Angesichts der sich verschärfenden Kämpfe zwischen islamistischen Gruppierungen unter der Führung von Hayat Tahrir al-Sham und der syrischen Armee befürchtet der Irak, in den Konflikt hineingezogen zu werden.
Die Nachrichtenagentur Reuters zitierte am vergangenen Montag syrische und irakische Quellen, wonach Hunderte von Kämpfern der irakischen Milizen Badr und al-Nujaba, die vom Iran unterstützt werden, die Grenze nach Syrien überquert hatten, um die Truppen des syrischen Regimes zu unterstützen. Der Korrespondent des amerikanischenTV-Kanals Al-Hurra in Syrien berichtete ebenfalls über die Infiltration bewaffneter irakischer Gruppen in syrisches Gebiet über inoffizielle Grenzübergänge. Die mit dem Iran verbundenen irakischen Kataib-Hisbollah-Brigaden etwa nutzen für solche Operationen einen Grenzübergang, der nicht unter der Kontrolle der irakischen Behörden steht und als al-Sikak-Übergang bekannt ist.
Im Gegensatz dazu dementierte der Sprecher des irakischen Innenministeriums Muqdad Miri während einer Pressekonferenz diese Berichte. »Diese Konferenz soll die öffentliche Meinung beruhigen, insbesondere angesichts einiger Versuche, die Fakten zu verdrehen und Gerüchte über Bedrohungen der irakischen Sicherheit und die mangelnde vollständige Grenzsicherheit zu verbreiten«, so der Sprecher.
Am selben Tag forderte die irakische Miliz der Kataib-Hisbollah-Brigaden die Regierung in Bagdad auf, Truppen zur Verteidigung von Präsident Baschar al-Assad nach Syrien zu entsenden. Eine der Brigaden erklärte in einer Stellungnahme, ihre Kämpfer noch nicht nach Syrien geschickt zu haben, forderte aber die Regierung auf, eine Vereinbarung mit ihrem syrischen Pendant zu treffen, um »offizielle Streitkräfte« nach Syrien zu entsenden, um dem entgegenzutreten, was sie als »Bedrohung der nationalen Sicherheit des Iraks« bezeichnet.
Eine Gruppe irakischer Fraktionen nimmt seit 2011 an den Kämpfen in Syrien teil, um das Regime von Baschar al-Assad zu unterstützen, von denen einige auch nach der relativen Beruhigung der Lage im Land stationiert blieben.
Angst vor Szenario von 2014
Der Angriff, der am 27. November von der ehemals als Al-Nusra-Front mit Al-Qaida verbundenen Islamistengruppe Hayat Tahrir al-Sham und verbündeten Fraktionen gestartet wurde und der Rückzug der syrischen Streitkräfte lassen die Debatte über die Verteidigung des syrischen Regimes mit weiteren irakischen Milizen wieder aufflammen.
»Was einige dieser Milizen tun, ist Teil des iranischen Plans, das Regime von Baschar al-Assad zu schützen und nicht die nationale Sicherheit des Irak zu verteidigen«, sagt der irakische Forscher und Politologe Aqeel Abbas. Er warnt vor dem, was er als Verwicklung des Iraks in einen Krieg bezeichnet, der nichts mit dem Land zu tun hat, insbesondere, da die Kämpfer in Syrien, die den jüngsten Angriff gestartet haben, »nicht Teil des Islamischen Staats sind« und den Irak nicht bedroht haben.
Der Irak fürchtet den Aufstieg »terroristischer Organisationen«, wie Regierungssprecher Bassem Al-Awadi sagte: Man fürchte die Wiederholung der Geschehnisse von 2014, erklärte er unter Bezug auf den damaligen Vormarsch des Islamischen Staats (IS), im Zuge dessen er große Teile des Iraks unter seine Kontrolle brachte, »und die Bildung bewaffneter sektiererischer Gruppen an unseren Grenzen. Wir werden Pläne zur Verteidigung unserer Grenzen haben, falls sich das Szenario von 2014 wiederholt.«
Auf Befehl des Irans
Der Experte für irakische Angelegenheiten und Professor für Politikwissenschaft an der Cihan-Universität im Irak, Muhannad Al-Janab, sagte, die Konflikte in Syrien seien »fünfhundert Kilometer von der irakischen Grenze entfernt und stellen noch lange keine direkte Bedrohung für die nationale Sicherheit des Iraks dar«. Darüber hinaus sei das Land anders als 2014 militärisch bereit, Bedrohungen entgegenzutreten.
Bezüglich der möglichen Unterstützung irakischer Milizen für Baschar al-Assad meinte Al-Janab, die auf irakischem Boden aktiven schiitischen Fraktionen folgten den Anweisungen des Irans und seien bereits mit den irakischen Entscheidungsträgern aneinandergeraten, als sie einseitige Raketenangriffe auf Israel durchgeführt haben: »Das eigentliche Problem sind die Versuche, den Irak in den Krieg gegen Israel oder in die Geschehnisse in Syrien hineinzuziehen, aber ich glaube, dass der Irak als offizielle Institution keinen Schritt auf syrisches Gebiet machen wird, außer zum Schutz der nationalen Sicherheit im Fall einer direkten Bedrohung.«
Darüber hinaus zitierte die saudische Zeitung Asharq Al-Awsat irakische Quellen mit den Worten, eine kürzlich durchgeführte Geheimdienstbewertung habe die Akteure in Bagdad darauf hingewiesen, dass »eine Beteiligung an den aktuellen Kämpfen in Syrien schnell in eine komplizierte regionale Falle führen würde«. Die Geheimdienstbewertung kam zu dem Schluss, dass die Kämpfe in Syrien zumindest vorerst keine Interessen des Iraks betreffen und auch keine Bedrohung für das Land darstellen. Dennoch müssten die Entwicklungen vor Ort weiterhin aufmerksam beobachtet werden.
Die aktuellen Ereignisse deuten darauf hin, dass die irakische Regierung sich vorerst darauf konzentriert, die Eskalation in Syrien politisch einzudämmen und nicht in sie verwickelt zu werden. Sie kann jedoch die schiitischen Fraktionen nicht vollständig kontrollieren, die das Regime von Baschar al-Assad unterstützen könnten, was langfristig Auswirkungen auf die Sicherheit in Bagdad haben könnte.