Wochenbericht, 13.4. bis 19.4.2015

In dieser Ausgabe:

I. Allgemeiner Überblick
II. Der Papst, der Massenmord an den Armeniern und der Vorwurf der Islamophobie
III. Alle Jahre wieder: Die Formel 1 in Bahrain
IV. Präsentation der „Analysen 2014/2015“

I. Allgemeiner Überblick

In der vergangenen Woche erschienen in den von MENA systematisch ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen 342 Beiträge (zuletzt: 270) mit Bezugnahmen auf den Nahen Osten und Nordafrika:

Wochenbericht, 13.4. bis 19.4.2015

Die hervorstechend hohe Zahl an Beiträgen in der Presse ist u.a. auf die Sonntagsausgabe zurückzuführen, in der sich eine Vielzahl von Artikeln mit dem Genozid an den Armeniern vor 100 Jahren und dessen bis heute spürbaren Nachwirkungen beschäftigte. Dass dieses Thema die Nahostberichterstattung der Zeitungen dominierte, wird auch anhand der Übersicht über jene Länder deutlich, die am häufigsten erwähnt wurden:

Wochenbericht, 13.4. bis 19.4.2015

In den insgesamt 128 relevanten Beiträgen (zuletzt: 138) der wichtigsten Fernseh- und Radionachrichtensendungen des ORF wurde auf folgende Länder am häufigsten Bezug genommen:

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II. Der Papst, der Massenmord an den Armeniern und der Vorwurf der Islamophobie

In einer Messe im Petersdom war Papst Franziskus laut Standard „(d)eutlicher als je zuvor“ auf die Massaker des Osmanischen Reiches an den Armeniern vor 100 Jahren zu sprechen gekommen. Im vergangenen Jahrhundert habe es „drei gewaltige und beispiellose Tragödien“ gegeben, die erste von ihnen, die als „erster Völkermord des 20. Jahrhunderts“ gelte, habe das armenische Volk betroffen. Die klaren Worte des Papstes kamen nicht überraschend, hatte er, damals noch als Erzbischof von Buenos Aires, den Massenmord doch schon im Jahre 2006 als „das größte jemals von der ottomanischen Türkei begangene Verbrechen gegen das armenische Volk und die Menschheit insgesamt“ bezeichnet und kurz nach seiner Ernennung zum Papst im Juni 2013 in diesem Zusammenhang bereits vom „ersten Genozid des 20. Jahrhunderts“ gesprochen. (Standard, 13. Apr. 2015)

Die Reaktionen aus der Türkei ließen nicht lange auf sich warten und fielen so aus, wie es nicht anders zu erwarten war. Dass der Apostolische Nuntius in Ankara umgehend ins Außenministerium zitiert (Presse, 13. Apr. 2015) und der türkische Botschafter im Vatikan zurückgerufen wurden, fiel noch in den Rahmen diplomatischer Gepflogenheiten. Von den wütenden Äußerungen jedoch, die in der Folge von der Staatsführung abwärts getätigt wurden, kann man das nicht ohne weiteres behaupten. Präsident Erdogan rügte den Papst und warnte ihn davor, diesen Fehler noch einmal zu begehen. Er, der selbst in aller Regel kaum Hemmungen hat, seine Weltsicht mit kruden Geschichtsklitterungen zu untermauern, meinte nun: „Wenn Politiker und Geistliche die Arbeit von Historikern übernehmen, kommt Unsinn heraus.“ (Kurier, 15. Apr. 2015)

Ministerpräsident Ahmet Davutoglu warf Franziskus vor, den in Europa wachsenden Rassismus zu befördern und Türken wie Muslime kollektiv zu beschuldigen. (Presse, 14. Apr. 2014) „Religiöse Führer“, so Davutoglu weiter, „sollten kein Klima des Konflikts und des Hasses schüren, sie sollten sich für Frieden und gegen Islamophobie einsetzen.“ (Ö1-Mittagsjournal, 13. Apr. 2015) Die in Rom formulierten Worte seien „(u)nglücklich gewählt, falsch und widersinnig“ gewesen.

