Wiederaufnahme der Ermittlungen zur Explosion im Beiruter Hafen löst Justizkrise aus

Angehörige der Opfer der Hafenexplosion demonstrieren vor dem Beiruter Justizpalast
Angehörige der Opfer der Hafenexplosion demonstrieren vor dem Beiruter Justizpalast (© Imago Images / ZUMA Wire)

Richter Tarek Bitar hat die eingefrorene Untersuchung der Katastrophe von 2020 wieder aufgenommen, wurde aber von den libanesischen Justizbehörden umgehend des »Machtmissbrauchs« angeklagt.

Seit der Entscheidung von Richter Tarek Bitar, die seit mehr als einem Jahr eingefrorene Untersuchung der Explosion im Beiruter Hafen wieder aufzunehmen, herrscht im Libanon eine Justizkrise. Die Explosion, bei der im August 2020 218 Menschen ums Leben kamen, über 6.500 verletzt und mehr als 300.000 Häuser zerstört wurden, wurde durch die unsachgemäße Lagerung von Ammoniumnitrat verursacht.

Einen Tag nach Bitars Ankündigung, die Ermittlungen wieder aufzunehmen, die 2021 aufgrund politischer Interventionen und der Rücktritte mehrerer Richter eingefroren worden waren, erklärte der libanesische Chefankläger Ghassan Oueidat, Bitar könne die Untersuchung nicht fortsetzen, solange die Justizbehörden nicht über die Angelegenheit entschieden hätten. Oueidat ließ außerdem alle im Zusammenhang mit dem Fall Inhaftierten frei und leitete ein Gerichtsverfahren gegen Bitar ein.

Als Reaktion auf die Weigerung Oueidats, die Untersuchung wieder aufzunehmen und die Klageerhebung gegen Bitar protestierten Familien der Opfer vor dem Justizpalast, dem wichtigsten Gerichtsgebäude in Beirut und Sitz des Kassationsgerichts, des höchsten Berufungsgerichts. In einer im Namen der Familien der Explosionsopfer verfassten Erklärung wurde das Vorgehen Oueidats sogar als »politischer, sicherheitspolitischer und juristischer Staatsstreich«bezeichnet.

Im Zuge seiner Wiederaufnahme der Untersuchungen hatte Bitar zuvor rechtliche Schritte gegen Oueidat sowie den Premierminister zum Zeitpunkt der Katastrophe, Hassan Diab, und andere Minister und hohe Beamte eingeleitet. Nun schwebt Bitar wegen dieser Schritte in Lebensgefahr, zumal es im Libanon in der Vergangenheit immer wieder zu politischen Attentaten gekommen ist. Die Familien der Opfer forderten die Behörden auf, »die volle Verantwortung für die Sicherheit des Richters« zu übernehmen.

Gegenschlag

Die Untersuchung, die Bitar vor 13 Monaten übernommen hatte, war in der Vergangenheit aufgrund des Widerstands verschiedener politischer Gruppierungen, darunter der Hisbollah, nicht vorangekommen. Nun erklärte er gegenüber lokalen Medien, er habe die Ermittlungen »auf Grundlage juristischer Gutachten wieder aufgenommen, um den Stillstand zu überwinden, in dem sich die Ermittlungen durch den Einsatz verschiedener Rechtsmittel befunden haben«. 

Bitar ließ fünf der 17 Inhaftierten frei und lud hochrangige Beamte wie Oueidat zum Verhör vor, was die Unterstützung der Familien der Opfer, aber auch den Widerstand der Befragten fand. Kurz nach diesem Schritt klagte Oueidat ihn denn auch mehrerer Verbrechen an, darunter des »Machtmissbrauchs«, lud ihn zum Verhör vor und verbot ihm, das Land zu verlassen.

Oueidat ordnete auch die Freilassung aller im Fall der Explosion in Beirut Inhaftierten an. Diejenigen, die verdächtigt werden, an der Explosion beteiligt gewesen zu sein, können nun das Land verlassen und sich der Rechenschaftspflicht entziehen. Nachdem er am Donnerstagmorgen aus dem Gefängnis entlassen worden war, umging Muhammad Ziyad Al-Awf, Leiter der Abteilung für Sicherheit im Hafen von Beirut, dann auch sofort sein Reiseverbot, indem er seinen amerikanischen Pass dazu benutzte, aus dem Libanon zu fliehen.

Angehörige der Opfer befürchten nun, dass die Ermittlungen ganz eingestellt werden, wofür es auch einen Präzedenzfall gibt: Bitars Vorgänger, Richter Fadi Sawan, der ursprünglich mit den Ermittlungen betraut war, wurde 2021 vom Kassationsgerichtshof aufgrund von politischem Druck auf höchster Ebene abgesetzt. Doch Bitar ist von seinem Auftrag überzeugt. »Ich werde meine Ermittlungen fortsetzen, bis ich Anklage erheben kann«, sagte er gegenüber Reuters.

Während die Angehörigen darauf drängen, dass die Ermittlungen vor Ort fortgesetzt werden, verfolgen sie auch rechtliche Schritte in Ländern wie den Vereinigten Staaten, um so alle Beteiligten zur Rechenschaft zu ziehen.

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