Bezüglich der Rate der in Armut lebenden Einwohner steht Israel nicht gut da. Die Lage verschärft sich infolge des seit zwei Jahren andauernden Kriegs gegen die Hamas massiv.
Kürzlich verkündete Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, dass das Land in wirtschaftlicher Hinsicht den Gürtel wird enger schnallen müssen: »Wir sind Athen und Sparta. Aber wir werden Athen und Super-Sparta sein. Es gibt keine andere Wahl; zumindest in den kommenden Jahren werden wir uns mit [den Konsequenzen] der Versuche auseinandersetzen müssen, uns zu isolieren.« In diesem Zusammenhang sprach er zudem von der Notwendigkeit, dass Israel »autark« werden müsse.
Das brachte ihm mächtige Kritik im Land ein. Ganz zu schweigen davon, dass er damit das seit dem 7. Oktober 2023 nicht abreißen wollende Frohlocken der Israel-Feinde über den Schaden für die Wirtschaft des Landes befeuerte, der dazu beiträgt, dass sie auf einen Kollaps des jüdischen Staates hoffen.
Um den Schaden zu begrenzen, ruderte Israels Langzeit-Premier fast umgehend zurück, indem er betonte, dass die israelische Wirtschaft widerstandsfähig ist, die Landeswährung enorme Stabilität bewiesen hat und der Börsenmarkt stabiler als jener der USA ist. Darüber hinaus zeichnete er weitere Wirtschaftsaspekte in positivem Licht und führte aus, dass Israel in Anbetracht des Kriegs gelernt habe, wie wichtig eine verteidigungstechnische Unabhängigkeit ist: darauf habe sich seine Wortwahl »autark« bezogen. Ansonsten habe er gemeint, dass »die Bürokratie, die uns zurückhält, eingeschränkt werden müsse«. Man habe ihn schlichtweg missverstanden, so Netanjahu.
Nichts ist nur schwarz-weiß
Schaut man genauer hin, so sind gewisse Aspekte von Netanjahus Erklärungen, so widersprüchlich sie auch sein mögen, zutreffend: Der Schekel als auch die Börse des Landes demonstrieren Stabilität, in einigen Regionen sind die Immobilienpreise rückläufig und die Arbeitslosenrate hält sich in Grenzen.
Überdies unterstrich Netanjahu zurecht die Erfolge der israelischen Verteidigungsindustrie und erwähnte die Anforderung, dass Israel »verteidigungstechnische Unabhängigkeit« anstreben sollte, nicht ohne guten Grund. Wenn die Welt dabei sofort ausschließlich an israelische Militäraktionen denkt, seien in diesem Zusammenhang Israels Zivilisten in Erinnerung gerufen: Erst im Juni dieses Jahres musste sich Israel gegen iranische Raketen behaupten, was neben enormen wirtschaftlichen Folgen auch harsche Konsequenzen für die Zivilisten des Landes hat
Obschon der Zwölf-Tage-Krieg vorbei ist, müssen Millionen Israelis weiterhin alle paar Tage wegen Raketen und Drohnen aus dem Jemen in die Schutzräume eilen. Allein die Abwehr dieser Geschosse verschlingt Woche für Woche horrende Summen, die auf Kosten eines jeden israelischen Steuerzahlers gehen. Doch die eigentliche Sorge der Einwohner des Landes ist: Was ist, wenn der Nachschub an erforderlichen Abwehrraketen in Stocken kommt? Dafür zeichnet nämlich nicht ausschließlich Israels Verteidigungsindustrie verantwortlich, sondern der jüdische Staat ist zudem zum Schutz seiner Zivilisten auch auf die Materialversorgung durch ausländische Firmen angewiesen.
Ohne Zweifel trotzt Israels Wirtschaft relativ erfolgreich der steigenden Staatsverschuldung, den rückläufigen Investitionen aus dem Ausland, den Implikationen der brachliegenden Tourismusbranche und der in der Landwirtschaft und der Baubranche fehlenden Arbeitskräfte, ebenso wie dem Produktivitätseinbruch infolge des Reservediensts unzähliger Israelis und nicht zuletzt den Rückstufungen der staatlichen Kreditwürdigkeit sowie obendrauf Sanktionen, Embargo und Abzug von ausländischem Kapital. Obwohl das Bruttoinlandsprodukt Anfang des Jahres sogar wieder stieg, ringt der Krieg den Einwohnern des Landes gerade einen hohen Preis ab.