Der Präsident des türkischen Parlaments warf dem Papst „Verleumdung“ und die Beteiligung an einer „Schmierenkampagne“ vor. (Standard, 14. Apr. 2015) Der Chef des staatlichen türkischen Religionsamtes protestierte gegen die „haltlosen Vorwürfe“, die sich gegen die „Moral des Zusammenlebens“ richteten. (Presse, 14. Apr. 2015) Es sei „erschütternd, dass politische Lobbys ihre Aktivitäten jetzt auch auf religiöse Institutionen ausgedehnt“ hätten. Der türkische Botschafter in Österreich sekundierte: „Die Öffentlichkeit wird mit armenischer Propaganda bombardiert.“ (Kurier, 15. Apr. 2015)

Die meisten türkischen – und keineswegs nur die regierungsnahen – Medien stimmten in die Empörung über den Papst mit ein. Ein nationalistisches Oppositionsblatt sprach von der „armenische(n) Lüge ‚Völkermord‘“, eine islamistische Tageszeitung forderte: „Kümmere dich um deinen Kram, Papst.“ (Standard, 14. Apr. 2015)

Der Staub hatte sich noch kaum gelegt, als das EU-Parlament am Mittwoch eine Entschließung verabschiedete, in der die Türkei u.a. dazu aufgefordert wird, den „Völkermord an Armeniern vor 100 Jahren im Osmanischen Reich anzuerkennen.“ Erneut kamen aus der Türkei heftige Reaktionen. Präsident Erdogan erklärte die Sache für irrelevant und meinte in Bezug auf das EU-Parlament: „Welche Entscheidung es auch trifft, sie wird zum einen Ohr rein- und zum anderen rausgehen.“ Für die Türkei sei es „niemals möglich, eine solche Schuld anzuerkennen.“ (Salzburger Nachrichten, 16. Apr. 2015)

Von besonderer Aggressivität war eine Erklärung geprägt, die vom türkischen Außenministerium veröffentlicht wurde. Das EU-Parlament, so begann das Statement, sei bekannt dafür, immer neue Hindernisse für die türkisch-europäischen Beziehungen zu „erfinden“ und versuche ein weiteres Mal, die Geschichte im Hinblick auf die Ereignisse von 1915 „umzuschreiben“. In der Entschließung vom 15. April würden bloß „die anti-türkischen Klischees der armenischen Propaganda“ wiederholt. Der Versuch, Geschichte und Recht zu „verstümmeln“ sei nicht ernst zu nehmen; dass nur 42 Prozent der Europäer an der Wahl zum EU-Parlament 2014 teilnahmen, zeige die geringe Bedeutung dieser Institution. Die EU sei einst basierend auf Werten wie Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten gegründet worden. Die Entschließung des EU-Parlaments, so schulmeisterte das Außenministerium eines Landes, in dem Versöhnung und Menschenrecht zunehmend mit Füßen getreten werden, habe damit nichts zu tun:

„We wish success to the politicians who supported the adoption of the resolution today in the European Parliament, in their entrenched partnership with those who have nothing to do with European values and feeding on hatred, revenge and the culture of conflict.“

Die Grundlage für den „einseitigen” und die Beziehungen zwischen der Türkei und der EU beschädigenden Zugang seien „religiöser und kultureller Fanatismus“ sowie Gleichgültigkeit gegenüber demjenigen, der als „anders“ erachtet werde.

