehnten anhängt. Die Annahme, man könne derartige Aussagen einfach „zurücknehmen“, ist lächerlich.

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