Insbesondere eine der Aussagen Netanjahus können die meisten Israelis im Handumdrehen entkräften: Den Gürtel enger schnallen zu müssen, ist keine Zukunftsmusik, sondern schon längst Tatsache. Das Budget fast aller Familien schrumpft manchmal sogar von Quartal zu Quartal; und zwar beträchtlich.
Armutszeugnis Armut
Wie eingangs erwähnt, ist Israels Ausgangslage bezüglich der Anzahl von Einwohnern, die unter der Armutsgrenze leben, alles andere als gut. Als Hightech-Nation mit unglaublicher Innovationsfreudigkeit sind trotzdem ganze Bevölkerungsgruppen nicht adäquat in die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte eingebunden. Dazu gehören Angehörige der arabischen Minderheit als auch die ultraorthodoxe Gemeinschaft der jüdischen Gesellschaft Israels.
Das hat vielfältige Gründe, die historisch bedingt sind, mit demografischen Konstellationen wie beispielsweise einer bevorzugten Lebensweise in Zusammenhang stehen, aber auch mit der Politik der Regierungen – ungeachtet der jeweiligen parteipolitischen Ausrichtung – zu tun haben. Anfang 2025 zählte die arabische Minderheit über zwei Millionen Menschen, die ultraorthodoxe Gemeinschaft brachte es auf 1,4 Millionen Angehörige. Das ist ein enormer Anteil an Israels Gesamtbevölkerung, die zum jüdischen Neujahrfest 2025 erstmals die Zehn-Millionen-Marke überschritt. Rund 40 Prozent der arabischen und 34 Prozent der ultraorthodoxen Gemeinschaft Israels leben in Armut.
Bezüglich der Rate der verarmten Bevölkerung landet Israel unter den 38 OECD-Mitgliedsstaaten auf dem beschämenden zweitletzten Platz vor Costa Rica. Ende 2023 mussten zwei Millionen Israelis mit einem monatlichen Budget unterhalb der Armutsgrenze auskommen. Jedes vierte Kind lebt in Armut. Staatliche Erhebungen von Ende 2023 zeigen, dass rund 31 Prozent der Haushalte mit Ernährungsunsicherheit ringen. Unabhängige NGOs geben sogar 45 Prozent an.
Als diese Statistiken veröffentlicht wurden, tobte bereits der Mehrfrontenkrieg, durch den, wie sich bald erwies, die Israelis einen nennenswerten Prozentsatz des ihnen monatlich zur Verfügung stehenden Budgets einbüßen. Hinzu kommen massiv gestiegene Lebenshaltungskosten – schon vor 2023 galt Israel als jenes OECD-Land mit den höchsten Lebensmittelpreisen – bei immer weiter zurückgeschraubten Sozialleistungen, die in Israel ohnehin geringfügig sind.
Alarmglocken auslösen
Viele Israelis sind nach wie vor im Schock darüber, dass die am 7. Oktober 2023 angegriffenen Zivilisten stundenlang auf Angehörige der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) warten mussten. Dennoch schenken 87 Prozent der jüdischen Israelis ihrer Armee weiterhin Vertrauen. Allen ist bewusst, dass man sowohl Wehrdienstleistenden als auch Berufssoldaten und erst recht den mobilisierten Reservisten unendlich viel zu verdanken hat, wenn es um die Verteidigung des Landes sowie die Gewährung der Sicherheit der Einwohner während des bislang zwei Jahre lang andauernden Kriegs geht.
Nach so langer Zeit machen sich unter Israels Armeeangehörigen immer mehr Herausforderungen bemerkbar, welche die Reservisten, die abrupt aus ihrem zivilen Leben gerissen wurden, besonders hart treffen. Laut Gesetz sollen sie im Normalfall jährlich 36 Tage Reservedienst leisten; abhängig vom Dienstbereich manchmal auch mehr und zudem über die Altersgrenze von vierzig Jahren hinaus.