Waren diese Belehrungen schon von einer beachtlichen Arroganz geprägt, so machte sich das türkische Außenministerium nun daran, die Opfer der von ihm geleugneten Verbrechen zu verhöhnen:

„As for 1915 events, it is evident that Turkey has assiduously fulfilled its duty with regards to memory. We hope that Armenia also achieves such a level of maturity as soon as possible.“

Die Mitglieder des EU-Parlaments, so schloss die Erklärung, sollten sich besser um die Vergangenheit ihrer eigenen Länder, insbesondere um die Verbrechen des Ersten und Zweiten Weltkrieges, kümmern, bevor sie sich mit den „Angelegenheiten von 1915“ beschäftigten.

Selbst für jene, die „mit dem sonst harten Ton der türkischen Diplomatie vertraut sind, waren es besonders kräftige Worte“, bemerkte der Standard zu dem Statement aus Ankara. Was das türkische Außenamt besonders erbost haben dürfte: Die Entschließung des EU-Parlaments wurde mit einer überwältigenden Mehrheit von 554 Pro- zu 13 Gegenstimmen (bei 44 Enthaltungen) angenommen, was beinahe einer Einstimmigkeit gleichkam. (Standard, 17. Apr. 2015)

Das lautstarke Wettern von Erdogan, Davutoglu & Co. gegen Franziskus und die EU hatte, wie die Presse analysierte, zum Teil innenpolitische Motive: Nur zwei Monate vor den Parlamentswahlen am 7. Juni sahen die regierenden Islamisten „die Chance, sich vor den Wählern als Opfer zu präsentierten: ‚Die Türkei wird von äußeren Feinden attackiert‘, lautet die unausgesprochene Parole.“ Seit ihrer Gründung 2001 habe sich die AKP stets als Verfolgte inszeniert – zuerst von Säkularisten, dann vom Militär, zuletzt von den lange Zeit verbündeten Anhängern Fetthullah Gülens, denen vorgeworfen wird, „den Staatsapparat zu unterwandern, um die AKP zu stürzen.“ Die Papstäußerungen ließen sich in das Bild einer Regierung einpassen, „die sich unfairen Attacken ausgesetzt fühlt. Der Verweis auf Islamfeindlichkeit in Europa rundet den Eindruck ab“. (Presse, 14. Apr. 2015) Meinungsumfragen zufolge droht der AKP, bei den kommenden Parlamentswahlen Stimmen zu verlieren und damit ihr Ziel zu verfehlen: eine Mehrheit zu gewinnen, die groß genug ist, um die Verfassungsänderung durchzusetzen, die die zunehmend diktatorisch ausgeübte  Macht des Präsidenten auch rechtlich absegnen würde.

Als „Präsidialsystem“ versuchen die AKP und ihre westlichen Apologeten die angestrebten Änderungen zu verkaufen, doch lässt Erdogan keinen Zweifel daran, dass sein erwünschtes Modell nur wenig mit einem Präsidialsystem amerikanischen Musters mit seinen eingebauten Checks & Balances gemein hätte. Vielmehr spreche Erdogan, wie Berhan Senatalar von der oppositionellen CHP im Standard erläuterte, „von einer ‚türkischen‘ Art des Präsidentensystems und erklärt, es würde so zugeschnitten, dass es zu unserer Vergangenheit und zu unserer Kultur passt – was nicht viel aussagt. Was Erdogan offensichtlich vorschwebt, ist ein autoritäres, jenem Putins ähnliches Regime.“ (Standard, 9. Apr. 2015) Um eine dementsprechende Verfassungsänderung im Alleingang durchsetzen zu können, bräuchte die AKP mehr als 367 der 550 zu vergebenden Sitze, mit mehr als 330 könnte sie zumindest ein Referendum über eine neue Verfassung erzwingen. Bei den letzten Parlamentswahlen gewann sie mit knapp 50 Prozent der Stimmen nur 327 Sitze. (Standard, 26. März 2015) Nun könnte sie versuchen, den Streit um den Massenmord an den Armeniern zu einem Wahlkampfthema zu machen, um im nationalistischen Lager nach Stimmen zu fischen und so doch noch rund vier Prozent dazuzugewinnen und die für eine Verfassungsänderung nötigen Mandate zu erreichen. (Presse, 17. Apr. 2015)

