Wochenbericht, 1.12. bis 7.12.2014

In dieser Ausgabe:

I. Allgemeiner Überblick
II. Das „Streben nach jüdischer Alleinherrschaft“: Neuwahlen in Israel
III. „Katastrophenjahr“: Über den verzerrten Blick auf den Nahen Osten
 

I. Allgemeiner Überblick

In den vergangenen sieben Tagen erschienen in den von MENA systematisch ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen 329 Beiträge (zuletzt: 390) mit Bezügen zum Nahen Osten und zu Nordafrika:

Wochenbericht, 1.12. bis 7.12.2014

Folgenden Ländern wurde in der Berichterstattung am meisten Aufmerksamkeit gewidmet:

Wochenbericht, 1.12. bis 7.12.2014

In den insgesamt 89 relevanten Berichten (zuletzt: 130) der wichtigsten Fernseh- und Radionachrichtensendungen des ORF wurde auf folgende Länder am häufigsten Bezug genommen:

Wochenbericht, 1.12. bis 7.12.2014

II. Das „Streben nach jüdischer Alleinherrschaft“: Neuwahlen in Israel

Es drohe „Gefahr von rechts für Netanjahu“, warnte die Presse und erklärte, „(w)arum Israel nach rechts rückt“. Premier Netanjahu „rückt Israel weiter nach rechts“, sekundierte der Kurier, während die Krone die „extreme Rechte im Vormarsch“ sah. Das profil warnte unter Berufung auf einen Haaretz-Journalisten gar davor, dass „der ‚israelische Faschismus‘, vor dem seit Jahrzehnten gewarnt wurde, seine ‚seltsame Schüchternheit überwindet‘.“ So tönten österreichische Journalisten vor den israelischen Parlamentswahlen 2013, nur um nach dem Urnengang verdutzt feststellen zu müssen, dass sie ihre Rechnung ohne die israelischen Wähler gemacht hatten: Der allseits prophezeite Rechtsruck fiel aus, das rechte Lager ging zwar als Sieger, aber geschwächt aus der Wahl hervor. Gestärkt wurde nicht die Rechte, sondern das politische Zentrum, in dem die erstmals angetretenen Partei Yesch Atid des ehemaligen Journalisten Yair Lapid auf Anhieb 19 Mandate gewann und zur zweitstärksten Kraft in der Knesset wurde. Der Faschismus, vor dem das profil gewarnt hatte, brach auch dieses Mal nicht aus – genauso wenig wie in all den Jahrzehnten zuvor, in denen Haaretz-Journalisten ihn bereits hervorbrechen gesehen hatten.

Rund ein Jahr nachdem die überwältigende Mehrheit der österreichischen Medien sich mit ihrer Berichterstattung über die israelischen Parlamentswahlen so gründlich blamierte, wird in Israel wieder gewählt. Und wie schon im vergangenen Jahr glauben österreichische Journalisten schon jetzt genau zu wissen, wie die Wahl ausgehen wird. „Neuwahl in Israel: Wieder wird ein Rechtsruck erwartet“, meldete etwa die Kronen Zeitung, ohne ihre Leser daran zu erinnern, dass sich ihre letzte Prophezeiung über einen bevorstehenden „Rechtsruck“ als falsch erwiesen hatte. Premier Netanjahu habe sich von „Weicheier(n)“ wie Justizministerin Livni und Finanzminister Lapid getrennt, „die ihm seit Jahren ein Dorn im Auge sind.“ Wie Lapid, der erst seit nicht einmal einem Jahr ein politisches Amt bekleidet, dem Premier „schon seit Jahren ein Dorn im Auge“ sein konnte, blieb Christian Hauensteins Geheimnis. Aber sein Urteil ist eindeutig: „Das einst erzsozialistische Israel jedenfalls rückt weiter nach rechts.“ (Kronen Zeitung, 4. Dez. 2014) Wenige Tage später legte die Krone nach: Israel drohe eine „Albtraumregierung der Rechtsextremen“. Das Jahr 2014 sei einem israelischen Kommentator zufolge – drei Mal dürfen Sie raten, für welche Zeitung er schreibt? – „eines der schlimmsten“ gewesen. „‚Dies ist das Jahr, in dem Hass, Rassismus und Streben nach jüdischer Alleinherrschaft aus ihren Löchern gekrochen sind‘, lautet das harte Urteil des Kommentators der Zeitung ‚Haaretz‘.“ (Kronen Zeitung, 6. Dez. 2014) Da ist sie also wieder, die Haaretz, auf deren jenseitige Kommentatoren man sich stets berufen kann, wenn man Kronzeugen dafür braucht, um Israel als „rassistisch“ und „faschistisch“ zu diffamieren oder sich Fantasien über ein angebliches „Streben nach jüdischer Alleinherrschaft“ hinzugeben, die man sich mit gutem Grund nicht ohne Rückversicherung in die Tasten zu hämmern traut.

