Latest News

»Jene, die wirklich hungern, sind die Geiseln«

Liran Berman mit einem Plakat, auf dem seine beiden als Geiseln genommenen Brüder Gal und Ziv zu sehen sind. (© imago images/Imagn Images)
Liran Berman mit einem Plakat, auf dem seine beiden als Geiseln genommenen Brüder Gal und Ziv zu sehen sind. (© imago images/Imagn Images)

Im Interview meint der Bruder zweier von der Hamas entführter Geiseln: »Europäische Staaten haben vor der Hamas-Propaganda kapituliert.«

Die Zwillinge Gali und Ziv Berman, heute 27 Jahre alt, wurden am 7. Oktober 2023 von Hamas-Terroristen aus ihren Wohnungen im Kibbuz Kfar Asa in den Gazastreifen verschleppt. Von den rund 800 Einwohnern dieses südisraelischen Dorfs wurden an diesem Tag 64 ermordet und 19 entführt. Nachstehend ein Interview mit dem 38-jährigen Liran Berman, dem Bruder der Zwillinge, die seit 668 Tagen in Geiselhaft sind.

Ben Segenreich (BS): Ihre Familie hat im Februar berichtet, ein Lebenszeichen von Ihren Brüdern erhalten zu haben. Was wissen Sie über deren Zustand?

Liran Berman (LB): Das Lebenszeichen kam von anderen Geiseln, die im Februar freigekommen sind und meine Brüder gesehen haben. So viel wir wissen, sind die beiden nicht zusammen. Wir wissen noch vom ersten Geisel-Deal im November 2023, dass sie schon bei der Entführung getrennt wurden. Damals hatten sie leichte Verletzungen. Im Februar hat man uns nicht viel über ihren Gesundheitszustand sagen können und das wäre auch jetzt, ein halbes Jahr danach, nicht mehr relevant.

BS: Vor wenigen Tagen haben die Hamas und der Islamische Dschihad Videos veröffentlicht, auf denen die Geiseln Evyatar David und Rom Braslavski zu sehen sind. Sie sind bis auf die Knochen abgemagert.

LB: Das hat uns alle erschüttert. So müssen wir uns meine Brüder vorstellen. Von ihnen haben wir keine Videos, aber das ist auch besser so, dann brauchst du es dir nur vorzustellen und musst es nicht wissen. Vor achtzig Jahren waren Juden in so einem Zustand und heute sind wir wieder in so einem Zustand – einen Meter vom Grenzzaun neben einem Staat mit einer Armee. Vor achtzig Jahren hatten wir keinen Staat und keine Armee. Und jetzt gibt es eine halbe Stunde von Tel Aviv entfernt Juden in solch einem Zustand. Das ist einfach schrecklich.

Wir wussten auch schon vor diesen Videos, dass ihr Zustand schlecht ist. Wir haben die anderen gesehen, die vor einem halben Jahr freigelassen wurden. Wir haben verstanden, wie kritisch ihr Zustand ist und wie schnell es zu Ende gehen kann.

BS: Nun sind die ausgehungerten Geiseln auf eine verdrehte Weise mit dem Hunger der Bevölkerung im Gazastreifen verknüpft. Sie und Ihre Brüder haben auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Deutschland hat jetzt zwei Militärflugzeuge losgeschickt, um Lebensmittel über dem Gazastreifen abzuwerfen. Die Lebensmittel werden nicht Ihre Brüder erreichen, aber vielleicht die Entführer.

LB: Die ganze Sache mit der humanitären Hilfe ist sehr problematisch. Denn die wirklich Hungrigen im Gazastreifen sehen wir, wenn wir die Videos von den Geiseln anschauen und nicht die Propaganda der Hamas. Diejenigen, die wirklich hungern, sind die Geiseln, denn man sieht, dass ihre Entführer nicht hungern. Sie hungern ihre Bevölkerung vorsätzlich aus, um davon Bilder zu erzeugen.

Was in den Medien veröffentlicht wird, ist eine Menge Propaganda der Hamas. Es kommen sehr viele Lebensmittel in den Gazastreifen. Wir waren vor zwei Wochen in Washington. Wir haben den Generaldirektor der Gaza Humanitarian Foundation getroffen, der Agentur, die jetzt dort Lebensmittel verteilt. Er hat uns auf Basis der Daten gesagt, wie viele Lastwagen in den Gazastreifen fahren. Also, ein absichtliches Aushungern durch Israel gibt es da sicherlich nicht. Es gibt die Hamas-Propaganda von der angeblichen Aushungerung der Bevölkerung, aber die einzigen wirklich Hungrigen sind die Geiseln.

Und wenn europäische Staaten so vor der Propaganda kapituliert haben, ohne das zu prüfen, ohne den Amerikanern beim Aufbau eines alternativen Verteilungsmechanismus zu helfen, dann stärkt das die Hamas, gibt ihr Zeit und Luft zum Atmen.

Die Propaganda war erfolgreich: Wenn die Welt die Hamas unterstützt, wenn die Hamas den Krieg noch ein bisschen in die Länge ziehen kann, dann ist das einfach ein Sieg der Hamas. Statt zu schauen, was wirklich im Gelände passiert, beugen sich westliche Länder, Frankreich, jetzt auch Deutschland, der Propaganda und werfen Lebensmittel ab, von denen ich hoffe, dass ein bisschen davon zu den Geiseln kommt, obwohl ich weiß, dass das nicht geschehen wird.

BS: Hat ihre Familie bei den Bemühungen um die Freilassung Ihrer Brüder Hilfe von Deutschland bekommen?

LB: Außer den USA gibt es vielleicht kein Land, das nach dem 7. Oktober 2023 für die Geiseln mit der Staatsbürgerschaft dieses Landes so viel gemacht hat wie Deutschland. Die Wärme, die Empathie, die wir sowohl von der Regierung als auch von den Medien in Deutschland bekommen, ist außergewöhnlich. Da kann man kein schlechtes Wort darüber sagen. Auch die Unterstützung durch den deutschen Botschafter in Israel ist großartig.

Aber Deutschland hat von Anfang an gesagt, dass es nicht vermittelt. Die Vermittler sind die USA, Katar und Ägypten. Deutschland ist nicht beteiligt, zu unserem Leidwesen, denn Deutschland hat viel Einfluss, auch Verbindungen zum Iran und zur Türkei, die die USA nicht haben. Deutschland hat also leider nicht sein ganzes politisches Gewicht in der Region eingesetzt.

BS: Verändert es Ihre Einstellung zu Deutschland, wenn Deutschland jetzt das unterstützt, was Sie »Hamas-Propaganda« nennen?

LB: Wir hören jetzt, dass der Kanzler das letzte Geisel-Video gesehen hat. Deutschland kann es sich nicht erlauben, nichts zu tun, wenn die anderen europäischen Länder Lebensmittel schicken. Das ist ein innerdeutsches Problem ­– sie haben eine große muslimische Bevölkerung. Aber Deutschlands Position ist immerhin: Anerkennung eines palästinensischen Staates nur nach Freilassung der Geiseln. Und der Kanzler hat gesagt: Die Unterstützung für die Geiseln und ihre Freilassung steht im Mittelpunkt von dem, was Deutschland zu tun versucht.

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir reden Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!