Sosehr aber der Parlamentswahlkampf eine Rolle spielen mag, so falsch wäre es, die Auseinandersetzung darauf zu reduzieren. In der Türkei ist es heutzutage, anders als in noch nicht lange vergangenen Zeiten, möglich, eine Debatte über die Ereignisse vor hundert Jahren zu führen. Ein „Wendepunkt“, berichtete Jörg Winter im Morgenjournal, sei die Ermordung des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink gewesen, der im Jänner 2007 in Istanbul auf offener Straße von einem 16-Jährigen erschossen wurde, weil er aus der Sicht des Mörders die Türkei beleidigt habe. „Hrant Dink hat unermüdlich versucht, das Thema zu detabuisieren, sein Mord hat die Nation geschockt und Zehntausende spontan auf die Straßen getrieben.“ Aber bei aller Öffnung, die es in der türkischen Zivilgesellschaft gegeben habe, solle man „nicht herumreden: Auch die Öffentlichkeit, die hat die Scheuklappen längst nicht abgelegt.“ Viele Türken hielten den Vorwurf des Völkermords „einfach für absurd“, weil sie genau das seit Jahrzehnten gelehrt bekommen hätten. „Dass die moderne türkische Republik nach dem Untergang des Osmanischen Reichs eigentlich auf einem enormen Unrecht gegründet worden ist, das zu akzeptieren, das ist für viele in der Türkei unerträglich.“ (Ö1-Morgenjournal, 16. Apr. 2015)

Auch weil das Thema eben weit über den aktuellen Wahlkampf hinaus Bedeutung hat, setzte die türkische Regierung alle Hebel in Bewegung, um über den Völkermord an den Armeniern an dessen 100. Jahrestag keine Debatte aufkommen zu lassen sowie dessen Thematisierung so weit wie möglich an den Rand zu drängen – und erreichte damit, wie in vergleichbaren Fällen – Stichwort Schlussstrichforderungen bei der Aufarbeitung der Vergangenheit in Österreich und Deutschland – üblich, das genaue Gegenteil. Die Versuche der türkischen Diplomaten im Vatikan, den Papst von der Verwendung des Begriffs Völkermords abzubringen (Presse, 13. Apr. 2015), erwiesen sich als nutzlos. Und auch die Ansetzung einer offiziellen Jubiläumsfeier am 24. April für den Sieg des Osmanischen Reiches in der Schlacht von Gallipoli vermochte nicht, wie wohl erhofft, die Gedenkfeiern für den Beginn des Massenmordes an den Armeniern am selben Tage zu überdecken.

Den Kommentaren in österreichischen Medien nach zu urteilen, haben die Debatte über die Morde und das allgemein als unwürdig erachtete Verhalten der Staatsführung dem Image der Türkei deutlich geschadet. In der Presse, die dem „geleugnete(n) Genozid“ in ihrer Sonntagsausgabe einen Schwerpunkt widmete, bezeichnete Christian Ultsch das Verhalten von Erdogan & Co. schlicht als „schamlos“. Anstatt das vom Osmanischen Reich verantwortete Leid der Armenier anzuerkennen, „inszenieren sich die Nachfolger der Täter als Opfer einer internationalen Verschwörung“. Dabei offenbare die türkische Führung einen „bedenklichen Verfolgungswahn“:

„Offenbar sind Präsident Erdoğan und seine Gefolgsleute wirklich überzeugt davon, dass ihnen die halbe Welt, die westliche zumal, feindlich gesonnen sei. Jede unerwünschte Kritik und alles, was auch nur im Entferntesten als antitürkisch missverstanden werden kann, wird da lustvoll als Bestätigung dieser paranoiden Grundthese herangezogen.“ (Presse, 19. Apr. 2015)