Worauf die Krone hier anspielte, ist die Debatte um ein vorgeschlagenes Gesetz, mit dem Israel als Nationalstaat des jüdischen Volkes definiert werden soll und das sowohl von Lapid als auch von Livni abgelehnt wird. Dabei geht es freilich nicht um ein „Streben nach jüdischer Alleinherrschaft“, sondern darum, etwas festzuhalten, was in etlichen anderen Staaten auf der Welt eine Selbstverständlichkeit darstellt. Niemand regt sich darüber auf, dass Italien der Nationalstaat des italienischen und Frankreich derjenige des französischen Volkes ist. Nur wenn es um Israel geht, ist plötzlich nichts mehr selbstverständlich und wird den Israelis sogleich jüdischer Suprematismus unterstellt – mit deutlichen Anklängen an Bestandteile Jahrhunderte alter antisemitischer Hetze.

Ben Segenreichs Analyse im Standard zufolge spielten das Nationalitätsgesetz sowie Differenzen über die israelische Außenpolitik und die internationalen Beziehungen des Landes zwar eine Rolle beim Scheitern der Regierung, doch hätten sich vor allem bei anderen innenpolitischen Fragen letztlich unüberwindbare Differenzen aufgetan: „Wie schon beim letzten Mal streitet man sich vor allem über die Budgetverteilung, und die Lebenshaltungskosten“. (Standard, 3. Dez. 2014) Demgegenüber war es laut Susanne Knaul gerade das Nationalitätsgesetz, an dem die Koalition zu zerbrechen drohte. (Presse, 3. Dez. 2014) Nachdem der Konflikt mit den Palästinensern im vergangenen Parlamentswahlkampf nur eine untergeordnete Rolle spielte, glaubt Gil Yaron nun, dass sich „Israel nach langer Zeit wieder in ein rechtes und ein linkes Lager spalten (wird), die sich hauptsächlich darin unterscheiden, wie sie das Palästinenserproblem angehen wollen.“ (Kleine Zeitung, 3. Dez. 2014)

Die einfach klingende Frage, was in diesem Zusammenhang als rechts bzw. links zu gelten hat, erweist sich bei näherem Hinsehen allerdings als deutlich komplizierter. In einem Artikel über die Gründe der innerisraelischen Spannungen und der palästinensischen Gewalt zitierten die SN beispielsweise eine israelische Kriminologin: „Israel hätte mehr in die arabische Bevölkerung investieren müssen, um für Chancengleichheit zu sorgen: mehr Schulen, mehr Infrastruktur, besonders in Jerusalem.“ (Salzburger Nachrichten, 3. Dez. 2014) Genau diese eher der politischen Linken zuzuordnende Kritik formulierte jüngst bei einer Veranstaltung der Brookings Institution aber auch niemand anderer als der rechte Wirtschaftsminister Naftali Bennett von der Partei „Jüdisches Heim“. Andererseits war es der vermeintlich „linkere“ Finanzminister Lapid, der Netanjahu vorwarf, den Gazastreifen „nicht entwaffnet“ zu haben, was, so es denn überhaupt möglich wäre, einen weit größeren militärischen Aufwand benötigt hätte, als ihn der Krieg im Juli/August ohnehin schon darstellte, zwangsläufig noch mehr Opfer zur Folge gehabt und damit auch für deutlich mehr internationale Spannungen gesorgt hätte. (Kleine Zeitung, 3. Dez. 2014)

