Nicht einmal eine halbe Minute berichteten die ORF-Hauptnachrichten gestern über die Proteste im Iran, dreieinhalb Minuten dagegen über die britischen Royals.
26 Sekunden: Genau so viel Zeit hat die Hauptnachrichtensendung des ORF gestern Abend den Demonstrationen im Iran gewidmet. Nach dem Eingeständnis der iranischen Führung, ein ukrainisches Passagierflugzeug abgeschossen und dabei 176 Menschen getötet zu haben, würden die Protestierenden nun „den Rücktritt der Verantwortlichen“ fordern. Tatsächlich waren auf den Straßen Sprechchöre wie „Tod dem Diktator!“, „Kleriker haut ab!“ oder „Sie haben unsere Eliten getötet und sie durch Kleriker ersetzt!“ zu hören. Doch über diese Parolen, die sich gegen das System der Islamischen Republik an sich richten, war in der ZiB1 kein Wort zu hören.
Schließlich hatte man ja noch über viel Wichtigeres zu berichten: 3 Minuten 28 Sekunden lang ging es um eine Krisensitzung bei den britischen Royals, Liveschaltung zur Korrespondentin in London inklusive. Denn hier, so muss man die Schwerpunksetzung verstehen, ging es gestern um wirklich weltbewegende Fragen, wie etwa um das brennende Problem, ob Prinzessin Meghan und Prinz Harry „ihre Titel behalten dürfen, nämlich Herzogin und Herzog von Sussex“.
In Teheran setzten die Menschen ihr Leben aufs Spiel, um gegen ein Regime aufzubegehren, dessen längst überfälliger Sturz das Gesicht des Nahen Ostens nachhaltig verändern würde. Für den ORF stand aber offenbar außer Frage, wo auf der Welt sich gestern Ereignisse abgespielt haben, die „Auswirkungen auf die Zukunft“ haben – der freiwillige Rückzug von Harry und Meghan könnte schließlich „eine Vorbildwirkung für zukünftige Royals haben“.
Mit begrenzter Sendezeit muss man in geschichtsträchtigen Tagen wie diesen seine Prioritäten setzen. Die ZiB1 hat gestern keinen Zweifel aufkommen lassen, wo ihre liegen.