Im Standard bemerkte Eric Frey, dass die „Kultur der Erinnerung und Vergangenheitsbewältigung“ eine „tragende Säule des modernen Europa (sei), mit Auschwitz als geistigem Kristallisationspunkt.“ Genau das mache den Streit um den Massenmord an den Armeniern „so emotionell und explosiv“. Die Leugnung des Völkermords sei „ein Fundament des modernen türkischen Staates“, die nationale Identität der Türkei beruhe „auf der Chimäre einer ethnisch reinen Bevölkerung. Da in der Türkei weder Kurden noch Armenier existieren dürfen, könne es auch keinen Völkermord gegeben haben.“ Gerade Erdogan und die AKP, die nicht in der kemalistischen Tradition stünden, hätten die Gelegenheit gehabt, die „nationale Neurose“ zu überwinden, und es habe einige Zeit lang auch gute Ansätze in diese Richtung gegeben. Dass all dies heute zum Stillstand gekommen sei, habe „viel mit Erdogans autoritärer Führung und seiner wachsenden antieuropäischen, antiwestlichen und antisemitischen Geisteshaltung zu tun.“ Beim Streit um die Bezeichnung des Massenmordes als Genozid gehe es um mehr als bloß Symbole und Gesten: „Hier geht es um die grundsätzliche Frage, ob sich die Türkei als Teil der westlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Welt sieht oder einen nationalen Sonderweg anstrebt“. Im Hinblick auf die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sei klar: „Genauso, wie kein Land der Union heute die Mitschuld an Judenverfolgungen und anderen Verbrechen leugnen darf, ist die Türkei erst reif für die EU, wenn sie die Verantwortung für den Armenier-Genozid ohne Wenn und Aber übernimmt.“ Da dies wohl aber noch Jahrzehnte dauern werde, liege auch ein möglicher EU-Beitritt der Türkei „in weiter Ferne.“ (Standard, 17. Apr. 2015)

Gerade dieser letzte Punkt war es auch, der, wenig überraschend, in der Krone in den Vordergrund gerückt wurde. Sollte es noch Zweifel an der EU-Untauglichkeit der Türkei gegeben haben, so Krone-Außenpolitikchef Kurt Seinitz, so seien diese mit dem „Krach mit Papst Franziskus“ ausgeräumt. (Kronen Zeitung, 18. Apr. 2015) Tags darauf fügte die im vergangenen Sommer durch den ORF als „Wut-Oma“ bekannt  gewordene Frieda Nagl hinzu: „Wir haben unsere Holocaust-Geschichte vielleicht auch noch nicht gründlich genug aufgearbeitet“, aber bei einer völligen Verdrängung dieses Kapitels österreichischer Vergangenheit „wäre bestimmt nichts Gutes dabei herausgekommen“. Im Hinblick auf die Türkei meinte sie: „Ein Land, das so mit seiner Vergangenheit umgeht, kann kein Partner sein, weder in der EU noch sonst wo“ (Kronen Zeitung, 19. Apr. 2015) – wenn es dazu dient, dem EU-Beitritt der Türkei einen Riegel vorzuschieben, bekennt man sich also sogar in der Krone zur Vergangenheitsbewältigung. Nagl lag freilich ein anderer Punkt noch mehr am Herzen: „(V)or allem sollte Erdogan unseren Papst in Ruhe lassen.“ (Ebd.)

Ein Aspekt des Streits zwischen der türkischen Führung und dem Papst bzw. dem EU-Parlament wurde in österreichischen Medien kaum gewürdigt: Die Vorwürfe des Rassismus und der Islamophobie wurden in den Kommentaren zum Thema kaum angesprochen, obwohl gerade sie durchaus erhellend waren.

