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Belgien: Schon wieder Antisemitismus beim Karneval in Aalst

Orthodoxe Juden als Insekten - Antisemitismis beim Karneval in Aalst. (imago images/Belga)
Orthodoxe Juden als Insekten - Antisemitismis beim Karneval in Aalst. (imago images/Belga)

Bereits im vergangenen Jahr sorgte ein Karnevalsumzug in Belgien wegen antisemitischer Judendarstellungen für Kritik. Gelernt hat man daraus nichts.

Der Karneval in der belgischen Stadt Aalst gehörte zum Weltkulturerbe der UNESCO – bis er diesen Status verlor, weil beim Umzug vor einem Jahr antisemitische Propaganda zur Schau gestellt wurde. Doch diese Maßnahme und auch die vehemente Kritik führten nicht etwa zu einem Umdenken, ganz im Gegenteil: In diesem Jahr wiederholte sich das judenfeindliche Treiben.

Es sind Bilder wie aus der nationalsozialistischen Propaganda: Juden, die als Insekten dargestellt werden; Juden als Karikaturen mit großer Hakennase, Schläfenlocken und überdimensioniertem, teilweise verunstaltetem Strejmel; Juden zwischen Goldbarren. Dazu eine stilisierte „Klagemauer“ mit Zetteln, auf denen Sätze stehen wie: „Du würdest auch klagen, wenn sie deinen Penis beschnitten hätten.“ Zu sehen war all dies vor wenigen Tagen, allerdings nicht bei einem Aufmarsch von Neonazis, sondern während des Karnevalszuges in Aalst, einer belgischen Stadt mit 85.000 Einwohnern, die rund 30 Kilometer nordwestlich von Brüssel liegt. Es ist nicht das erste Mal, dass dieser antisemitische Mummenschanz dort zu sehen war: Schon vor Jahresfrist konnte man ihn beim gleichen Anlass beobachten.

Damals gab es unter anderem einen Karnevalswagen mit riesigen, hässlichen Figuren aus Pappmaché, die orthodoxe, auf Goldmünzen stehende Juden zeigen sollten. Einer davon steckte sich rauchend und grinsend Geld in die Tasche, auf seiner Schulter saß eine weiße Ratte. Ein Protest gegen die steigenden Preise in Belgien solle das sein, teilte die zuständige Karnevalsgruppe mit. Alles sei so teuer geworden, man habe bald gar kein Geld mehr, wenn man nichts unternehme. „Sabbatjahr“ hieß der Karnevalswagen – und was das alles bedeuten sollte, lag auf der Hand: Der fiese, faule Jude sitzt auf den Moneten, er herrscht über die Zirkulationssphäre und diktiert die Preise, er rafft das Kapital und kann es sich leisten, nichts zu tun, während das Volk verarmt.

Das war so offenkundig antijüdisch, dass nicht nur die Dachverbände der flämischen und der französischsprachigen Juden in Belgien entsetzt protestierten, sondern auch Nichtjuden. Schließlich wurde sogar die UNESCO tätig, die sonst gerne selbst mit antisemitischen Beschlüssen und Aktivitäten von sich reden macht. Im Dezember 2019 aber strich sie den 600 Jahre alten Aalster Karneval von ihrer Liste des immateriellen Weltkulturerbes, in die er im Jahr 2010 aufgenommen worden war. Eine beispiellose Maßnahme, denn eine solche Streichung war bis dato noch nicht vorgekommen. Zuvor hatte es neben einer Petition zahlreiche Appelle an die UN-Kulturorganisation gegeben, genau diesen ungewöhnlichen Schritt zu unternehmen.

Antisemitische Mottowagen und Nazi-Uniformen

Der Bürgermeister von Aalst, Christoph D’Haese, hatte kurz vor der Entscheidung der UNESCO selbst verkündet, seine Stadt wolle nicht länger auf der Liste stehen. Allerdings war das kein Zeichen von Demut, sondern vielmehr ein bockiger Protest nach dem Motto: Wir wollen keine Würdigung einer Einrichtung, die uns – völlig zu Unrecht natürlich! – für antisemitisch hält. Gleichzeitig glaubte D’Haese, der der nationalistischen Neu-Flämischen Allianz angehört, der Maßnahme der UNESCO auf diese Weise zuvorkommen zu können. Das aber war nicht möglich, weil ein Stadtoberhaupt diesbezüglich nicht antragsberechtigt ist. Es blieb deshalb der UNESCO vorbehalten, mit ausdrücklicher Zustimmung ihres Mitglieds Belgien dem Aalster Karneval den Status des Weltkulturerbes abzuerkennen.

Das Vorgehen des Bürgermeisters ließ schon erahnen, dass dieser Entschluss den Aalster Karnevalisten nicht etwa zutiefst peinlich sein und zu Selbstkritik führen würde, sondern dass es beim diesjährigen Umzug in der Stadt zu einer Neuauflage kommen könnte. Deutliche Anzeichen dafür waren beispielsweise zum Verkauf angebotene Karnevalsbänder mit antisemitischen Bildmotiven und schwarze Hüte, an denen Schläfenlocken befestigt sind. Tatsächlich setzte sich nun nahtlos fort, was ein Jahr zuvor begonnen hatte, trotz aller Aufrufe – etwa von Abgeordneten des Europaparlaments oder dem israelischen Außenminister –, von einer Wiederholung des antijüdischen Auftritts abzusehen.