Was die zukünftige Politik gegenüber den Palästinensern betrifft, sollte man sich vor Augen halten, dass der jüngste Gaza-Krieg und die darauf folgende Terrorwelle gegen Israel selbst unter Kritikern der Politik Netanjahus den Glauben an eine Lösung des Konflikts nicht eben gestärkt haben. Für zwei Monate war praktisch jeder Ort im Land ein potenzielles Ziel für Raketen, die von der libanesischen Grenze im Norden bis nach Eilat im Süden einschlugen. Yitzchag Herzog, Chef der oppositionellen Arbeitspartei, machte während des Krieges in einem Interview mit dem Kurier deutlich, dass die Unterschiede in diesem Punkt viel geringer sind, als dies die in westlichen Medien so beliebte Gegenüberstellung von „Falken“ und „Tauben“ unterstellt. Er verteidigte die Regierung unter der Führung seines Kontrahenten Netanjahu, die „bis jetzt vernünftig gehandelt“ habe. Man habe mit einer Bodenoffensive lange gewartet, aber schließlich „keine Wahl“ mehr gehabt. „Wir sind uns vollkommen einig, dass die Tunnel, die aus Gaza nach Israel führen, zerstört werden müssen.“ Und weiter erklärte Herzog: „Die Hamas muss so weit geschwächt werden, dass sie die Kontrolle über Gaza verliert und keine Bedrohung für Israel mehr darstellt.“ Natürlich habe er mitbekommen, was sich aus Anlass des Krieges in europäischen Städten abspielte, aber:

„Ich saß gestern wieder in einem Bunker, in dem ich als Kind vor 50 Jahren Zuflucht gesucht habe. So kann es nicht weitergehen. … Wir können es den Terroristen nicht erlauben, unser Leben zu bestimmen. Europa muss aus seinen Träumen aufwachen und die Wirklichkeit erkennen.“ (Kurier, 4. Aug. 2014)

Große Teile der gemäßigten israelischen Linken sind aus ihren Träumen erwacht und haben ihre Schlüsse aus dem Scheitern des Oslo-Friedensprozesses gezogen. Auf Verständnis dafür können sie zumindest in Medien hierzulande nicht hoffen.
 

III. „Katastrophenjahr“: Der verzerrte Blick auf den Nahen Osten

In einem Kommentar in den SN sprach Helmut L. Müller am vergangenen Mittwoch von einem „Katastrophenjahr für Nahost“. (Salzburger Nachrichten, 3. Dez. 2014) Blickt man auf das zu Ende gehende Jahr zurück, wird man ihm kaum widersprechen können. Der Krieg in Syrien geht bald in sein fünftes Jahr, über 200.000 Menschen sind bereits umgekommen, etliche Millionen sind zu Flüchtlingen im eigenen Land oder im Ausland geworden, ganze Städte gleichen einer Trümmerwüste und ein Ende des Blutergießens ist nicht in Sicht. Die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ kontrolliert nicht nur Teile Syriens, sondern seit ihrem Vorstoß nach Mosul im vergangenen Juni auch beträchtliche Teile des Irak. Ihr Vorstoß wurde von einem Ausmaß an Grausamkeit begleitet, das selbst für den Nahen Osten neue Maßstäbe setzte. Tausende Freiwillige zogen aus Europa und der übrigen Welt nach Syrien, um sich am Gemetzel zu beteiligen. Die Kriegsrückkehrer werden den Sicherheitsbehörden noch lange Zeit zu schaffen machen, der Mordanschlag auf das Jüdische Museum in Brüssel am 24. Mai dürfte nicht der letzte Terrorakt bleiben, der auf das Konto von Syrien-Veteranen geht. Das iranische Regime spielt im Atomstreit weiter auf Zeit und treibt sein Nuklear(waffen)programm weiter fort, die ‚internationale Gemeinschaft‘ hat sich in Wahrheit längst damit abgefunden, dass der Iran ein Land bleiben wird, das über die Möglichkeiten zur Entwicklung von Atomwaffen verfügt. Die Liste ließe sich noch länger fortsetzen, von Ländern wie Libyen oder dem Jemen war noch gar nicht Rede.