Ein kleiner Rückblick: Im Winter 2011 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und Frankreich, weil das französische Parlament ein Gesetz verabschiedet hatte, in dem die Leugnung anerkannter Völkermorde, darunter eben auch jener an den Armeniern, unter Strafandrohung gestellt wurde. Markus Bernath bezeichnete damals als die wesentlichen Merkmale der türkischen Reaktionen als „drohen, auf den Tisch hauen (und) in selbst zuerkannter Größe zu schwelgen“. (Standard, 20. Dez. 2011) Getreu dieser Leitlinien warf Erdogan, damals noch türkischer Premier, Frankreich vor, als Kolonialmacht in Algerien selbst einen Völkermord begangen zu haben. Dem französischen Staatsoberhaupt hielt er vor, „mit dem Hass auf den Muslim und den Türken zu spielen“, der Gesetzesbeschluss des französischen Parlaments habe gezeigt, dass „Rassismus, Diskriminierung und Islamophobie gefährliche Dimensionen in Frankreich und Europa angenommen haben“. (Kleine Zeitung, 24. Dez. 2011)

MENA bemerkte damals, dass Erdogan mit seinen verbalen Rundumschlägen unwillentlich nur bestätigt hatte, dass der Begriff der Islamophobie als Kampfbegriff verwendet wird, um unliebsame Kritik generell unter Rassismusverdacht zu stellen und sich selbst gegen kritische Einwände zu immunisieren. Der türkische Premier habe nichts anderes im Sinne gehabt, als Kritik an der Türkei als „Rassismus“ und als „Hass auf Muslime“ abzuwehren. Exakt das gleiche Schauspiel wiederholt sich jetzt zum 100. Jahrestag des Massenmordes, wenn völlig berechtigte Kritik am beschämenden Verhalten der türkischen Führung umstandslos als Rassismus und Islamophobie denunziert wird. In gewisser Hinsicht ist Erdogan, Davutoglu und all den anderen Verbal-Rundumschlägern dafür zu danken, so offenkundig deutlich gemacht zu haben, welch durchsichtige Interessen mit diesen Vorwürfen verfolgt werden.

III. Alle Jahre wieder: Die Formel 1 in Bahrain

Seit 2011, so Krone-Reporter Richard Köck, seit der „Arabische Frühling“ ausgerufen worden sei, werde der Formel-1-Grand-Prix von Bahrain „heiß diskutiert“. Das Rennen werde „stets von Protestmärschen der schiitischen Mehrheit gegen das sunnitische Königshaus begleitet“. Dieses Jahr sorge zudem ein Bericht von Amnesty International (AI) für Aufsehen: Während eines „Schlichtungsgesprächs“ habe das bahrainische Herrscherhaus einen Berater der Organisation „Amerikaner für Menschenrechte und Demokratie in Bahrain“ festnehmen lassen. Laut AI zeige sich, dass die Regierung „es gar nicht erst zulassen (will), dass in der ganzen Welt über Folter und andere schwere Menschenrechts-Vergehen in Bahrain geredet wird“. Neu, so stellte Köck erfreut fest, sei nun, dass die Formel 1 ihre Gastgeberländer vertraglich verpflichten wolle, „die international anerkannten Menschenrechte zu respektieren.“ (Kronen Zeitung, 17. Apr. 2015) Auch im Kurier wurde der neue Zugang von Formel-1-Chef Bernie Ecclestone zum Thema Menschenrechte thematisiert. (Kurier, 17. Apr. 2015) Zwei Tage später berichtete Philipp Albrechtsberger, dass der Formel-1-GP in Bahrain heuer in gleißendem Flutlicht abgehalten werde. Das sei „doppelt praktisch“, denn: „Während der europäische Markt zur besten Sendezeit im Bilde ist, bleiben die Rauchsäulen der protestierenden, weil unterdrückten Bevölkerung verborgen.“ (Kurier, 19. Apr. 2015) Auch wenn Menschenrechtsorganisationen die Zustände in Bahrain beklagten, so schrieb Gudrun Doringer in den SN, das „Motorengeheul“ der Formel-1-Boliden sei bisher „allerdings lauter als kritische Stimmen. Wir schauen zu.“ (Salzburger Nachrichten, 20. Apr. 2015)

