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Wo Menschenrechts-NGOs für Deutschland schützenswert sind – und wo nicht

Das Hauptquartier der verbotenen algerischen Liga zur Verteidigung der Menschenrechte
Das Hauptquartier der verbotenen algerischen Liga zur Verteidigung der Menschenrechte (© Imago Images / Le Pictorium)

Algeriens zentrale Menschenrechtsorganisation Liga zur Verteidigung der Menschenrechte erfährt im Internet von ihrer Auflösung. Deutschland nimmt es »zur Kenntnis«.

Über die sozialen Medien hat Algeriens größte und älteste Menschenrechtsorganisation, die Liga zur Verteidigung der Menschenrechte (La Ligue de défense des droits de l’homme, LADDH), von ihrer Auflösung erfahren. Wie sie am 20. Januar auf Facebook mitteilte, war bereits am 29. Juni 2022 vor dem Verwaltungsgericht Algier auf Ersuchen des Innenministeriums ein Verfahren zur Auflösung gegen die LADDH eröffnet worden. Am 28. September 2022 habe das Gericht ein entsprechendes Urteil gefällt. 

Auf der Facebookseite sind Fotos des Urteils zu sehen. Die Liga betont, weder über die Einleitung des Verfahrens noch über das Urteil informiert worden zu sein.

»Die Liga fragt sich, warum dieses Urteil geheim gehalten wurde und es jetzt veröffentlicht wird, was offensichtlich mit der Dämonisierungskampagne zusammenfällt, die gegen die Liga und ihre Mitglieder gestartet wird.«

Am 22. Januar 2023 teilte die Liga auf ihrer Website mit, die Echtheit des Urteils zwischenzeitlich verifiziert zu haben. Ihr werde vorgeworfen, gegen das Vereinsrecht verstoßen zu haben. Auch ihre öffentlich geäußerte Kritik am Regime wurde der Liga zum Vorwurf gemacht. Weiters heißt es:

»Noch überraschender ist, dass die LADDH dafür kritisiert wird, mit anderen international anerkannten Gremien und Organisationen zum Thema Menschenrechte zusammenzuarbeiten und ihr vorgeworfen wird, die Menschenrechte getreu ihrem Motto ›Die Menschenrechte sind universal und unteilbar zu vertreten.

Darüber hinaus wird einigen ihrer Mitglieder vorgeworfen, mit Bürgern in Kontakt zu stehen und sich für die Rechte von Migranten, für die Rechte von Arbeitern oder sogar für das Recht von Familien der Harraga einzusetzen, über das Schicksal ihrer Angehörigen zu erfahren. Empörend.«

Zu »allen Zeiten« sei die LADDH, deren Geschichte mit der des Landes »verflochten« sei, von den verschiedenen politischen Machthabern »geächtet und bekämpft« worden, heißt es in dem Text. »Sie hat sich immer gewehrt und sie wird sich wieder wehren.«

Deutsche Reaktionen

Mena-Watch fragte das Auswärtige Amt in Berlin, ob es vonseiten des deutschen Außenministeriums einen Kommentar zu dem Verbot der Liga gibt. Die Antwort:

»Das Auswärtige Amt hat das bereits seit September 2022 wirksame Verbot der algerischen Menschenrechtsorganisation ›Ligue algérienne pour la défense des droits de l’homme‹ zur Kenntnis genommen. Die Organisation hat sich dazu selbst in einem Statement geäußert. Dem Auswärtigen Amt liegt jedoch weder der Verbotsbeschluss noch ihre Begründung vor.«

»Zur Kenntnis genommen« ist Politikersprache und bedeutet so viel wie »kein Kommentar«, klingt aber weniger defensiv. Die Sprecherin des Auswärtigen Amtes verwies darauf, dass sich die Bundesregierung im vergangenen Jahr »zwei Mal in dem dafür zuständigen Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen« zur Menschenrechtslage in Algerien »eingelassen« habe. Sie schreibt:

»Zum einen wurden im März 2022 die Einschränkungen für die algerische Zivilgesellschaft im Rahmen der Generaldebatte unter ›Item 2‹ im Menschenrechtsrat verurteilt. Darüber hinaus hat sich die Bundesregierung im November 2022 im Rahmen der universellen Staatenüberprüfung (UPR) des VN-Menschenrechtsrats umfassend geäußert und ihrer Sorge über Repressalien gegen Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger Ausdruck verliehen.«

»Umfassend geäußert«? Na ja. Die Stellungnahme des aus Berlin zugeschalteten deutschen Vertreters bestand aus gezählten fünf Sätzen:

»Deutschland heißt die Delegation Algeriens willkommen. Deutschland preist Algerien dafür, im Zuge seiner Verfassungsreform 2022 gewisse bürgerliche Rechte gestärkt zu haben, insbesondere die Rechte von Frauen und Kindern und was die Berbersprache Amazigh betrifft. Deutschland ermuntert Algerien dazu, Raum für Zivilgesellschaft zu geben, mit den Mechanismen des UNHCR [das ist das UN-Flüchtlingshilfswerk – vielleicht ist der UN-Menschenrechtsrat UNHRC gemeint?; Anm. S. F.] zu kooperieren und UNHCR-Mandatsträgern Zugang zu gewähren. 

Deutschland ist tief besorgt über die Verteidiger von Menschenrechten, die daran gehindert wurden, an der Vorbereitungssitzung der UPR [Universal Periodic Review / Universelle Staatenüberprüfung; Anm. S. F.] teilzunehmen. Deutschland empfiehlt daher, das Familienrecht zu reformieren, die rechtliche Diskriminierung von Frauen zu beenden und Gendergleichheit herzustellen, wie sie in Artikel 37 der Verfassung gefordert wird, Artikel 87 des Strafgesetzbuchs zu reformieren, um Beschränkungen des von der Verfassung garantierten Rechts auf Meinungsfreiheit zu beenden und ein Asylgesetz zu schaffen, um Schutz zu bieten.«

Drei dieser Sätze sind leise kritisch, zwei davon Lobhudelei, hier auf dem Video zu sehen (1:53:07 bis 1:53:55). Die gesamte Rede dauerte also 48 Sekunden, von denen 25 Sekunden kritisch waren, wobei diese eher den Charakter von Empfehlungen haben. Kein Wort über FolterVergewaltigungen auf der Polizeiwache und Femizide; das Thema der Zensur nur gestreift. Forderungen nach freien Wahlen und Rechtsstaatlichkeit? Fehlanzeige.

Wie anders sieht das aus, wenn in Israel Vereine verboten werden, die Verbindungen zu Terrororganisationen haben, wie etwa die »Landwirtschaftsorganisation« UAWC, in deren Reihen zahlreiche Kader der auch in Deutschland verbotenen Terrororganisation PFLP zu finden sind, darunter die Mörder der 17-jährigen Israelin Rina Shnerb? Erlaubt sich Israel etwas in dieser Art, gibt es eine gemeinsame Erklärung der Außenministerien Belgiens, Dänemarks, Deutschlands, Frankreichs, Irlands, Italiens, der Niederlande, Schwedens und Spaniens, in der jene Vereine »deutliche Unterstützung« zugesagt bekommen.

Am 11. Oktober 2022 wurde Algerien von der UN-Generalversammlung in geheimer Abstimmung in den UN-Menschenrechtsrat gewählt. 178 von 190 Staaten, die an der Abstimmung teilnahmen, votierten dafür. Algerien ist darüber hinaus Mitglied in der UN-Kommission für den Status von Frauen und im NGO-Komitee des UN-Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC). Das NGO-Komitee ist dafür zuständig, NGOs beim ECOSOC zu akkreditieren und ihre Aktivitäten zu überwachen. Außer Algerien sind neunzehn weitere Länder in jenem Komitee vertreten, darunter die Volksrepublik China, Kuba, Eritrea, Nicaragua, Pakistan, die Türkei und Zimbabwe.

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