Bezeichnenderweise spielte für Müller aber nichts von alledem eine Rolle. In seinem Kommentar über das „Katastrophenjahr für Nahost“ wurden Syrien, der Irak, der Iran usw. nicht einmal erwähnt. Stattdessen ging es einzig und allein um den israelisch-palästinensischen Konflikt, oder genauer: um die Israel zugeschriebene Verantwortung für die „verheerende Entwicklung“, die aus fünf Jahrzehnten als Besatzungsmacht sowie dem „fortgesetzten Siedlungsbau“ resultiere. Die Palästinenser kamen, wie in der Berichterstattung üblich, höchstens als Opfer israelischer Politik, nicht aber als für ihr Handeln verantwortliche Akteure vor. Der Krieg im Sommer firmierte bei Müller als „der längste und blutigste Krieg Israels mit den Palästinensern im Gazastreifen“. Dass die Hamas ihn vom Zaun gebrochen hatte, ihn jederzeit hätte beenden können, aber insgesamt elf Waffenstillstandsinitiativen zunichtemachte, darauf fand sich in Müllers Kommentar keinerlei Hinweis. „Danach explodierten die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern auch im Westjordanland, ja selbst im israelischen Kernland“ (Salzburger Nachrichten, 3. Dez. 2014) – so angeblich neutral kann man die wochenlange Hetzkampagne der palästinensischen Führung und die darauf folgende Welle von Terrorangriffen auf Israel auch umschreiben, die mit dem Massaker in einer Synagoge in Jerusalem ihren blutigen Höhepunkt erreichte. Das Muster ist bestens bekannt: Formulierungen wie “es explodierten die Spannungen”, in denen keine handelnden Akteure vorkommen, finden stets dann Verwendung, wenn die Verantwortung der palästinensischen Seite für eine Eskalation der Gewalt nicht benannt werden soll.

Müllers Kommentar ist symptomatisch für den verzerrten Blick (nicht nur) hiesiger Medien: Während die Region in etlichen Kriegen untergeht, wird der Nahe Osten auf Israel reduziert und der jüdische Staat dafür verantwortlich gemacht, dass 2014 ein „Katastrophenjahr“ war – als ob ohne den Gaza-Krieg und andere Vorgänge, die in Wahrheit von vergleichsweise geringer Bedeutung sind, alles gut gewesen wäre. Die unverhältnismäßige Entschlossenheit, Israel an den Pranger zu stellen, geht mit dem Ignorieren oder im besten Fall uninteressierten Zur-Kenntnis-Nehmen weitaus dramatischerer und folgenschwererer Entwicklungen anderswo einher. So berichtete der Kurier eher beiläufig in einer Kurzmeldung über Syrien und den Irak: „Mehr als 5000 Tote allein im November“. (Kurier, 2. Dez. 2014) Was sind schon 5000 Tote binnen eines Monats gegen den „Streit um den Tempelberg“ und ein „Gesetz, das den jüdischen Charakter Israels stärken soll“? (Salzburger Nachrichten, 3. Dez. 2014)

Am selben Tag war einer Kurzmeldung in der Kronen Zeitung zu entnehmen: „Bereits rund 900 Todesopfer, die meisten von ihnen Terroristen des Islamischen Staates, haben die US-geführten Luftangriffe in Syrien gefordert.“ (Kronen Zeitung, 2. Dez. 2014) Angriffe auf islamistische Terroristen in Syrien haben keine wütenden Demonstrationen in europäischen Hauptstädten zur Folge, der UN-Menschenrechtsrat beklagt wegen ziviler Opfer keine „Kriegsverbrechen“ und entsendet keine Untersuchungskommission, kein europäisches Parlament kommt auf die Idee, dass eine Anerkennung des „Islamischen Staates“ das Gebot der Stunde sei, um dem Frieden den Weg zu ebnen, und keine internationale Geberkonferenz stellt dem IS Milliardenbeträge in Aussicht, um sein Herrschaftsgebiet wiederaufbauen zu können. (5,4 Milliarden Dollar wurden im Oktober für den Gazastreifen zur Verfügung gestellt. Unterdessen gab die UNO bekannt, dass die Hilfszahlungen für 1,7 Millionen Syrien-Flüchtlinge eingestellt würden, weil im laufenden Monat 64 Millionen Dollar fehlten. Standard, 2. Dez. 2014)

All dieser Irrsinn wird nur gegen Israel in Stellung gebracht, wenn dieses wieder einmal von Islamisten aus dem Gazastreifen oder der palästinensischen Führung im Westjordanland ins Visier genommen wird und seine Bürger vor Terrorattacken schützen muss. Erst dann haben wir es mit einem „Katastrophenjahr für Nahost“ zu tun.

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