Dennoch wäre es naiv zu glauben, der Islamische Staat werde nach dem Verlust seiner Territorien verschwinden. Der Verweis [des IS-Sprechers] Abu Muhammad al-Adnani auf die Wüste mag vage erscheinen, doch gibt es durchaus umfangreiche Wüstengebiete im Grenzland zwischen dem Irak und Syrien (z. B. in der Umgebung Anbars und Deir as-Zors), in denen die engere Führung operieren und manövrieren kann, selbst wenn sie alle Städte unter ihrer Kontrolle einbüßen sollte. Die Aussicht, dass die Koalition oder sonst irgendwer diese riesigen Gebiete räumen und sichern könnte, sind sehr gering, und sie stellen daher das eigentliche Rückzugsgebiet für den Islamischen Staat dar. (…) Insgesamt deutet also wenig darauf hin, dass der Islamische Staat mit dem Verlust seines Territoriums gänzlich aussterben wird. Im Irak und in Teilen Ostsyriens stellt der Islamische Staat die einzige aufständische Kraft unter Sunniten dar, nachdem er sämtliche Konkurrenten vor drei Jahren zerschlagen hat. Dass diese Konkurrenten sich reetablieren und an die Stelle des Islamischen Staats treten könnten, ist schwer vorstellbar, nicht nur, weil es den Islamischen Staat im Irak und in Syrien weiter geben wird, sondern auch, weil er selbst nach dem Verlust seines Territoriums als internationaler Franchise fortbestehen wird. An mehreren Orten, so beispielsweise in Südostasien, hat der Islamische Staat die Orientierung auf territoriale Kontrolle und staatliche Souveränität bereits aufgegeben und darauf verzichtet, einen Anspruch auf neue ‚Provinzen’ zu erheben. Kurzum, der Islamischen Staat ist in der Tat baqiya. [Er wird bestehen bleiben.]“ (Aymenn Jawad Al-Tamimi: „Can ISIS Survive the Caliphate’s Collapse?“)