Zu den antisemitischen Verkleidungen, Bildmotiven und Mottowagen kamen noch Karnevalisten, die an Nazi-Uniformen angelehnte schwarze Mäntel trugen, auf denen mit schwarzer Schrift in einem weißen Kreis auf rotem Grund das Wort „UNESTAPO“ geschrieben stand. Damit sollte ganz offensichtlich zum Ausdruck gebracht werden, dass man die UNESCO-Entscheidung, den Aalster Karneval nicht mehr als Weltkulturerbe zu führen, für eine Methode hält, wie sie bei der nationalsozialistischen Gestapo üblich war. Die Karnevalisten inszenierten sich mithin als Opfer von angeblichen NS-Praktiken zugunsten der Juden, die sie sie wiederum darstellten wie in der NS-Propaganda – man muss in diesem widersprüchlichen Irrsinn keine Rationalität suchen, denn Antisemitismus ist ein Wahn.

Der Bürgermeister spielt den Skandal herunter

Bürgermeister D‘Haese spielte den neuerlichen Skandal herunter, indem er sagte, es gehöre zum „Ritual der Grenzüberschreitung“ beim Karneval in seiner Stadt, dass über alles und jeden gelacht werden dürfe, auch über Religionen. Die Parade sei nicht antisemitisch und Aalst keine antisemitische Stadt. Den Unterschied zwischen Kritik an oder auch einer Satire über Religion und dem Bedienen eindeutig antijüdischer Stereotype und Ressentiments sowie der Herabwürdigung von Juden zu Ungeziefer scheint das Stadtoberhaupt nicht einmal ansatzweise begriffen zu haben. Bereits im vergangenen Jahr hatte D’Haese den Auftritt der antisemitischen Narren als karnevalstypisch derben Spaß verharmlost, der nun mal notwendigerweise mit Verkürzungen und Zuspitzungen einhergehe.

Andere hingegen übten deutliche Kritik. Die belgische Ministerpräsidentin Sophie Wilmès etwa sprach von einer „Verletzung unserer Werte“, der Präsident der Belgischen Liga gegen Antisemitismus, Joël Rubinfeld, bezeichnete den Karneval in Aalst als „Schande“. Die antisemitischen Motivwagen machten zwar nur fünf Prozent des gesamten Umzugs aus, „aber sie bleiben in den Köpfen der Menschen hängen“. Der Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner, Pinchas Goldschmidt, bezeichnete den Karnevalsumzug in Aalst als „äußerst beleidigend“ und als „Missbrauch der Macht der Redefreiheit“. Er erinnere „an einige der dunklen Momente der europäischen Vergangenheit“. Man könne nicht so tun, „als ob diese Bilder eine Art Witz wären oder keine Angst auslösen würden“.

Kritik gab es nur von außerhalb

Die Vizepräsidentin des EU-Parlaments und Vorsitzende der Arbeitsgruppe gegen Antisemitismus, Nicola Beer (FDP), sah das ähnlich: Antisemitismus dürfe auch nicht unter dem „Deckmäntelchen Karneval“ geduldet werden, sagte sie. Der Karneval in Aalst sei „auf das Schärfste zu verurteilen“. Der Direktor des Brüsseler Büros des American Jewish Committee, Daniel Schwammenthal, ging noch einen Schritt weiter: „Nachdem sich die flämischen und föderalen belgischen Behörden geweigert haben, diese groteske Darstellung antisemitischen Hasses zu verbieten und sie in einigen Fällen sogar unterstützt haben, sollte die Europäische Union unverzüglich eine Untersuchung einleiten“, forderte er.

An die EU-Kommission appellierte Schwammenthal, ein Strafverfahren gegen das Land in Gang zu setzen. Die Kommission teilte die Kritik, erklärte jedoch, keine rechtliche Handhabe zu besitzen, und verwies auf die belgischen Behörden. Dass diese aktiv werden, ist jedoch unwahrscheinlich – auch deshalb, weil Unia, eine staatliche belgische Antidiskriminierungsstelle, die Aalster Karnevalisten in Schutz genommen hat. Es habe „keinen gewollten Antisemitismus gegeben“ und auch „keinen bewussten Aufruf zum Hass, zur Diskriminierung oder zur Gewalt gegen Juden“, glaubt Unia-Geschäftsführer Patrick Charlier, der sogar allen Ernstes so weit ging, den Kritikern der antisemitischen Karnevalisten vorzuhalten, zu weit gegangen zu sein.

Das Antwerpener Forum der jüdischen Organisationen kritisierte hingegen, dass in Aalst wieder antisemitische Karikaturen verwendet wurden. Sein Sprecher Hans Knoop fand sie sogar „noch peinlicher als im vergangenen Jahr“. Damals habe man annehmen können, „dass es wohl nicht die Absicht war, uns zu beleidigen“. Was nun aber geschehen sei, trotze „wirklich jeglicher Vorstellungskraft“. Offensichtlich nahm auch während des Karnevalszuges niemand wirklich Anstoß an dem antisemitischen Treiben. Rund 6.000 Teilnehmer zählte die Prozession, der etwa 80.000 Menschen zusahen. Proteste sind nicht überliefert.

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