Der Krieg hat solche Regelungen jedoch außer Kraft gesetzt. Die Armee gibt keine Zahlen an, doch der Großteil der infolge des 7. Oktober 2023 mobilisierten 350.000 Reservisten war innerhalb der rund 700 Tage mehrere hundert davon im Dienst. Auch wenn sich darunter viele Frauen befinden, so sind es dennoch mehrheitlich die Männer, die zu den Feiertagen nicht Zuhause sind, die Geburten und Geburtstage ebenso verpassen wie Beerdigungen. Ganz zu schweigen vom Aussetzen des Studiums und den verpassten Karrierechancen.
Israel ist ein Land der Familien, die in einem relativ jungen Alter gegründet werden und im Durchschnitt 2,9 Kinder zählen – doppelt so viele wie in der Schweiz, in Deutschland und Österreich. Die Reservisten, die seit vielen Monaten Israel verteidigen, fehlen nicht nur in sozialer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht in ihrem Zuhause. Ihre Partner haben das Gefühl, ebenfalls mobilisiert zu sein, denn sie stehen mit drei oder vier kleinen Kindern allein vor den Alltagsaufgaben, da viele der eingesprungenen Großeltern längst ihre Kapazitäten überschritten haben.
Rund 73 Prozent der selbstständig tätigen Partner von Reservisten berichten über finanzielle Einbußen, zwanzig Prozent waren gezwungen, ihre Selbstständigkeit aufzugeben. Partner, die in Angestelltenverhältnissen zum Familienbudget beitragen, berichten zu dreißig Prozent über Verdiensteinbrüche, drei Prozent über den Verlust des Arbeitsplatzes.
Da zudem mit den Männern der in der Regel besser Verdienende in der Familie fehlt – in Israel herrscht weiterhin eine massive Lohnbenachteiligung von Frauen – und der Staat nur für einen mäßigen Ausgleich der Reservedienstleistungen sorgt, lag die Rate der in wirtschaftliche Not geratenen Reservistenfamilien Mitte 2025 bei zirka 34 Prozent. Durch die neuerlich erfolgte Mobilisierung von Zehntausenden verschärften sich die sozialen und wirtschaftlichen Nöte zusätzlich.
Das alles sind sehr bedenkliche Zahlen, erst recht, wenn man berücksichtigt, dass dieser Bevölkerungsgruppe auch als Steuerzahlern eine bedeutsame Rolle zukommt. Bedenkt man, dass Israel Hunderte Ermordete und Gefallene zählt, deren Familien unterstützt werden müssen, dass Verletzte und Verwundete hinzukommen, ganz zu schweigen vom hohen Prozentsatz der wegen der Ereignisse am 7. Oktober 2023 traumatisierten Israelis, die für den produktiven Arbeitsmarkt teilweise oder ganz ausfallen, so wird klar: Jeder produktive israelische Haushalt bezahlt nicht nur aktuell, sondern noch für viele Jahre hohe Abgaben wegen der wirtschaftlichen Implikationen, die der Hamas-Überfall nach sich zog.
Trotz allem Optimismus
Letztlich sind also alle Israelis zur Kasse gebeten, auch die bereits verarmten, die durch die Kriegsfolgen noch ärmer werden. Das veranschaulichen auch die zahlreichen Spots, die für Lebensmittelspenden werben. Zu den hohen jüdischen Feiertagen haben solche Appelle in Israel Tradition, doch die Intensität der Aufrufe seit Pessach 2025 und erst recht anlässlich des jüdischen Neujahrsfestes vor wenigen Tagen lässt erahnen, wie bedrohlich die Lage selbst im Kreis von Familien ist, die in den Arbeitsmarkt eingebunden sind.
Trotz dieser durchaus brenzligen wirtschaftlichen Situation, bezüglich der hier nur einige Aspekte aufgezeigt werden konnten, ist die Mehrheit (67 Prozent) der israelischen Öffentlichkeit nicht nur optimistisch, dass sich ihre Gesellschaft von der Krise erholen, sondern auch, dass die israelische Nation durch die vielseitigen Herausforderungen sogar noch gestärkt wird.