Erneut war somit zu beobachten, dass das Formel-1-Gastspiel in Bahrain paradox anmutende Reaktionen zeitigt. In einer sich kritisch wähnenden Öffentlichkeit gehört zum guten Ton, anlässlich von Sportveranstaltungen in aus menschenrechtlicher Sicht bedenklichen Ländern darauf hinzuweisen, dass der Sport für Propagandazwecke missbraucht werde bzw. sich missbrauchen lasse, um (Halb-)Diktaturen in vorteilhaftes Licht zu rücken – zuletzt war dies bei etwa bei den olympischen Spielen in Sotschi ein großes Thema. Für Länder wie China oder eben auch Russland, über die auch abseits von Sportveranstaltungen regelmäßig berichtet wird und bei denen eine breitere Öffentlichkeit über die politischen und sonstigen Verhältnisse einigermaßen informiert ist, mag der Vorwurf zutreffen.

Im Falle Bahrains ist das aber entschieden anders. Von der Formel 1 abgesehen wurde das Land im Jahr 2015 in der Krone bisher überhaupt nur ein einziges Mal im Zusammenhang mit dem Atomstreit mit dem Iran in einem Kasten erwähnt (Kronen Zeitung, 4. Apr. 2015), das Thema Menschenrechte oder die politischen Spannungen im Land spielten dabei keinerlei Rolle. Ähnlich sieht die Sache beim Kurier aus. Hier wurde auf Bahrain in diesem Jahr abseits der Formel 1 in insgesamt drei Beiträgen Bezug genommen: Ein Mal im Zusammenhang mit dem militärischen Eingreifen einer Allianz sunnitischer Staaten im Jemen (Kurier, 27. März 2015), in zwei weiteren Beiträgen bei der Erörterung der regionalen Auseinandersetzung zwischen der iranischen Achse und deren Gegnern. (Kurier, 7. Apr. 2015) Auch hier fanden menschenrechtliche Fragen oder die inneren Verhältnisse in Bahrain keinerlei Erwähnung.

Anders als stets unterstellt, dient in diesem Fall die Abhaltung eines sportlichen Großereignisses nicht dazu, die bedenklichen Zustände im Land zu übertünchen. Ganz im Gegenteil ist das Formel-1-Wochenende erneut das vermutlich einzige Mal im Jahr, dass die Lage in Bahrain überhaupt in den Fokus österreichischer Medien gerät.

IV. Präsentation der „Analysen 2014/2015“

Wir erlauben uns, ein letztes Mal auf die morgige Präsentation der von MENA herausgegebenen, druckfrischen „Analysen 2014/2015“ hinzuweisen, eines Sammelbands, der neben Beiträgen von MENA-Mitarbeitern auch eine Reihe von Gastbeiträgen von renommierten Experten für die Region des Nahen Ostens enthält. Insbesondere wollen wir darauf hinweisen, dass Jonathan Spyer, der als Gastautor einen besonders erhellenden Beitrag über den Aufstieg und Fall der regionalen Ambitionen Katars beigesteuert hat, im Rahmen unserer Präsentation über die Hintergründe des Krieges in Syrien und dessen Auswirkungen, insbesondere auf den Irak und den Libanon referieren wird. Spyer selbst war in den letzten drei Jahren sechs Mal in Syrien und zwei Mal im Irak unterwegs – und vermag wie kaum ein anderer, sein umfangreiches fachliches Wissen mit seinen vor Ort gewonnenen Eindrücken zu verbinden.

Ort und Zeit der Präsentation:

Dienstag, 21. April 2015, 18 Uhr
Presseclub Concordia, Bankgasse 8, 1010 Wien

Anmeldungen bitte unter: http://eventmaker.at/mena/mena-analysen_20142015/home.html

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